Julie
Das erlebte Gespräch war in vielerlei Hinsicht verstörend für Julie. Als sie erwachte, war sie in einem Raum, den sie nicht erkannte. Ein fremder Ort, den sie nicht durchblickte. Weit seltsamer war jedoch, dass sie sich an keine Details aus ihrem bisherigen Leben erinnerte. Sie vermochte zu sagen, wie alt sie war, wie ihr Name lautete, wie man las, schrieb, rechnete. Aber egal wie intensiv Julie grübelte, ihr Gedächtnis enthielt ihr Dinge vor. Dinge wie Einzelheiten über ihre Familie, Freunde, ihre Schule oder Heimat. An nichts davon entsann sie sich. Was war passiert? Seufzend rieb sie sich die Schläfen. Drückende Kopfschmerzen verdrängten ihre Gedanken an die fehlenden Erinnerungen. Es fühlte sich nahezu an, als müssten Kenntnisse sich in ihrem Kopf einen Platz suchen. Wissen, welches vorher nicht dortgewesen war. Ohne auf ihre Umgebung zu achten, schlenderte Julie über eine staubige Straße und versuchte, das vor wenigen Momenten beendete Gespräch einzuordnen. In dieser Kammer war ihr ein seltsames Wesen erschienen. Eine Gestalt, die aus purem Licht zu bestehen schien. Sie wirkte fremd und doch erstaunlich vertraut. Ihre Stimme war hell und freundlich. Die Erscheinung stellt sich als der Erzengel Michael vor. Von Gott geschickt, um Jeanne auf eine Mission zu schicken. Die Aufgabe, Frankreich zum Sieg über England zu führen. Jeanne d'Arc. Ihr Name und trotzdem fühlte er sich falsch an, ebenso wie diese ganze Umgebung hier. Julie schüttelte sich. Wer war denn so wahnsinnig und zog mit Schild und Schwert in die Schlacht? Gar an der Spitze einer Armee? Sie mit Sicherheit nicht, was sie dem Engel auch klar gesagt hatte. Das wäre doch glatter Selbstmord.
Unbehagen breitete sich in ihrem Bauch aus. Was Julie verwirrte, waren die vielen Empfindungen. Sie spürte, dass sie zur Schule gegangen, sie aber gehasst hatte. Das sie eine fürchterliche Schülerin war, die mit ihren Lehrern nicht zurechtkam. Doch auch dabei war sie nicht in der Lage, zu sagen, woher diese Gefühle stammten. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals eine Schule besucht zu haben. Julie wusste, dass sie keine Menschen mochte, keine Verpflichtungen, keine Aufgaben.
„Was, zum Teufel, ist mit mir passiert? Wer bin ich?"
Ihr Kopf blieb leer und beantwortete nicht eine einzige Frage. Egal an was sie dachte, in ihren Erinnerungen war einfach gar nichts. Wie die Ordnerstruktur in einem Computer, bei dem in sämtlichen Ordnern alle Dateien gelöscht worden waren. Nur ein paar wenige Details über ihre Eltern waren noch vorhanden. Dinge, die sie gesagt oder getan hatten. Es waren jedoch nur kleine Schnipsel an Eindrücken. Was ebenfalls megaseltsam war, war die Tatsache, dass Julie niemals die französische Sprache gelernt hatte, da war sie sich sicher, sie jetzt aber fließend beherrschte. Wahrscheinlich war das eines der Dinge, die ihre Kopfschmerzen verursachten.
Die Gespräche um sie herum nervten Julie. Es war laut, hektisch und es stank bestialisch. Die Leute hier kippten ihren Unrat einfach auf die Straße und mehrfach sah sie Männer, die sich an einer Hauswand erleichterten. Völlig schamlos, am Rande einer Menschenmenge. Julie rümpfte die Nase, das war ja ekelhaft. Und dann diese Blicke. Sie hatte das Gefühl, ein Großteil der Menschen hier starrte sie an. Eine ältere Dame zeigte sogar auf den Teenager und tuschelte mit ihrem Nebenmann. Julie gaffte zurück:
„Was ist? Haben sie ein Problem mit mir?"
Die Augen der Dame weiteten sich und rasch wurde sie von ihrer Begleitung zwischen die Menschen gezogen. Warum wurde Julie von allen so angestarrt? Fast, als wäre sie ein Monster. Sie zwängte sich durch eine Menschengruppe und folgte dem groben Weg weiter. Ohne Ziel, ohne Idee wie es weiterging. Die Straße war schmal und die hohen Fassaden tauchten den Boden in zwielichtiges Licht. Stände säumten die Ränder und Kaufleute buhlten um die Kunden. Der Lautstärkepegel war sogar fast nerviger als der Gestank. Julie überlegte. Was ließ sich hier unternehmen? Sie richtete ihre Frage an die Person neben ihr, doch die Frau starrte den Teenager nur entgeistert an:
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1429 - Was, wenn Gott einen Fehler macht?
Historical FictionLina ist ziemlich überrascht davon, sich nach einem schweren Autounfall unverletzt in einem geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmer wiederzufinden. Die Überraschung weicht aber schnell Bestürzung, als sie Gott höchstpersönlich gegenübersteht, der ih...