Kapitel 2-2

18 10 4
                                    

Nami schlang die Reste des Essens herunter und eilte zu Wilingstons Büro. Sie hatte noch gut eine Viertelstunde, bis sie in der Tiefgarage antreten musste. Mit einem der umherstehenden Roller, die zur rascheren Fortbewegung innerhalb der Basis dienten, würde sie es rechtzeitig schaffen. Die Gewöhnlichen nutzten regelmäßig die dreirädrigen Stehroller. Ihre ständige Hektik zwang sie dazu, schnell von einem Ort zum anderen zu kommen. Kein Wunder, dass sie nicht besonders alt wurden.

Willingston hatte sein Büro an der Westseite der Basis. Der Lift direkt davor musste sie bis fast ganz nach oben fahren. Einzig Admiral Lee wohnte noch über ihm. Sie machte sich nicht die Mühe anzuklopfen und versuchte die Tür mit ihrer Magnetkarte kurzerhand zu öffnen. Entgegen ihrer Erwartung, blieb die Tür jedoch verschlossen. Hatte er die Sicherheitseinstellungen verändert? Noch bevor sie sich dazu überwinden konnte anzuklopfen, öffnete diese sich jedoch. Willingston sah ihr erwartungsvoll entgegen und deutete ihr hereinzukommen.

„Ares 12.5 V.6, das hätte ich mir ja denken können. Welches schwere Leiden belastet denn heute ihre gepeinigte Seele?"

„Sie können sich Ihren Sarkasmus sparen, General." Nami trat an seinen Schreibtisch heran und stützte die Hände auf das blank polierte Glas. Sie verdeckte damit ganz bewusst die darauf projizierte Übersichtskarte und zwang ihn so, ihr in die Augen zu sehen.

„Ich bin mit meinem Partner nicht zufrieden."

Willingstons Gesichtsausdruck verriet Unzufriedenheit, noch ehe er zu einer Antwort ansetzte. Nami bemerkte, dass sein glatt rasierter Kopf feucht war. Bei ihm ein typisches Anzeichen unterdrückten Ärgers.

„Das hätte ich sogar erraten, ohne Ihre Fähigkeiten zu besitzen", meinte er herablassend. „Was ist es dieses Mal? Handelt er zu selbstständig? Zu unselbstständig? Gefällt Ihnen seine Frisur nicht? Sehen wir ihn uns doch mal an."

Er wischte einen unsauberen Papierstoß zur Seite, der sich auf seinem Schreibtisch wie Heu stapelte. Danach fuhr er mit den wurstigen Fingern über die in den Tisch eingelassene Tastatur, worauf die Übersichtskarte Namis Hand durchdrang, nach oben wanderte und zwischen ihnen aufschimmerte. Gleich darauf zeigte das Bild Bibi in jüngeren Jahren, nebst einer Unzahl von Daten wie Größe, Alter und seinem Lebenslauf. Statt diese einfach abzulesen, druckte Willingston die Datenblätter aus und inspizierte sie mit zusammengekniffenen Augen.

Während er ausschweifend über Bibis Leben berichtete, indem er dessen Lebenslauf ablas, ließ Nami den Blick über die vielen Dokumente an der Wand gleiten. Unzählige Urkunden, hinter Glas geschützt, kündeten von Willingstons großen Taten. Sie suggerierten, dass sie einem wichtigen Mann gegenüberstand, ebenso wie Willingston gerade versuchte, ihr Bibi als solchen zu verkaufen. Peripher nahm sie die Information über seine vorbildliche Fügsamkeit, den Eifer für die Mission und vieles mehr an unnützen Wissen über ihren Begleiter auf. Gerade wandte sie sich den Buchtiteln in dem Regal hinter Willingston zu, da schreckte er sie mit lauter Stimme wieder auf.

„Hören Sie mir überhaupt zu?!", schnaubte er.

Nami blinzelte ihm gespielt entschuldigend zu. „Ich denke ich habe schon mitbekommen, wie viel Sie von ihm halten. Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich nicht mit ihm zurechtkomme."

Mit einem wütenden Wischen über die Glasfläche verschwand die Projektion und er knallte ihr den Papierstoß hin als erwarte er, dass sie diesen nun persönlich durchging. Nami schnaubte verächtlich und stieß dagegen, sodass sich ein Blätterregen über Willingstons Boden ergoss.

Willingston lehnte sich tief in seinen Sessel und faltete die Hände auf dem Schoß zusammen. Seine eisblauen Augen waren starr auf die Wand hinter ihr gerichtet. Er hatte sie derartig verengt, dass sie viel zu klein für sein massiges Gesicht wirkten. Dieses hatte im Verlauf ihres Gesprächs einen rosigen Ton angenommen.

„Ares 12.5 V.6, Sie fallen in den Bereich ungeplanter Projekte."

Nami wollte schon aufbegehren, aber er ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen.

„Eigentlich hätten Sie bereits vor ihrer Geburt, spätestens unmittelbar danach, liquidiert werden sollen. Sie verdanken Ihr Leben einzig dem Umstand, dass unsere Wissenschaftler Sie für interessant halten. Das schützt Sie allerdings nicht davor, dass ich Sie möglicherweise degradieren lasse, wenn Sie nur Ärger machen. Dann müssen Sie sich keine Sorge mehr um Ihren Partner machen. Ich würde Ihnen dann einen Besen als Begleitung zuweisen, der Sie auf dem Weg durch die Basis begleiten wird." Er lächelte sie süffisant an.

Nami spürte heiße Wut in sich aufsteigen. Ein elektrisches Knistern verriet ihr, dass man ihr das auch ansehen konnte. Es dauerte länger als gewöhnlich, bis ihre Gefühle mit Gewalt reguliert werden konnten.

„Ich habe meine Aufgaben bisher tadellos ausgeführt. Eine Versetzung aus einer derartig unzureichenden Begründung wäre wohl nicht angebracht."

„Wenn ich das recht gesehen habe, haben Sie gestern ihr Kontingent nicht erreicht. Vielleicht ist Ihnen die Wichtigkeit unserer Aufgabe nicht bewusst?"

Er lächelte wie ein Raubtier, dass sich seiner Beute sicher war. Nami biss sich wütend auf die Lippe, wusste aber nichts darauf zu erwidern. Natürlich hatten sie nicht alle Patronen abgefeuert.

„Mein Begleiter ist ständig betrunken. Wie sollte ich unter solchen Umständen meine Mission zufriedenstellend erledigen?!"

„Ares 12.5 V.6", begann Willingston in belehrendem Tonfall. „Der professionelle Umgang mit einer Frau Ihres Gemüts lässt selbst mich eine Flasche Hochprozentiges herbeisehnen. Ich kann es ihrem Kollegen schlecht verbieten, sich ihre Gegenwart zumindest erträglich zu saufen."

Dieses Mal war ihr Chip bereits in Alarmbereitschaft. Ein fühlbares Ziepen verhinderte einen emotionalen Ausbruch. Es war egal, was sie sagte. Dieser Mann wollte ihr nicht helfen. Viel eher labte er sich an ihrem Leiden. Und faktisch saß er am längeren Hebel.

Mit einem Blick auf seine Armbanduhr fügte Willingston hinzu: „Sollten Sie sich nicht langsam aufmachen? Sie wollen doch nicht zu spät kommen und dadurch erneut Ihr Ziel verfehlen?"

„Natürlich General", sagte Nami verbissen.

Sie drehte sich langsam um. Jeder Muskel in ihrem Körper schrie protestierend auf, verlangte sich zu wehren. Aber diesen Kampf konnte sie nicht gewinnen. Es war ganz normal, dass ineffiziente Arbeiter versetzt, wenn nicht gar entsorgt wurden. Und im Moment stellte sie genau das für den Computer dar.

„Vergessen Sie nicht ihre Abendlektüre."

Die bedruckten Papierseiten sammelten sich wie von Geisterhand gehoben in der Luft, ehe sie sich zu einem einzigen Papierknäuel zusammenfügten. Dieser landete Sekunden später in der Abfalllade nebst Willingstons Schreibtisch. Am liebsten hätte sie ihren Vorgesetzten gleich dazu gesteckt.

„Danke, ich lese lieber an meinem Computer."

„Nicht, dass sie noch schlechte Augen bekommen, Mädchen."

Sie würdigte seine Spitze keiner weiteren Antwort. Als sich die Tür vor ihr öffnete, rief Willingston ihr noch hinterher:

„Ihre Mutter stand im Verdacht, gegen das System zu arbeiten. Sollte ich bei Ihnen auch nur die leiseste Ahnung in diese Richtung haben, werde ich nicht zögern, Sie zu deaktivieren. Bedenken Sie diese Option, bevor Sie hier das nächste Mal auftauchen."

Nami hob ihr Armband, das sie rund um die Uhr trug, vor ihr Gesichtsfeld. Noch nie hatte sie dessen Bedrohung für sie so deutlich gespürt, wie in diesem Moment. Mit gesenktem Kopf verließ sie das Büro.

Die Kinder des AresWo Geschichten leben. Entdecke jetzt