Ich entscheide mich, die Zeit allein zu nutzen und ins Bad zu gehen. Dort wasche ich mein Gesicht. Als ich hoch in den Spiegel blicke, habe ich das Gefühl, den Mann aus meinem Traum direkt hinter mir wahrzunehmen. Ich sehe es nicht mit den Augen, wie ich mich im Spiegel sehe, es ist eher seine Präsenz, die klar spürbar ist. Wärme breitet sich noch mehr in meinem Körper aus und ich werde ganz ruhig innerlich. Jetzt kann ich Kiran ganz klar spüren, er wirkt weit weg, aber dennoch so lebendig wie selten zuvor. Ich höre sogar den Hall seines Lachens. Mein Spiegelbild zeigt mir, dass Tränen über meine Wangen fliessen. Doch diese entspringen der tiefen Rührung, die ich gerade durchlebe.
Ich hoffe, das Gefühl bleibt. Mit diesem Gedanken schleicht sich jedoch ein Hauch der Angst in mein Gemüt, die mich seit Kirans verschwinden immer wieder beinahe überwältigt hat. Ich verlasse das Bad wieder und sehe, dass Darian mittlerweile auch aufgestanden ist. Er sieht mich leicht unsicher an. Vielleicht fürchtet er sich davor, dass ich gleich wieder zusammenbreche. Ich lächle ihn an, um ihm zu zeigen, dass ich mich so weit gut fühle.
«Guten Morgen, entschuldige bitte meinen Zusammenbruch in der Nacht, ich fühle mich jetzt wieder besser.» Er wirkt beruhigt und zieht sofort seine undurchdringliche Fassade wieder hoch.
«Ich hole das Frühstück.» Ich nicke.
Einige Zeit später kommt er zurück mit zwei Tellern, darauf befindet sich ein leicht grauer Brei. Mir wird schon übel, wenn ich mir vorstelle, das zu essen. Das sieht er mir wohl an und zuckt mit den Schultern.
«Das ist alles, was es gibt. Sonst musst du warten bis zum Mittagessen», informiert er mich sachlich.
«Gut, ich verzichte gern», antworte ich immer noch angewidert auf den Brei blickend. Er setzt sich nun mit beiden Tellern hinter den Tisch und beginnt zu essen. Ich ziehe mich in eine Ecke der Zelle zurück, aus der ich so wenig wie möglich davon mitbekomme, wie er isst.
Ich frage mich, ob ich verwöhnt bin und warum es in diesen Gemeinschaftsgebäuden, einschliesslich der Schule, nur so grässliches Essen gibt. Auf diesem Planeten gibt es so viel Grün und wir pflanzen und ernten viel frisches Gemüse und Obst. Wie kann man dann solche Pampe servieren. Woher haben sie die überhaupt?
Nach einer Weile des Essgeräusche-Ignorierens entscheide ich mich dazu, mich nochmals hinzulegen und ein paar Stunden Schlaf nachzuholen. Vielleicht erfahre ich so mehr über Kiran. Kiran steht für mich an erster Stelle. Mein Vater ist erwachsen und kommt sicher besser allein klar als mein kleiner Bruder. Ausgestreckt auf der Pritsche schliesse ich meine Augen und atme tief durch.
Ich sehe mich von oben mit meiner Mutter spielen. Wir sind auf der Arche und ich bin noch relativ klein. Wir lachen gerade über unser Spiel und sind voller Freude, doch dann weiten sich die Augen meiner Mutter plötzlich und sie wird ganz blass. Sie verliert das Bewusstsein und bleibt regungslos am Boden liegen. Die Szene zieht mich in meinen kleinen Kinderkörper und ich erlebe das alles als kleines Mädchen.
Ich spüre tiefe Verzweiflung und Angst in mir, so kurz nach der grossen Freude. Ich beginne, lautstark zu weinen und schreie, um auf uns aufmerksam zu machen. Mein Vater kommt hereingestürmt und sein Entsetzen verängstigt mich noch mehr. Habe ich Mami kaputt gemacht? Mein Weinen wird immer schlimmer. Die Angst und Schuld graben sich immer tiefer in mein kleines Kinderherz, während mein Vater meine Mutter hochhebt und nach draussen trägt.
Ich bleibe allein und es wirkt, als würde die Welt immer dunkler werden. In dem Moment werde ich wieder aus meinem Kinderkörper gezogen. Ich stehe neben meinem kleinen Ich. Neben mir spüre ich die starke und liebevolle Präsenz des blonden Mannes. Mir wird klar, dass ich damals bereits eine tiefe Angst davor entwickelte, Menschen, die ich liebe, zu verlieren. Ausserdem drosselte ich meine Freude immer auf ein Mass herunter, damit ich nie mehr so überrascht werde.
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Weltenwandler - die Geheimnisse der Träume
Science Fiction***Leseprobe*** In den nächsten Wochen bei Amazon erhältlich. - Band 1 - «Wann immer die Angst kommt, mache dir bewusst, dass ich näher bin als dein Herzschlag. Ich stehe dir zur Seite, wenn du das wünschst.» *** Eigentlich wissen die Menschen nicht...