Die Arroganz des Wolfes

3 | Seelenverwandtschaft

Seelenverwandtschaft. Schon die kleinsten unter uns Wölfen wissen, was dieses Wort zu bedeuten hat. Uns wird eingetrichtert, dass es nur diese eine besondere Person gibt, bei deren Anblick man sich sofort unsterblich verliebt. Es heißt ja nicht umsonst, dass die Augen der Spiegel zur Seele sind. Blickst du in die deines Seelenverwandten, schaust du direkt in sein Inneres, so wie er auch in deins. Du reflektierst dich in ihm, erkennst seine dunkelsten Abgründe und bist dazu geschaffen, diese auch ohne Gegenwehr zu akzeptieren.

Wölfe, die das Glück schon hatten, ihren Gefährten zu finden, erzählen das Erlebte immer auf die gleiche Weise. 

Es wäre nur ein Blick nötig, und Zeit und Raum würden an Bedeutung verlieren. Du fühlst dich ihm verbunden und weißt, dass nur er dich zu etwas vollkommenen machen kann und dass nur er alleine dazu im Stande ist, dich mit Glück und Liebe zu segnen.

Meine persönliche Meinung ist aber eine andere. Ich empfinde es als Zwang, zu wissen, dass ich kein Recht dazu habe, alleine über mein Leben zu bestimmen. Es gibt keine Garantie darauf, dass man überhaupt seinen Seelenverwandten findet und wenn man ihn dann findet, was dann?

Ja, was dann?

Völlig genervt von dem Thema dieser Stunde, ließ ich den Stift frustriert fallen, stand hastig auf und bat Mr. Handsome darum, auf Toilette gehen zu dürfen. Ich würde sowieso keine 500 Wörter zusammenbekommen. Ich war sogar froh, dass mir überhaupt etwas einfiel, was ich aufschreiben konnte und nicht tatenlos herumsaß.

Als er mir mit einem Nicken die Erlaubnis gab, lief ich langsam am Rand des Raumes entlang zur Tür und ließ meinen Blick über meine Mitschüler schweifen. Alle schienen ganz begeistert von diesem Thema, was ich überhaupt nicht verstehen konnte. Wollten sie denn keine Selbstverwirklichung, sondern nur totale Abhängigkeit? War ich die Einzige, die Angst davor empfand, an jemanden gebunden zu werden? Anscheinend ja ...

Kopfschüttelnd verschwand ich in den breiten Flur, durch dessen große Fenster die Sonne Einlass bekam. Ich suchte einige Türen weiter die Toilettenräume auf, bei deren Betreten ich sofort ein weinerliches Schluchzen hörte.

Ich stand kurze Zeit wie erstarrt im Türrahmen und wusste nicht so recht, ob ich rein oder wieder rausgehen sollte. 

Nach einem kurzen Zögern plagte mich dann aber doch die Neugier und mein Mitgefühl, weswegen ich die Tür hinter mir schloss und einige vorsichtige Schritte in Richtung der Waschbecken machte, die sich rechts im Raum, gegenüber der drei Kabinen befanden. 

Mit dem Schluchzen in den Ohren schaute ich mir im Spiegel entgegen und stellte anschließend das kalte Wasser an, um es über meine warmen Hände laufen zu lassen. 

Es war erfrischend und wohltuend, doch ich machte es schnell wieder aus und drehte mich schließlich zu den Kabinen herum.

»Hallo?«, fragte ich leise und die Person in der Kabine hörte daraufhin augenblicklich auf mit ihrem Geheule, was meinen Ohren sofortige Erlösung brachte.

»Jadelyn?«

»Guiselle?«

Sofort öffnete das Mädchen, welches ich vom Nachsitzen kannte, die Kabinentür und schaute mit mir ihren feuchten, blauen Augen entgegen. Erschrocken darüber, dass sie im Gegensatz zu sonst wirklich beschissen aussah, lief ich schnell auf sie zu und wollte ihr irgendwie beistehen. Ihre blonden Haare mit den lila Strähnen sahen vollkommen zersaust aus. Die sonst so schöne braune Haut war blass und ihre Augen spiegelten mir nur Angst und Verzweiflung wider, was mir einen eiskalten Schauer über meinen Rücken jagte.

»Was zum Teufel ist denn passiert?«, wollte ich mitfühlend wissen und legte ihr dabei meine Hand behutsam auf ihre Schulter, bis ich plötzlich etwas Nasses unter meinen Fingern spürte und meine Hand daraufhin irritiert zurückzog, an der zu meinem Erstaunen Blut zu kleben schien.