Der Mond, der den Tag ankündigt

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Ich klopfte an die dunkle Holztür des Schulleiterbüros.

„Bitte", ertönte die tiefe Stimme des Schulleiters.

Ich drückte die Tür auf und der Duft von altem Papier schlug mir entgegen.

Rún Fenas setzte seine Schreibfeder von dem Schriftstück ab, das vor ihm auf dem Tisch lag, als er mich erblickte. „Du weißt, wo Eimer und Lappen stehen." Dann schrieb er weiter.

Leise ging ich zu dem Regalabschnitt, bei dem ich am vorigen Tag aufgehört hatte und stieg die Leiter hinauf, um die oberen Bücher aus dem Regal zu heben.

Herr Fenas wechselte kein weiteres Wort mit mir. Während ich die Regale weiter putzte, herrschte durchgehend unangenehme, eisige Stille.

Als ich meine Arbeit beendet hatte, warf ich den Lappen in den Wassereimer und stellte mich vor Herrn Fenas' Tisch. „Ich bin fertig", teilte ich ihm mit. Als der Schulleiter nicht reagierte, wandte ich mich zum Gehen. Ich war gerade an der Tür angekommen, da erklang doch noch Herr Fenas' Stimme.

„Beantworte mir ein paar Fragen, Waldelf!"

Ich drehte mich verwundert zu ihm um. Ich konnte kaum glauben, dass er mit mir sprach.

Er schaute mich grimmig an. „Wie kann es sein, dass du magische Fähigkeiten hast?"

Ich antwortete erst nicht.

„Du brauchst gar nicht lange überlegen", sagte der Schulleiter. „Je länger du nachdenkst, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass du mir Lügen erzählst. Und du kannst dir sicher vorstellen, dass ich keine Lügen gestatte."

„Mein Vater", begann ich, „ist ein Hochelf."

Ungläubig blinzelte Herr Fenas mich an. „Das ist ausgeschlossen."

„Dann würde ich nun nicht vor Euch stehen."

„Kein Hochelf würde je mit einer Waldelfe..." Herr Fenas schüttelte den Kopf. „Du beleidigst die Hochelfen."

Bei seinen Worten sank ich innerlich zusammen. Doch äußerlich machte ich mich gerade. „Ihr habt mich gebeten, die Wahrheit auszusprechen. Dann solltet Ihr sie auch akzeptieren."

„Wer ist dein Vater?", wollte Herr Fenas nun wissen und er klang dabei, als müsste dieser Jemand unverzüglich aufgesucht und bestraft werden.

„Ich weiß es nicht", antwortete ich. „Ich habe ihn nie kennengelernt."

Herr Fenas bedachte mich mit einem langen, nachdenklichen Blick. Dann machte er eine wegwinkende Handbewegung. „Nun denn, schaff das Dreckwasser fort. Du weißt ja nun, wo die Putzkammer ist."

Ich versuchte, mich nicht über des Schulleiters unwirsche Worte zu ärgern und drehte mich wortlos um, um die Putzutensilien wegzubringen.

Danach suchte ich mein Zimmer auf, wo Eloin mich bereits erwartete. Wir waren noch nicht dazu gekommen, mich in eine der kreativen Gruppen einzutragen und ich hatte den Schulleiter nach der letzten Unterrichtseinheit nicht warten lassen wollen. Also holten wir die Wahl meines kreativen Faches nun nach.

Eloin führte mich in den Eingangssaal. Dort erhob sich an einer Wandseite eine steinerne Säule aus dem Boden. Sie reichte mir etwa bis zum Brustkorb und war breit genug, dass ein dünnes Buch darauf Platz fand. Eloin schlug es auf und blätterte durch die Seiten. „Hier am Anfang stehen die Kurse für die Ettlyn. Mhm... Wie ich mir schon gedacht habe, Werken ist voll."

Unglücklich verzog ich das Gesicht.

„Wäre vielleicht auch Bildhauerei etwas für dich?", schlug Eloin vor.

Der Waldelf - Der Baum des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt