43. Ich hasse dich!

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° Leon °

Eddie war tatsächlich zum Training gekommen, auch wenn er dabei aussah wie ein zermatschtes Stück Toast. Seine Wange hatte sich mittlerweile dunkelblau verfärbt und seine Unterlippe sah aus wie aufgespritzt.
"Der hat vielleicht Nerven, sich hier blicken zu lassen!", sagte ich, als wir uns im Umkleideraum unsere Trikots überzogen.
"Ja, einstecken kann er", sagte Mehmet und tippte etwas in sein Handy. "Aber er ist ja auch gut in Übung "
Ich blickte wütend in Eddies Richtung, der hatte seinen Platz direkt neben der Tür bezogen und zog sich gerade seine Fußballstrümpfe an. "Soll er jetzt mal besser aufpassen, sonst kriegt er gleich die nächste Abreibung."
"Dann pass mal lieber auf, dass Günther nichts davon mitbekommt", meinte Ali. "Sonst sperrt er dich noch fürs nächste Spiel."
Ich lachte. "Das kann er nicht machen."
"Er hat gesagt, er macht's."
"Und wenn schon!"
"Mensch Leon!", sagte Mehmet und schlug mir mit der flachen Hand gegen den Hinterkopf. "Jetzt sei mal vernünftig! Wir brauchen dich im Sturm."
"Ja, weiß ich doch", antwortete ich, den Blick immer noch auf Eddie gerichtet, der sich heute mehr noch als sonst zu beeilen schien, mit dem Umziehen fertig zu werden. War ihm wahrscheinlich nicht entgangen, dass ich ihn heute aufm Kiecker hatte. "Ich pass schon auf. Kommt ihr?"
Ich stand auf und lief in Richtung Ausgang, als meine Füße wie von selbst vor Eddies Platz Halt machten.
"Na Eddie?" Ich trat hart gegen seine Sporttasche, welche daraufhin einmal durch den ganzen Raum schlitterte und schließlich neben der Tür liegen blieb, die zu den Duschen führte. "Wie geht's denn so?", fragte ich, packte Eddie dann grob am Gesicht und drückte seinen Kopf zu mir hoch, so dass er nicht länger so tun konnte, als sei ich nicht da. "Willst du mich nicht begrüßen?"
"Was willst du von mir?", fragte Eddie, da grinste ich und rieb Eddie, statt zu antworten, fest mit den Fingern über das Veilchen an seiner Wange, woraufhin er vor Schmerzen heftig zusammenzuckte.
"Siehst doch gleich viel hübscher aus mit so ein bisschen Farbe im Gesicht."
"Lass mich los!" Eddie wand sich unter meinem Griff, doch ich dachte gar nicht daran, seiner Bitte nachzukommen, bohrte stattdessen nur noch stärker mit den Fingern in seinem Veilchen.
"Verdammtes Arschloch!" Jetzt nahm Eddie seine Hände zur Hilfe, versuchte damit zunächst meine Hände von seinem Gesicht wegzudrücken und begann dann, als er das nicht schaffte, heftig an ihnen herum zu kratzen und zu kneifen.
"Wie niedlich! Kämpfst ja wie ein Mädchen!" Ich lachte, quälte Eddie noch etwas weiter und ließ ihn dann los, nur wenige Sekunden lang, dann schlang ich meine Hand um seinen Hals und knallte ihn mit dem Hinterkopf an die Wand. "Und heulen tust du auch wie eins."
Draußen wartete Maria auf mich. Sie sah gut aus heute, trug die Haare in einem geflochtenen Zopf und dazu ihren neuen dunkelblauen Mantel mit farblich dazu passenden Winterstiefeln.
Ich verharrte einen Moment in der Tür und betrachtete sie. Freute mich, darüber dass sie hier war, dass sie zu mir gehörte.
Maria war unglaublich hübsch. Das wurde mir in letzter Zeit immer klarer, je mehr sie begann, auf ihr Äußeres zu achten. Sie zog sich mittlerweile öfter mal coole Klamotten an - davon besorgten wir ihr regelmäßig neue bei Wendy's - und trug die Haare in einem Zopf, wodurch ihr feines Gesicht gleich viel besser zur Geltung kam, als hinter einer Gardine von Haaren. Im Moment schien sie mal wieder völlig in Gedanken versunken zu sein und bemerkte mich deswegen nicht.
Das machte ich mir zu Nutze, schlich mich vorsichtig an sie heran, packte sie dann von hinten und hielt ihr die Augen zu.
Maria schrie laut auf und begann sich gleich wie wild in meinen Armen zu winden, da lachte ich und drückte sie dabei noch fester an mich, so dass sie nicht nach mir schlagen konnte.
"Hab ich dich erschreckt, Süße?"
"Leon, du bist... Tu das nie wieder!", rief Maria wütend.
"Ach komm, war doch nur Spaß!" Ich löste meine Umklammerung, drehte Maria zu mir herum und wollte sie küssen, woraufhin sie schnell den Kopf zur Seite drehte.
Ich lachte wieder. "Jetzt hab dich mal nicht so!"
"Meine Güte, Leon! Was stimmt denn nicht mit dir? Ärgerst hier kleine Mädchen!", schimpfte Mehmet in gespielter Strenge, der war kurz nach mir aus der Turnhalle gekommen, zusammen mit den anderen Spielern.
Nur Eddie war in der Umkleide zurück geblieben, der musste sich wohl noch fertig ausheulen.
"Soll ich deinem bösen Freund eine Lektion erteilen?" Mehmet sah Maria an, die wich seinem Blick aus und schüttelte den Kopf.
"Hast du Günther schon gesehen?", fragte ich Maria.
"Der ist noch-", wollte sie gerade antworten, da ging schon die Tür auf und Günther kam heraus.
"Sind alle da?" Er blickte prüfend in die Runde.
"Ich glaub schon", sagte ich, legte den Arm dabei um Marias Schulter, zog sie näher zu mir und gab ihr einen Kuss auf den Mund, den sie diesmal nicht abwehrte.
"Eddie fehlt noch", sagte Ali, da warf ich ihm einen scharfen Blick zu, der zuckte daraufhin nur die Achseln.
"Was denn?"
"Was treibt der Junge denn schon wieder so lange?", fragte Günther und seufzte. "Leon, sieh mal nach ihm!"
"Warum ich?", fragte ich.
"Was meinst du?", fragte Günther zurück, da verdrehte ich die Augen, gab Maria noch einen Kuss und lief dann los.
In der Umkleidekabine roch es unangenehm nach Schweiß und billigem Deo.
Eddie saß immer noch auf seinem Platz, die Arme fest um seine angezogenen Beine geschlungen mit dem Kopf auf den Knien.
"Hey!" Ich stieß ihn leicht in die Seite. "Kommst du jetzt?"
Eddie antwortete nicht.
"Sonst geh nach Hause, wenn du weiter flennen willst! Ist mir egal." Ich sah ihn an, wartete etwas, und stieß ihn dann wieder in die Seite, fester diesmal.
"Was willst du denn noch?", schluchzte Eddie und sah jetzt zu mir auf. Er sah widerlich aus, mit seinem Veilchen an der Wange und weiteren roten Flecken im Gesicht, bis hinunter zum Hals, die sich in einem scharfen Kontrast von der ansonsten kränklichen Blässe seiner Haut abhoben.
"Ich sollte nach dir gucken", meinte ich.
Eddie lachte, was mir einigermaßen unheimlich war bei dem Anblick, den er sonst bot mit seinen roten Augen, aus denen ihm immer noch die Tränen liefen.
"Na toll!", sagte er, schniefte und wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht. "Dann kannst du es jetzt ja zu Ende bringen."
"Rede keinen Scheiß!" Ich sah zur Uhr. "Wir müssen zum Platz. Die anderen warten schon."
"Auf mich sicher nicht", meinte Eddie und fuhr sich wieder mit der Hand durchs Gesicht.
"Jetzt hör doch auf zu heulen!", sagte ich. "Los, komm!" Ich packte Eddie und zog ihn mit mir in den Waschraum zu eines der Waschbecken. "Mach dich mal sauber!", forderte ich ihn auf, zog einen Stapel Papierhandtücher aus dem Spender und legte sie vor ihm auf die Ablage unter dem Spiegel.
Eddie reagierte nicht, blickte stattdessen nur in den Spiegel und weinte weiter.
"Hey!" Ich stieß ihn von hinten in den Rücken, so stark, dass Eddie sich am Waschbecken festhalten musste, um nicht zu fallen. "Nun reiß dich mal zusammen, du Memme! Da!", sagte ich und drehte den Wasserhahn auf. "Spül dir das Gesicht ab!"
Eddie tat es, hielt den Kopf ins Waschbecken, ließ sich dabei immer wieder das kalte Wasser in die zusammengelegten Hände laufen und klatschte es sich ins Gesicht, so lange bis ich ihm den Hahn wieder abdrehte.
"Das reicht", sagte ich.
Eddie richtete sich wieder auf, besah sich im Spiegel und warf mir dann einen wütenden Blick zu.
"Ich hasse dich!"
"Ich weiß", sagte ich und nickte dann zu dem Stapel Handtücher.
Eddie nahm sich welche, trocknete sich damit das Gesicht ab, nahm sich dann noch ein paar Blätter, hielt sie sich vor die Nase und begann dann mit einem widerlich verrotzten Geräusch hinein zu schnäuzen, welches laut von den Wänden der Jungs-Umkleide widerhallte.
Ich lehnte an der Tür, die Arme vor der Brust verschränkt und wartete solange, bis Eddie mit dem Schnauben fertig war, wartete weiter, als er sich wieder zum Waschbecken hinab beugte und aus dem Hahn noch mehrere große Schlucke Wasser trank, den Hahn dann zudrehte und noch eine Weile gekrümmt am Waschbecken stand, welches er mit beiden Händen fest umklammerte, wie ein Ertrinkender einen Rettungsring.
"Bist du dann jetzt soweit?", fragte ich, da richtete Eddie sich wieder auf.
"Ja." Er wirkte deutlich geschwächt, wie er jetzt so vor mir stand, abgemagert wie ein Hungernder und immer noch so blass wie die Wände um ihn herum.
"Du siehst scheiße aus", stellte ich fest und kam noch einige Schritt auf Eddie zu, um ihn genauer zu betrachten. "Ehrlich jetzt, ich würde das mit dem Training heute an deiner Stelle besser mal sein lassen."
"Das hättest du wohl gern", sagte Eddie und rieb sich dann mit den Fäusten fest über die Augen, die waren immer noch leicht blutunterlaufen mit dunklen Schatten darunter.
"Nimmst du eigentlich Drogen?", fragte ich. "Ich meine Hasch oder sowas."
"Nein", sagte Eddie.
"Wirklich nicht?", fragte ich weiter.
"Nein", sagte Eddie wieder.
"Du siehst so aus, als würdest du es tun."
"Tu ich aber nicht."
"Komm schon, mir kannst du es ruhig sagen", meinte ich und grinste. "Ich geh schon nicht petzen."
"Das glaub ich dir sogar."
"Ist ja auch so." Ich musterte Eddie noch einen Moment, dann zuckte ich die Achseln. "Wie auch immer! Komm jetzt, wir gehen!"

Vogelscheuche und Gürtelschnalle - Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt