Flucht

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An nächsten Morgen wurde ich von den ersten Sonnenstrahlen geweckt die durch mein Dachfenster auf mein Bett fielen. Entspannt öffnete ich die Augen und streckte mich ausgiebig. Eigentlich hatte ich recht gut geschlafen, mal ganz abgesehen von den grünen Augen die mich noch immer verfolgten.
Wer war er nur gewesen?
Dass es ein ER war, war klar. Der große Schatten er definitiv der eines Mannes gewesen. Woher ich das wusste? Das wusste ich selber nicht. Es war eine Vermutung. Eine Ahnung.
In Gedanken versunken stand ich auf und schnappte mir frische Kleidung. Dann tapste ich auf leisen Sohlen in den Waschraum und wusch mich. Keine halbe Stunde später war ich fertig und verließ das Bad wieder. Als ich mein eigenes Zimmer betrat, wurde die Tür hinter mir mit einem lauten Knall zugeworfen. Sofort fuhr ich herum. Damian stand mit verschränkten Armen vor der Tür und blickte mich mit einem Lächeln auf den Lippen an.
"Was machst du hier?", fragte ich direkt.
"Dir auch einen guten Morgen, Prinzessin. Ich hoffe du hast gut genächtigt?", begrüßte er mich. Um ehrlich zu sein, hatte ich damit gerechnet, dass er toben würde wenn er mich das nächste Mal sehen würde. Damit hätte ich wenigstens umgehen können.
Verwirrt sah ich ihn an. Seine Freundlichkeit wirkte wie zu helles Sonnenlicht auf mich.
Ich kniff die Augen zusammen und musterte ihn von oben bis unten gründlich.
"Hat mein Vater dich wegen Unzuverlässigkeit entlassen, oder warum grinst du so?", wollte ich wissen und lächelte, in der Hoffnung ihn bald wieder los zu sein.
"Nein.", antwortete er "Besser."
Was konnte denn besser sein, als für mich nicht mehr den Babysitter spielen zu müssen?
Skeptisch zog ich die Augenbrauen zusammen und starrte ihn herausfordernd an.
"Jetzt sag schon.", fuhr ich ihn dann nach einiger Zeit entnervt an.
Doch er schüttelte nur den Kopf. "Vergiss es. Dein Vater wird es dir früher oder später eh sagen. Ich würde dir nur nahelegen, deine letzten Wochen hier zu genießen."
Das siegessichere Lächeln auf seinen Lippen verunsicherte mich fast noch mehr, als das was er gesagt hatte.
"Meine letzten Wochen?", echote ich schwach und Band mir die Haare hoch.
"Du wirst schon sehen.", kicherte er und verließ das Zimmer. Dann steckte ein letztes Mal den Kopf zur Tür hinein. "Ach und außerdem will dein Vater in fünfzehn Minuten, dass gesamte Schloss zu einem großen Essen im Hof versammelt haben.", ergänzte er und entfernte sich endgültig.
Verwirrt ließ ich mich auf mein Bett sinken.
Meine letzten Wochen? Was meinte er damit? Würde Vater mich wegschicken? Oder hatte Damian etwas geplant was nur er wusste?
Dann kam mir ein paar grüner Augen wieder in den Sinn. Hatten sie vielleicht etwas damit zu tun?
Ich würde meine Antwort darauf bekommen. Schneller als mir lieb war.
Da mir die ganze Situation höchst seltsam vorkam, versuchte ich mich auf andere Gedanken zu bringen. Mein Vater plante also ein Essen. Dann würde ich mich mal wie eine Prinzessin Benehmen und Damian zeigen, dass ich doch eine Dame sein konnte.
Nach kurzer Überlegung entschied ich mich für ein marineblaues Kleid, dass an der Brust recht eng saß und ab der Hüfte weit auf den Boden fiel. Es machte ein wunderschönes Dekolleté und war gerade so an der Grenze um zu viel zu zeigen.
Meine Haare knotete ich streng hinter meinem Kopf zusammen und ließ nur auf jeder Seite eine blonde Strähne an meinem Gesicht herunterhängen.
Als ich fertig war begutachtete ich mein Werk im Spiegel und musste ehrlich zugeben, dass es gut aussah. Anders aber gut.
Jay würde Augen machen. Und Damian erst. Aber das hatte ich ja bezwecken wollen.
Die Fanfare ertönte und verkündete, dass der Hofstaat sich versammeln sollte.
Seufzend warf ich einen letzten Blick zu meinem Spiegelbild. Sollte ich wirklich so gehen? War das wirklich ich? Schell schüttelte ich jegliche Zweifel ab und marschierte aus dem Raum. Allerdings barfuß.
Doch das würde niemand bemerken, da der Saum des Kleides meine Füße bedeckte.
Während ich durch die Gänge bis in den Hof eilte, traf ich einige Bedienstete, die alle ehrfürchtig stehenblieben, sich verneigten und mir Komplimente über mein überraschendes Aussehen machten.
Ich nahm alles dankend zur Kenntnis und betrat gemeinsam mit Helena, unserer Bibliothekarin, den großen Platz. Ein Großteil der Burgbevölkerung war bereits eingetroffen und saß lachend an einem der vielen Tische. Es wurde viel geredet, gelacht und getrunken. Mein Volk.
Helena verabschiedete sich und ich Schritt mit hoch erhobenen Haupt zu meinen Vater und Damian, die beide auf einer höher gelegenen Empore saßen. Damian sah mich schon von weiten und ihm fiel wortwörtlich die Kinnlade hinunter. Doch selbst dieser amüsante Anblick schaffte es nicht mich davon abzulenken, das ich mich ärgerte, dass er neben meinem Vater sitzen durfte. Klar war mein Platz auf der anderen Seite von Vaters Thron und trotzdem ließ es mich den Haas gegen Damian weiter schüren.
Was erlaubte er sich?
Ich biss mir auf die Zunge um ihm nicht an die Gurgel zu springen, als ich an ihm vorbei marschierte. Neben mir hatte Jay bereits Platz genommen und nahm meine Hand, als ich mich auf dem Thron meiner Mutter niederließ.
"Oh das sieht nicht gut aus. Was hat er getan um dich zu erzürnen?", lachte Jay sah mich aber ernsthaft besorgt an.
"Er sitzt da!", knurrte ich und mein Blick wanderte über die feiernden Menschen bis zu Damian. Unsere Blicke begegneten sich. Aus seinen Augen sprach Erstaunen, Überraschung und etwas dass ich nicht deuten konnte. In meinen lag Wut. Und Haas.
Jay seufzte. "Jo, ich weiß, dass es dir schwer fällt, aber du musst ihn loslassen. Es ist nicht mehr Caspers Stuhl. Wenn dein Vater möchte, dass Damian auf dem Platz seines toten Sohnes sitzt, so wird das seinen Grund haben. Du solltest versuchen ihn zu verstehen."
Langsam wandte ich den Blick Damian ab und sah ihn an.
"Ich weiß.", sagte ich müde "Es kommt mir nur vor, als wäre es erst gestern gewesen. Und dann diesen eingebildeten Bastard auf dem Platz meines Bruders zu sehen schmerzt."
Jay drückte meine Hand und lächelte aufmunternd. Ich war ihm unglaublich dankbar dafür.
Dann widmete ich dem Teller vor mir und aß. Es war lecker. Aber das war es immer. Zumindest bis Vater die Stimme erhob.
"Liebe Freunde", tönte seine Stimme über die lachenden Menschen und sie wandten sich ihm sofort zu. Erneut wurde mir der Einfluss meiner Familie auf diese Leute wieder offenbart.
"Wie ihr ja wisst, steht unserem Land ein Krieg bevor und nicht nur mir ist bewusst, dass unsere Truppen zu wenig sind um gegen die Tristans standzuhalten."
Beunruhigtes Gemurmel erfüllte den Burghof und auch ich hielt den Atem an. Worauf wollte er hinaus?
Ich kannte meinen Vater lange genug um zu wissen, dass er solche Ansprachen nur hielt, wenn es entweder ziemlich schlecht für uns aussah oder eine schwere Veränderung vor uns lag. Doch jetzt hoffte ich, dass keine der beiden Möglichkeiten zutraf.
Jay und ich tauschten einen fragenden Blick aus. Er dachte also dasselbe wie ich. Irgendetwas lief hier gerade gewaltig schief. Nur was der Grund dafür war, mussten wir noch herausfinden.
Vaters Blick huschte zu mir ehe er fortfuhr. „Im Voraus möchte ich sagen, dass ich stets versucht habe ein guter König und ein guter Vater zu sein. Und aus diesem Grund fällt es mir umso schwerer zu verkünden, dass meine einzige Tochter und Prinz Samuel aus dem Südlichen Reich ein Bündnis zum Schutz unserer Nationen eingehen werden."
„Was?" Ich sprang auf. Mein Kelch fiel mit einem lauten Geräusch auf den Boden.
Jay war ebenfalls aufgesprungen. „Nein!", rief er.
Sekundenlang war alles still um uns herum und mir war klar, dass alle Augen auf uns gerichtete waren.
„Das kannst du nicht tun!", rief ich empört. Ich wusste dass es falsch war. Ich wusste, dass ich schlucken und mich wie eine angehende Königin benehmen sollte. Ich wusste, dass all diese Leute es von mir erwarteten.
Aber ich konnte es nicht. Das war mein Leben. Ich... Nein...
Vater drehte sich langsam zu mir um. Tränen glitzerten in seinen Augen. „Jolin...", begann er.
„Nein! Hast du mich einmal nach meinen Wünschen gefragt? Hast du einmal daran gedacht, was ich möchte? Dass ich mir meinen Mann selber aussuchen möchte? Ob ich überhaupt heiraten möchte? Das ist dein Leben! Nicht meins!", schrie ich.
Mir war bewusst, dass es sich nicht gehörte seinen Vater anzuschreien. Erstrecht nicht vor dem eigenen Volk. Aber das war mir egal. Mir war alles egal. Ich würde alles für ihn und meine Leute tun, aber nicht das! Nicht DAS!
„Jolin es tut mir leid. Aber ich muss handeln wie ein König und es war der einzige Ausweg.", versuchte er sich zu erklären. Seine Stimme klang belegt. Als kämpfe er mit den Tränen.
„Papa!", sagte ich leise und trotzdem so, dass alle es hören konnten. Eine Träne kullerte mir über das Gesicht. „Bitte tu das nicht."
Er atmete tief durch. „Glaub mir wenn es eine andere Möglichkeit gäbe, würde ich sie wählen. Aber ich muss wählen zwischen meiner Tochter und meinem Volk. Wir wissen alle, wie ich mich am liebsten entscheiden würde. Aber ich bin nun einmal König dieses Reiches und meine Pflicht ist es, die Menschen unter meiner Herrschaft mit allem zu schützen was ich habe."
Lautlos weinend wandte ich mich von ihm ab und wischte mir mit bebenden Händen über das Gesicht.
Jay kam zu mir und wollte mich umarmen, aber ich riss die Hände hoch und marschierte starken Schrittes vom Hof. Hinter mir hörte ich wie Damian mir folgen wollte, aber mein Vater hielt ihn zurück. „Lass sie. Sie braucht die Zeit. Da ist sie wie ihre Mutter."
Sobald ich den freien Platz hinter mir gelassen hatte, hielt mich nichts mehr. Die Tränen suchten sich laut ihre Freiheit und ich rannte in mein Zimmer. Wütend und laut schluchzend zerrte ich mir das blöde Kleid über den Kopf und schlüpfte in eine enge Hose und ein Hemd von Jay. Dann stürmte ich aus der Burg runter zu den Kriegszelten. Die trainierenden Krieger schickten mir mitleidige Blicke und zogen sich in ihre Zelte zurück. Es schien als wüssten sie alle von den Plänen meins Vaters. Hatte Jay es auch gewusst? Die Tränen flossen unaufhörlich und ich war nicht gewollt sie zu stoppen. Bastien kam gerade aus den Ställen. An seiner Seite lief der schwarze Hengst meiner Mutter. Vor den beiden stoppte ich und griff nach den Zügeln.
„Er hat es dir also gesagt.", stellte er fest und half mir beim Aufsteigen.
Ich nickte nur und schwang mich auf Storms Rücken. Er war wunderschön. Wie meine Mutter. Natürlich war er das...
„Jolin, ich darf dich nicht gehen lassen.", meinte Bastien dann.
„Warum?", schniefte ich und wischte mir über die Augen.
„Ich weiß, dass du nicht mehr zurückkommst.", behauptete er sanft und strich über Storms Rücken.
Ich heulte auf. „Ich muss hier weg. Bitte Bastien. Lass mich gehen."
Er seufzte und schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht."
„Bitte.", flehte ich.
„Okay.", gab er nach. Ich sah das Unbehagen in seinen Augen, aber ich musste hier weg. Weg von meinen Pflichten. Weg von Jay. Weg von Damian. Weg von meinem Vater.
Ich gab Storm ein Zeichen und preschte kurz darauf quer durch das hohe Feld in die endlose Ferne.

Das Herz der KriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt