Ben
Es war eine nahezu übermenschliche Anstrengung, aber zum Schluss wurde er belohnt. Innerlich lachte Ben auf, als er die Augen aufschlug. Er hatte es geschafft. Der erste Eindruck nach dem Erwachen war seltsam. Ein Gefühl, sich jahrelang kaum bewegt zu haben. Stöhnend reckte sich Ben und brachte ein wenig Bewegung in seine Gliedmaßen. Die Minuten verstrichen und endlich war er in der Lage, sich aufzusetzen. Erst jetzt bemerkte er die Bauart des Zimmers. Die Wände bestanden aus grobem Stein und schwere Holzbalken stützten die Decke. Nur wenig Licht fiel durch die schmalen Fenster und tauchten, obwohl draußen blauer Himmel zu erkennen war, den Raum in Zwielicht. Eine ungute Vorahnung stieg in Ben auf:
„Nicht schon wieder! Was ist es diesmal?"
Seine Stimme war lauter als beabsichtigt und enthielt eine große Portion Frust. Die Luft in der Kammer zog und ließ Ben, nach dem Verlassen des warmen Bettes, frösteln. War er etwa zum zweiten Mal in einer anderen Zeit? Vor einem Moment hatten Lina und er auf der Flucht vor einer Gruppe Söldner einen Autounfall und jetzt war er hier. Das durfte nicht sein. Nicht schon wieder. Sein Blick wanderte an ihm herunter und bekräftigte die Vorahnung. Ein grobes Hemd wurde von einer steifen Lederweste verdeckt. Die Hose endete an den Knien und verjüngte sich dort zu einer Art von Kniestrümpfen, die schließlich in schweren Lederstiefeln verschwanden. Die Kleidung eines Waffenknechtes. Eines Soldaten. Mit schnellen Schritten war Ben an dem schmalen Fenster und warf einen Blick auf die Straße. Der Ausblick bewies seine erste Vermutung. Menschen in altertümlichen Gewändern eilten umher. Kaufleute brüllten um Kunden um die Wette und eine kleine Anzahl von Pferden stand abwartend herum. Ben schluckte schwer:
„Mittelalter? Ernsthaft? Und wieder im Militär? Scheiße!"
Ben dachte einen Moment lang ehrlich darüber nach, seinem Leben hier direkt ein Ende zu setzen. Auf gar keinen Fall würde sich die Geschichte wiederholen und ihn wieder dazu zwingen, für die Einhaltung einer Zeitlinie zu kämpfen. Mit hinter dem Rücken verschränkten Händen wanderte Ben in dem Raum auf und ab. Einzelne Bilder und Erinnerungen an Artikel aus Büchern flimmerten durch seinen Kopf. Wenn er sich richtig erinnerte, waren die Waffenknechte im Rang unter den Rittern, welche im Regelfall adelig waren. Er kannte sich in dieser Thematik aber nicht gut genug aus, um dabei sicher sein zu können. Halb in seinen Gedanken versunken, verließ Ben das Zimmer, folgte einer schmalen steinernen Treppe und trat auf die Straße. Sofort fiel ihm der enorme Gestank auf. Ja, das war eindeutig das Mittelalter. Eine Zeit, in der sich die Menschen unbekümmert am Straßenrand erleichterten. Mit gerümpfter Nase und bemüht, sich seinen Ekel nicht anmerken zu lassen, folgte Ben dem Weg. Die Gespräche der Leute drangen in seine Ohren und gaben ihm zumindest einen Hinweis, darauf, wo er sich befand. Frankreich. Ben fluchte lautlos, da er diese Sprache nicht beherrschte. Weitere Gedanken wurden durch einen kräftigen Stoß im Rücken aus dem Kopf geschlagen. Durch die ganze Situation genervt fuhr er herum und setze gerade zu einem deftigen Schimpfwort an, als er innehielt. Die junge Frau mit langen, leuchtend roten Haaren, die ihn unsanft zur Seite geschoben hatten, war bereits weitergerannt und verschwand zwischen den Menschen. Ben sah ihr nach und ging schnell die Jahreszahlen des Mittelalters im Kopf durch. Je nachdem, wann er sich in dieser Zeit befand, würde ihr diese Haarfarbe Probleme einbringen. Rothaarige wurden schließlich in einigen Epochen Hexen verschrien und gerne verbrannt. Schulterzuckend wandte Ben sich ab, er hatte aktuell andere Sorgen. Ein rundlicher Mann mit einem kleinen Tuch in der Hand, der das Mädchen offenbar verfolgte, blieb atemlos neben Ben stehen:
„Merde! Tu n'es qu'une sale petit voleuse!"
Auch ohne die Sprache zu beherrschen, war das erste Wort eindeutig. Sie hatte vermutlich irgendetwas getan, was ihren Verfolger ziemlich verärgerte. Der drehte sich schnaufend um und schob sich grob durch die Menge. Nach wenigen Augenblicken kehrte wieder Ruhe ein. Nicht mehr an den Vorfall denkend wanderte Ben weiter. Sofort drängte sich erneut die eine Frage in den Vordergrund: Warum war er hier? Er bahnte sich einen Weg durch die Menschen. Unabhängig davon, was hier los war, brauchte er Antworten. Nur wie bekommen, wenn man die Sprache nicht beherrschte? Eine Zeitung oder ein schwarzes Brett? Gab es hier so etwas in der Art? Vermutlich nicht. Je nach Epoche des Mittelalters war der Buchdruck und alles Folgende noch gar nicht erfunden. Der erste Schritt war also, das aktuelle Jahr herauszufinden. Ohne französische Sprachkenntnisse entschied Ben sich für Englisch, als er einen älteren Herren ansprach:
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1429 - Was, wenn Gott einen Fehler macht?
Historical FictionLina ist ziemlich überrascht davon, sich nach einem schweren Autounfall unverletzt in einem geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmer wiederzufinden. Die Überraschung weicht aber schnell Bestürzung, als sie Gott höchstpersönlich gegenübersteht, der ih...