Kapitel 33

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"Er ist so ein Idiot!" Erschrocken sah ich von meinem Buch auf, als Liza in den Schlafsaal gestürmt kam und die hölzerne Tür donnernd ins Schloss fiel. Ich brauchte gar nicht fragen, was denn los sei, Liza polterte schon los: "Ich hab ihn mit dieser Tussi gesehen." Ich wusste, von wem sie sprach. Justin, ein Hufflepuff und seit zwei Monaten Lizas fester Freund. Und Phine, auch Hufflepuff und bekanntlich total verknallt in Justin. Seit dem Anfang ihrer Beziehung war Phine Liza ein Dorn im Auge - zurecht wohl bemerkt. Bisher hatte es nie den Anschein gemacht, als würde Justin auf Phines Flirtversuche anspringen, obwohl sie wirklich sehr hübsch war mit ihren hellen Haaren, den großen Augen und dem unschuldigen Blick. Doch Justin war ihr vorher sechs Jahre aus dem Weg gegangen, warum sollte sich das jetzt ändern?

"Ich wollte Justin beim Quidditsch-Training überraschen." Das wusste ich. Liza hatte ihn in der letzten Woche kaum gesehen, da die Hufflepuff-Mannschaft ständig für das kommende Spiel trainierte und wollte ihm deswegen einfach ein wenig beim Bälle Werfen zusehen. So hatte sie es mir gesagt, als sie vor einer halben Stunde aufgebrochen war. "Aber weißt du was? Die Hufflepuffs trainieren heute gar nicht. Auf dem Feld waren nur Slytherins. Und nur mal nebenbei gesagt: Gestern haben sie auch nicht trainiert. Und am Montag auch nicht!" Oh oh, das waren keine guten Neuigkeiten. Es bedeutete zumindest schon mal, dass Justin meiner besten Freundin diese Woche schon drei Mal ins Gesicht gelogen hatte. "Da habe ich mich natürlich gefragt: 'Wo könnte er denn stattdessen stecken?' In der Eulerei war er nicht, in der großen Halle auch nicht, die Bibliothek habe ich ausgeschlossen und in seinen Gemeinschaftsraum konnte ich nicht. Also bin ich zu unserem Ort gegangen." 'Ihr Ort' war eine kleine Nische in irgendeinem der Hogwartsgänge. Wo genau das war, wusste ich nicht, Liza hatte mir nur davon erzählt. Soweit ich wusste, war das ein sehr guter Platz um ... ungestört zu sein.

"Jay, er war dort mit diesem Miststück! An unserem Ort!" Mittlerweile war Liza in Tränen ausgebrochen. "Wie konnte er mir das antun?" Da sie nah genug war, konnte ich sie einfach so zu mir auf das Bett ziehen und sie umarmen. Liza drückte ihren Kopf an meine Schulter und weinte eine halbe Ewigkeit, ohne etwas zu sagen. Ich saß nur da wie ein begossener Pudel, strich meiner Freundin über den Rücken, sagte aber nichts. Was hätte es auch gebracht. Ein 'Alles wird gut' hätte momentan wohl kaum der Wahrheit entsprochen. Und dass Justin ein Idiot war, wusste sie mittlerweile selbst. Ihm und Phine sämtliche Flüche an den Hals zu wünschen, überließ ich lieber Liza, auch wenn ich mich vor meinem geistigen Auge selbst schon mit erhobenem Zauberstab vor Justin sah. Ich würde ihm nichts antun, das wusste ich. Und das wusste auch Liza, aber trotzdem war es auf eine gewisse Art befriedigend, sich einfach nur vorzustellen, welche Qualen der Kerl verdient hatte.

"Warum verlassen mich alle?" Lizas Stimme war über die vielen Schluchzer kaum zu hören, aber da sie so nah bei mir war, konnte ich sie trotzdem verstehen.

"Er ist ein Arschloch, Li. Mach dich deshalb nicht kaputt. Er ist es nicht wert." Kein Junge, der ein Mädchen so behandelte, war irgendwelche Tränen wert. "Und nicht jeder verlässt dich, hörst du? Ich bin für dich da. Immer. Das weißt du." Liza verkrampfte erst, dann schob sie sich von mir fort.
"Ach ja? Du bist doch bestimmt auch schon total genervt von mir. Wochenlang erzähle ich dir nur, wie toll der Typ doch ist und jetzt heule ich dir wegen der gleichen Person die Arme voll!"
"Liza ..." Ich wollte sagen, dass das nicht stimmte. Dass sie mir nicht auf die Nerven ging, dass ich gerne für sie da war und dass ich sie niemals im Stich lassen würde. Alles wahre Worte, doch Liza ließ sie mich nicht aussprechen.

"Du musst mich hassen. Du musst mich hassen, so wie er es tut. Und so wie alle anderen auch. Was bin ich schon? Ein naives, gebrochenes kleines Kind, das an das Gute in jedem Menschen glaubt. Total lächerlich, nicht wahr? Ich bin selbst schuld."
"Liza." Ich versuchte ruhig zu bleiben, aber sie verletzte mich mit ihren Worten. "Hör auf das zu sagen, das stimmt doch gar nicht."
"Und ob das stimmt. Ich habe damals geglaubt, meine Tante sei lieb - sie war die Schwester meines Vaters, da musste sie doch lieb sein, oder? Dann habe ich an Samanthas Freundlichkeit geglaubt und mich von ihr ausnutzen lassen, bis du mal Klartext geredet hast. Nun habe ich den Fehler gemacht, zu denken, ein Junge könne mich mögen oder gar lieben. Es war so blöd von mir. Und ich habe ..."

"Ich mag dich. Sehr sogar. Mehr als sonst jemanden. Und das sage ich dir gerne immer und immer wieder. Justin war eine Ausnahme. Ein Kerl von vielen. Ein Troll ohne genug Grips im Hirn, um zu verstehen, was für ein wunderbarer Mensch du bist." Meine Wut auf Justin stieg ins Unermessliche. Ich hatte Liza noch nie so niedergeschlagen gesehen und vor allem hatte sie zuvor noch nie so große Selbstzweifel gehabt. Was hatte der Saukerl nur angerichtet?

"Ich will dir glauben, Jaymin, aber es tut so unglaublich weh. Ich ... ich will nicht noch mal so verletzt werden." Liza stand langsam von meinem Bett auf. "Ich kann niemanden an mich ran lassen. Das endet nicht gut. Ich werde doch so oder so immer wieder enttäuscht. Von jedem."
"Oh nein Liza!" Ich ahnte, was sie damit meinte. "Habe ich dir jemals Anlass gegeben, von mir enttäuscht zu sein?" Das wäre das Schlimmste. Liza war einer der wenigen Menschen, die ich unter keinen Umständen enttäuschen wollte. Sie schüttelte den Kopf, wollte aber scheinbar etwas sagen. Ich kam ihr zuvor: "Du meinst doch jetzt nicht, dass ich dich auch nur belügen würde. Denkst du ernsthaft, ich wäre sechs Jahre mit dir durch dick und dünn gegangen, um dich dann fallen zu lassen?"
"Nein. Nein, das denke ich nicht, aber was ist, wenn du irgendwann doch genervt von mir bist? Früher oder später ist das doch jeder. Justin hat immerhin auch gesagt, er würde mich für immer lieben."
"Justin ist blind. Und dumm. Und ein Troll durch und durch. Er hat dich nicht verdient, also lass nicht zu, dass er sich jetzt auch noch zwischen uns stellt." Liza haderte mit sich selbst. Sie knetete ihre Hände, sah kurz zur Tür, dann wieder zu mir. "Projiziere nicht die Fehler anderer auf mich. Nur weil andere dich hintergehen, heißt das nicht, dass ich das auch tun würde. Du weißt, wie lieb ich dich hab. Und daran wird sich auch nichts ändern. Nie und nimmer."

"Du hast recht. Tut mir leid, Jay." Liza setzte sich wieder zu mir. "Aber es tut trotzdem weh. Vertrauen ist so schwierig, wenn man von geliebten Menschen enttäuscht wurde." Ich zog meine Freundin wieder in eine Umarmung.
"Es sagt ja auch niemand, dass es leicht ist. Und du musst dir ja auch nicht morgen den nächsten Kerl suchen. Hasse erstmal still vor dich hin - wir hassen gemeinsam. Das macht es leichter. Und dann, irgendwann, tut es weniger weh. Und dann schaffst du es von ganz allein, wieder zu vertrauen, okay?" Liza lächelte. Endlich.
"Okay."

Ich schreckte nicht aus dem Schlaf, wie ich es sonst tat. Ich wurde nicht geweckt von etwas oder jemandem. Ich war nicht von jetzt auf gleich wach, sondern ich kam langsam in die Realität zurück. Meine Augen hielt ich geschlossen, bis ich mir sicher war, dass ich wirklich aufgewacht und nicht mehr in irgendeiner Traumlandschaft war. Ich behielt die Augen auch geschlossen, als ich über meine neueste Erinnerung nachdachte. Wieder einmal hatte mir mein Unterbewusstsein den Moment aus meiner Vergangenheit gezeigt, der mir jetzt am meisten helfen konnte.

Ich war unfair zu George, unfair, wie auch Liza es damals zu mir gewesen war. Ich sollte nicht den gleichen Fehler machen wie sie und den einzigen Menschen, der mir noch blieb, auch noch von mir stoßen. George konnte nichts für das Fehlverhalten eines Hausmädchens und nur weil mich ein Mensch enttäuschte, hieß das nicht, dass auch ein anderer das tun würde. Also öffnete ich meine Augen, machte George in der Dunkelheit aus -er lag nach wie vor an die Bettkante gedrückt, ebenso wie ich- und rutschte dann näher an ihn heran. Um nicht zu riskieren, dass er aus dem Bett fiel, blieb ich in der Mitte liegen und zupfte an seinem Oberteil. Ich wollte, dass er auch näher rückte und entweder war er wach oder sein Unterbewusstsein bemerkte es, denn er drehte sich und kam somit tatsächlich näher. Ohne weiter darüber nachzudenken, kuschelte ich mich in seine Arme und war schnell wieder eingeschlafen.

Bis ich vom Gegenteil überzeugt werde ... / George Weasley FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt