Der Gefangene und der Bauer 2

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Durchgefroren und zitternd wache ich in den frühen Morgenstunden auf. Die Kälte ist mir in jeden Knochen gekrochen. Ich stehe auf und laufe ein paar Mal durch das Haus. Immer wieder rollen Wellen von Gänsehaut über meinen Körper. Meine Zähne klappern leicht und meinen Körper kann ich kein bisschen mehr ruhig halten. Ich esse etwas von dem Brot und versuche nicht an das zu denken was heute passiert. Elaine schläft noch friedlich. Ich frage mich ernsthaft wie sie das kann.

Wenn ich je wieder von irgendwo aus türmen sollte, nehme ich zwei Mäntel mit. Ich stelle mich ans Fenster und beobachte wie die Sonne aufgeht. Die Farben des Himmels wechseln von blau zu golden bis dann die ersten Strahlen der Sonne über der Stadt erscheinen. Die Nacht ist Tod und der Tag wurde wiedergeboren. Laut Felize sind Nacht und Tag älter als die anderen Götter. Sie sind ewige Feinde die sich immer bekämpfen. Wenn die Sonne untergeht bedeutet das die Nacht hat den Tag getötet, aber an jedem Morgen wird der Tag wiedergeboren und tötet die Nacht. Diese wird aber an jedem Abend wiedergeboren und tötet dann wieder den Tag. Das Morgenrot und das Abendrot sind das Blut des jeweils getöteten, das über unseren Himmel fließt.

Eigentlich ist diese Geschichte total grausam, aber dennoch gehört es genauso zu unserer Mythologie wie die Liebe von Lane und Tsam. Meine Schwester ist inzwischen verheiratet. Ob ihr Mann genauso grausam ist wie Luke oder Sorben? Ich wünsche es ihr nicht, aber verhindern kann ich es auch nicht. Bei den Göttern sind Frauen doch den Männern gleichberechtigt, warum dann nicht auch bei den Menschen? Warum kann eine Frau sich nicht von ihrem Mann trennen, aber der Mann sich von der Frau. Wieso kann eine Frau keine neuen Papiere beantragen, wenn ihr Mann im Gefängnis ist, aber ein Mann schon? Wieso ist es Frauen untersagt Schmied oder Maurer zu werden? Wieso ist es in Ordnung, wenn ein Mann eine Frau schlägt und vergewaltigt? Vater würde jetzt sagen das Leben ist nicht fair und da hat er auch recht. Man wird nie allen helfen können, aber in diesen Punkten ist das Leben nur für Frauen nicht fair. Aber entweder es ist für alle gleich unfair oder für alle gleich fair. Elaine bewegt sich auf der Pritsche. Sie blinzelt ein paar Mal bevor sie sich aufrichtet und mich ansieht.

„Guten Morgen"

„Guten Morgen Elaine, wie geht's dir."

„Gut vielleicht ein bisschen kalt, aber gut. Wie geht's die?"

„Nervös und kalt."

„Willst du deinen Mantel?"

„Ne behalt ihn mal. Hast du den Plan für dich verstanden?"

„Anni holt mich ab und geht mit mir zu dem Treffpunkt. Wir bereiten die Pferde und den Proviant vor, bis ihr zu uns stoßt. Ich nehme meine und deine Tasche mit."

„Ja, wenn was schiefgeht halte dich immer an Anni. Sie ist gut in dem was sie tut und wenn wir ehrlich sind ist der einzige Grund warum sie heute nicht mitkämpft Timor. Du kannst ihr vertrauen." Sie nickt und steigt aus dem Bett.

„Ist die Aussicht schön?"

„Beruhigend" Sie stellt sich neben mich und gemeinsam schweigen wir. Ich mag sie, ich glaube sie passt gut zu der Familie, die ich mir wünsche. Marlon hat eindeutig einen bessern Geschmack als ich.

„Wie alt bist du eigentlich?"

„Zwanzig, du?" Sie ist älter als Marlon.

„21"

„Wie alt ist eigentlich Marlon? Er hat es mir nie gesagt."

„Stolze Achtzehn Jahre."

„Das heißt ja ich bin älter wie er."

„Ist das ein Problem?"

„Nur eine Konvektion mehr die uns im Weg steht."

„Der Unterschied ist nicht gerade groß." Sie seufzt leise.

„Das ist doch der Gesellschaft egal." Sie hat recht. Ich kenne kein einziges weiteres Paar bei dem die Frau älter ist. Noch etwas was ich nicht verstehe. Die Sonne ist komplett aufgegangen, als jemand zur Tür reinkommt. Bevor ich überhaupt das Messer ziehen kann rufen Timor und Anni durchs Haus. Howard trifft ein paar Minuten später zusammen mit Lester ein. Ich beginne mich kampfbereit zu machen. Der Waffengürtel wird um meine Taille gebunden. Das Schwert wird verstaut, das Messer mit einem Lederband an meinem Bein befestigt und meine Haare in einem einfachen Zopf zusammengefasst. Ich sehe aus wie bei jedem anderen Probekampf nur ist das hier die bittere Realität. Anni packt unsere Taschen um. Mein Umhang bleibt bei Elaine.

„Wer führt uns durch die Kanalisation? Ich kenn mich da unten nicht aus." Lester, dein Sohn wäre enttäuscht, wenn er das hören könnte.

„Rubina, sie kennt sich da am besten aus, warum auch immer." Timors Stimme ist zwar klar, aber die Frage warum kennst du dich da so gut aus, schwingt mit. Howard sieht an mir herab.

„Eine Thronfolgerin die sich am besten im Abwasser auskennt. Ich denke wir werden unseren Spaß haben."

„Ich bin nicht mehr die Thronfolgerin das ist jetzt Luke."

„Stimmt, aber deshalb bin ich hier, für mich bist du die rechtmäßige Thronfolgerin. Glaub mir, wenn du wirst wie dein Vater, werden wir auch dich absägen. Aber solange du besser bist, bist du meine zukünftige Königin." Wie ermutigend der Mann doch ist.

„Ich gebe mein bestes."

Am Kanaldeckel trennen wir uns. Für Anni und Elaine geht es oberirdisch weiter für uns unterirdisch. Howard schlägt sich gleich mal den Kopf an der Decke an, als wir die ersten Schritte vorwärts machen. Diese Gänge sind nicht für Riesen gemacht. Er flucht leise auf dem gesamten Weg. Immer wieder hört man das es irgendwo anstößt. Lester scheint immer noch skeptisch zu sein.

„Und das soll die richtige Richtung sein? Müssten wir dann nicht langsam da sein?"

„Wir wollen ja nicht direkt zum Marktplatz. Der Markt hat zwar drei Schächte aber dann kämen wir mitten in der Menschenmenge raus. Ich steuere eine Seiten Gasse an. Der Haupttunnel wurde aber nicht bis dahin gebaut. Wir müssen über einen anderen Haupttunnel zu einem Nebentunnel und dann bis nach ganz hinten. Wir laufen also einen Umweg, um da hinzukommen wo wir hinwollen. Das ist kein Straßennetz das überall miteinander verbunden ist."

„Und das können sie finden?"

„JA" Es knallt wieder.

„Scheiß Decke, hätte man das nicht größer bauen können." Ich sollte ihn vorwarnen.

„Gleich wird's noch niedriger."

„Ich hasse die Kanalisation." Ich finde den Abzweig ohne Probleme. Am Ende stehen wir genau an dem Schacht zu dem ich wollte.

„Ich gehe zuerst hoch." Timor erklimmt die Sprossen der kleinen Leiter und öffnet ganz vorsichtig den Deckel. Es scheint keiner in der Gasse zu sein den er schiebt den Deckel ganz weg und klettert aus dem Schacht. Wir anderen folgen ihm. Wir stehen in einer der Gassen die man zwar immer sieht, wenn man auf den Markt geht, aber in die niemand gern reingeht, weil es Stinkt und es dunkel ist.

Ich ziehe mir die Kapuze des Kittels über den Kopf. Meine lila schwarzen Haare sind wohl das auffälligste an mir weshalb ich sie lieber verdeckt halte. Auf dem Marktplatz steht schon eine große Menge von Schaulustigen. Auf einer Tribüne rechts des Podestes sitzen mein Vater und seine Gäste, das heißt auch Marlon und Emerald. Dahin muss ich, wenn ich Marlon erreichen will. Mein Vater sitzt auf einem Thron der Macht und Glanz beinah in Wellen aussendet. Alles an ihm Glitzert und Funkelt. Luke sitzt provokant daneben. Er ist jetzt eindeutig in der Position des Thronfolgers. Ich glaube ja nicht das er mit meiner Entscheidung zu gehen unzufrieden ist.

Wir stellen uns ganz nach hinten. Lester schwatzt einer Dame ihren Hocker ab und stellt ihn mir vor die Füße. Ich bin immer noch nicht bereit eine Rede zu halten. Die Rebellen werden weiter vorne, mitten in der Menge stehen. Ein Paar der Gefangenen stehen schon auf dem Podest. Der Rest steht noch unten. Also neben oder hinter dem Podest. Anscheinend werden die Politischen Gefangenen zuerst gehängt, denn ich sehe alle sieben auf dem Podest stehen. Sechs davon kenne ich ja, aber ich habe keine Ahnung wer der andere Mann ist den sie noch gefast haben. Der König erhebt sich von seinem Thron. Möge das Spektakel beginnen.

Straßen aus HassWo Geschichten leben. Entdecke jetzt