3. Joey

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Inzwischen war es Abend geworden. Ich lag in der Dunkelheit auf meinem Bett und starrte die Zimmerdecke an, so als ob sie mir meine tausend Fragen beantworten könnte, die durch meinen Kopf stolperten.

Wann würde das endlich aufhören, dass ich an Seto Kaiba dachte? Wieso fragte ich mich täglich, ob auch er sich manchmal an mich und unsere gemeinsame Zeit in seiner Firma erinnerte? Und wenn es er tat: WIE erinnerte er sich daran?

Seufzend schloss ich meine Augen, denn morgen würde ein neuer Tag im Büro auf mich warten...

Genervt schlug ich auf die Knöpfe der Anzeigetafel im Aufzug ein. Natürlich befand sich das Büro des Angeber-Kotzbrockens im obersten Stockwerk der KC. Schließlich wollte man ja nicht riskieren, dass andere auf einen herabsehen konnten. Während sich die Kabine mit einem hellen Surren immer weiter in die Höhe schraubte, ballte ich meine Hände in meinen Hosentaschen zu Fäusten. Allein der Gedanke daran, gleich ihm und seinem arroganten Grinsen gegenüber zu sitzen, machte mich schier wahnsinnig. Wenigstens war ich allein im Lift und so bekam niemand mit, wie ich Kaiba leise beschimpfte und dabei auf und ab lief wie ein Tier, das man in einen Käfig gesperrt hatte. Ein lautes PLING! und die Computerstimme, die verkündete, dass ich mich nun im 25. Stockwerk befand, riss mich aus meinen Gedanken. Ich schloss die Augen, straffte die Schultern und atmete einmal tief durch, bevor ich den menschenleeren Gang entlang lief. Mit Schwung riss ich die Tür zu Kaibas Büro auf, der im selben Moment mit seinem Stuhl zur Tür herumwirbelte und mich aus seinen kalten blauen Augen musterte. Für einen kleinen Moment sah ich Überraschung darin aufblitzen, denn immerhin wagte es wohl sonst Niemand, einfach seine Bürotür aufzureißen ohne anzuklopfen. Aber so schnell seine Augenbrauen in die Höhe geschossen waren, so schnell kniff er jetzt die Augen zusammen und sah mich ausdruckslos an. „Wheeler" schnarrte er und seine Augen fixierten mich noch immer, wie ich so in der Tür stand. „In welchem Teil deines Vertrags steht eigentlich, dass du meine Mitarbeiter von der Arbeit abhalten sollst?!" Er stützte seine Unterarme auf der Schreibtischplatte ab und legte sein Kinn auf seine gefalteten Hände. „Häää..?" machte ich, als ich mich auf den Stuhl ihm gegenüber fallen ließ. Er musterte mich kurz und begann dann, seine Nasenwurzel zu massieren als er mit geschlossenen Augen weitersprach „Ich formuliere es mal so, dass selbst DU es verstehst" ein süffisantes Grinsen umspielte seine Mundwinkel. „Ich leite ein milliardenschweres Unternehmen mit vielen Mitarbeitern. Der Erfolg meiner Firma basiert unter anderem darauf, dass diese Mitarbeiter während ihrer Arbeitszeit alles dafür tun, um diesen Erfolg weiter voran zu treiben. Wir sind kein Tierheim, Wheeler. Wenn du Jemanden zum Spielen brauchst, such dir deinesgleichen- außerhalb der KC." Als er seinen Blick wieder auf mich richtete, spürte ich, wie mir die Hitze in die Wangen stieg. Ich kaute auf meiner Unterlippe herum, um nicht komplett auszurasten und stierte Kaiba an. „Das ist alles?" brachte ich mit mühsam unterdrücktem Zorn hervor. „DAFÜR bin ich durch die halbe KC getigert? Für einen dämlichen Hundekommentar, den du mir auch völlig problemlos am Handy hättest reinwürgen können?" In meinem Inneren wütete ein Feuer, das ich nur schwer unter Kontrolle halten konnte. Ich spürte förmlich, wie die Hitze in mir hinaufkroch, bereit, alles zu verbrennen. Kaibas Mundwinkel verzogen sich zu einem selbstgefälligen Grinsen, bevor seine Stimme höhnte „Im Moment bin ich dein Herrchen und pfeife dich herbei, wie es mir passt." Dann wandte er sich wieder seinem Laptop zu. „Du kannst jetzt gehen, Wheeler."

Konnte ich mich bis gerade noch mühsam beherrschen, so war damit pünktlich in genau diesem Augenblick Schluss. Meine Fäuste krachten auf die hölzerne Schreibtischplatte und brachten das Möbelstück zum Beben. Kaiba tippte völlig unbeirrt auf seiner Tastatur weiter, während in mir die schiere Wut hochkochte. Er sollte mich ansehen, wenn ich mit ihm sprach- und ich hatte ihm noch etwas zu sagen! Zornig griff ich nach der Lehne seines Schreibtischstuhls und drehte diesen in meine Richtung. Zwei eisblaue Augen sahen mich an und bohrten sich in meinen Blick. In ihnen lag ein amüsierter Ausdruck, keine Spur von Angst. Eine neue Welle des Zorns wogte durch meinen Körper, als ich ihn am Kragen fasste und nur Millimeter unsere Gesichter voneinander trennten. Ich konnte Kaibas Atem auf meiner Haut spüren, während unsere Augen ein stummes Duell miteinander ausfochten. „Kaiba..." brachte ich schließlich schwer atmend hervor „Es ist mir scheißegal, wieviele beschissene Milliarden dein verficktes Unternehmen wert ist, aber eins schwöre ich dir: rede noch einmal so über mich oder deine Mitarbeiter und du lernst mich richtig kennen!" spie ich ihm entgegen, während ich meinen Griff um seinen Kragen erst verstärkte, nur um ihn dann wieder zu lockern. Ich richtete mich auf, strich meine Dienstkleidung glatt, drehte mich um und verließ ohne ein weiteres Wort sein Büro.

Die Luft rauschte an mir vorbei und kühlte mein erhitztes Gesicht, als ich durch das verwaiste Treppenhaus stürmte. Was bildete sich dieser Vollarsch eigentlich ein? Ich war für ihn nie mehr als ein untalentierter Straßenköter gewesen, aber sah er denn nicht, dass seine Mitarbeiter viel mehr waren, als nur „Humankapital"? Wieviel zahlte er den Menschen hier wohl dafür, dass sie seine unendliche Arroganz jeden Tag ertrugen? Grenzte das schon an Prostitution?! Ich dachte an Carla und ihre kreativen Ideen, ihr Potenzial, das Kaiba wohl kaum annähernd erahnte. Obwohl es zugegebenermaßen kurios war, dass ausgerechnet ein Paradiesvogel wie sie hier in der KC arbeitete. Mit ihren blauen Haaren, den vielen Tattoos und Piercings war sie jetzt nicht unbedingt die Mitarbeiterin, die man in diesem Unternehmen vermuten würde. Sah Kaiba vielleicht doch mehr in diesen Menschen, als ich glaubte? Und wieso zur Hölle war mir das nicht total egal?! Ich würde hier meine Sozialstunden abarbeiten (im besten Fall, ohne Kaiba unterwegs die Nase zu brechen) und dann wäre ich wieder hier verschwunden. So einfach war das!

Wütend riss ich die Tür zur 3. Ebene auf und sah auf mein Diensthandy. Frustriert bahnte mir meinen Weg zum Putzmittel-Lager: Walther hatte mich spontan zur Inventur eingeteilt- klasse...!

Beim Gedanken an diese Erinnerungen spürte ich einen Stich im Herzen. Damals war es so leicht, Kaiba „nah" zu sein. Heute sah ich ihn nur noch im Fernsehen, wenn er eine neue Produktreihe vorstellte, oder ein Interview für irgendein achso-wichtiges Wirtschaftsmagazin gab. Ein leises Seufzen entkam meinen Lippen, bevor ich mich meiner Müdigkeit endgültig ergab und in einen tiefen traumlosen Schlaf glitt.

Was wir nicht laut sagenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt