Zukunft

2.5K 226 12
                                        

Jay lächelte mich an und nahm meine Hand. Gemeinsam kehrten wir dem hellen Feld den Rücken zu und verschwanden im dichten Grün. Es roch nach Sommerwald. Als wir bestimmt schon eine halbe Stunde gelaufen waren, blieben wir stehen und sahen uns um. Verlaufen konnte ich mich nicht. Dieser Wald war meine zweite Heimat. Seit ich laufen konnte, war ich hier herumgetollt und hatte jedes Versteck, jeden Stein, jede Höhle ausfindig gemacht. Verlaufen war also unmöglich. Eigentlich. Im letzten Sommer hatte ich es geschafft. Nach einem schweren Sommersturm, lag ein Großteil der Bäume umgeknickt auf dem Boden oder war fortgeweht worden. Meine ganzen Orientierungspunkte waren damit letztlich abhandengekommen. Ich konnte also wirklich nichts dafür, dass ich zu spät zum Essen mit dem Nachbarbotschafter gekommen war. Natürlich hatte Jay mich aus der Situation gerettet, bevor es zwischen meinem Vater und mir eskalieren konnte.
Schnell warf ich einen Blick zu meinem besten Freund, der gerade seinen Bogen und einen Köcher aus einem unserer Verstecke holte. Wir hatten über all die Jahre so viel Zeug im Wald versteckt, dass es ein Wunder war, dass wir es immer wieder fanden. Wobei eigentlich müsste der Wald inzwischen überquellen an Material.
„Irgendetwas ist komisch heute.", behauptete er, kniff die Augen zusammen und ließ seinen Blick durch die Umgebung streifen.
„Wie kommst du darauf?", fragte ich und sah mich ebenfalls um. Aber mir fiel nichts Auffälliges auf.
„Weiß auch nicht. Ich fühle mich irgendwie beobachtet." Er zuckte unsicher mit den Schultern und drehte sich noch einmal um die eigene Achse. Irgendwann hielt er inne und visierte einen Punkt einige Meter von uns entfernt an. Leise ging ich zu ihm, stellte mich daneben und versuchte das Gleiche zu sehen wie er.
„Was ist?", flüsterte ich stimmlos und wagte nicht mich zu bewegen.
„Siehst du das nicht?", stellte er mindestens genauso leise die Gegenfrage ohne sein Ziel aus den Augen zu lassen.
„Was denn?" So sehr ich mich auch konzentrierte und versuchte etwas zu sehen. Da war nichts. Zumindest nichts, dass ich sehen konnte.
„Da sind Augen.", antwortete er dann endlich still und zog fast unmerklich einen Pfeil aus dem Köcher. Ein kalter Schauer lief mir über die Arme. Ich wusste nicht, was mein bester Freund sah, aber offenbar gefiel es ihm nicht. Und das war es, was mir Angst machte. Jay hatte in seinem Leben schon so fiel gesehen, dass er echt abgehärtet war und nicht viel ihm Angst oder Sorgen machte. Aber wenn er schon einen Pfeil in die Sehne legte und mich mit einem Nicken anwies zurück zu rutschen, musste es etwas Ernstes sein.
Vorsichtig stellte ich mich hinter ihn und betrachtete unsere Umgebung aufmerksam. Dann schob sich eine große Wolke vor die Sonne und verdunkelte alles. Ich fröstelte.
Jays Blick hatte sich verfinstert und sein Arm war durchgestreckt, bereit jederzeit die Sehne loszulassen. Erneut folgte ich seinem Blick und versuchte das zu sehen was er sah, doch es wollte mir nicht gelingen. Er sah die Sachen einfach anders. Feiner. Genauer. Weil er Jäger war. Weil er wusste, was er sehen musste.
Die ganze Situation war wirklich unheimlich. Jays Anspannung schwebte greifbar in der Luft.
„Jay?", wisperte ich und trat näher an ihn.
„Nicht jetzt.", knurrte er und spannte den Bogen noch mehr.
Ein leichter Wind setzte ein und zog an meinen Haaren. Ich wagte nicht mehr zu atmen.
„Jay. Ich habe Angst. Lass uns bitte gehen.", flehte ich und lehnte mich an ihn.
„Jo.", erwiderte er leise. „Nicht. Jetzt."
Alleine dass er sich nicht ablenken ließ, verdeutlichte mir, dass irgendetwas nicht in Ordnung war.
Dann zerriss plötzlich ein lautes Wiehern die angespannte Stille und kurz darauf waren Hufschläge zu hören. Jemand rief meinen Namen.
Jay atmete laut aus. „Er ist weg."
Moment mal: ER? Was hatte mein bester Freund da eben gesehen? Wollte ich es überhaupt wissen? ER? Weiter kam ich allerdings nicht, da wir beide jetzt nämlich andere Probleme hatten.
„Und wir sollten ebenfalls verschwinden.", schlug ich vor und spürte wie der Boden vibrierte. Das war mehr als ein Pferd.
Jay ließ den Bogen sinken und schnaufte empört. „Ich hab ja gesagt, dass du Ärger kriegst."
„Ist doch jetzt auch egal. Lass uns einfach zusehen, dass wir von hier abhauen.", fauchte ich genervt und begann den steilen Weg hinauf ins Gebirge entlang zu wandern.
Jay seufzte steckte den ungebrauchten Pfeil zurück in den Köcher und hing sich den Bogen quer über die Brust. Danach überholte er mich und reichte mir die Hand um mir zu helfen. So kletterten wir einige Meter, bis ich mich noch ein letztes Mal umdrehte und zurücksah.
Da sah ich es: Ein großer schwarzer Schatten stand neben dem Baum auf den Jay eben gezielt hatte. Hellgrüne, katzenartige Augen blickten mich unergründlich an und ich hatte das Gefühl nicht mehr atmen zu können. Mein Körper brannte unter seinem Blick und ich merkte wie ich anfing zu zittern. Ich hatte Angst, wollte schreien, laufen. Aber ich konnte nichts desgleichen. Sein Blick hielt mich auf der Stelle gefangen und ich hatte keine Chance mich irgendwie dagegen zu wehren. Aber wollte ich das überhaupt? Sie waren so wunderschön. So unmenschlich schon fast.
Erst als Jay mich schüttelte und meinen Namen wie ein Mantra wiederholte erwachte ich aus meiner Starre.
„Jolin geht's dir gut?", wollte er wissen und hielt mich fest, als ich meine Hände um seine Arme krallte. „Du bist ganz blass. Als hättest du einen Geist gesehen."
Ich merkte wie ich schwankte und Jay mich auf den Boden drückte.
Mein Hals war trocken und selbst wenn ich Herr über meine Stimme gewesen wäre, wüsste ich nicht ob ich Worte für das eben finden konnte.
„JOLIN!", schrie Jay schon fast. Blinzelnd blickte ich ihn an. Er atmete erleichtert ein.
„Was... Was ist?", brachte ich nur hervor und sah ihn erschreckt an.
„Hast du mir einen Schreck eingejagt. Ich dachte schon du kippst gleich um.", meinte er und ich konnte die Erleichterung in seiner Stimme hören.
„Was hast du gesehen?" Er setzte sich mir gegenüber und sprach zu mir wie zu einem kleinen Kind. Aber ich nahm es ihm nicht übel. Anders wäre er wahrscheinlich gar nicht zu mir durchgedrungen.
„Ich... Ich weiß es nicht.", stotterte ich nur. Jay blickte mich besorgt an und gab mir seine Jacke als er sah, dass ich am ganzen Körper zitterte.
„Da waren diese Augen.", erinnerte ich mich dann und sah zu ihm.
Er nickte geduldig. „Welche Farbe hatten sie?"
„Grün. Wie frisches Gras auf dessen Tau sich die Sonne im Sommer spiegelt." Ich fand es selbst erschreckend, wie genau ich mich daran erinnern konnte.
Jay zog die Augenbrauen in die Höhe. „Aha.", sagte er nur. Pferdeschnauben riss uns aus dem Moment. Ich sprang auf die Füße, gab Jay seine Jacke zurück und war wieder ganz die Alte. Als wäre nie etwas gewesen. Ein letztes Mal blickte ich noch zurück zu der Stelle wo bis eben die seltsam schönen Augen waren. Aber dort war nun nichts mehr. Hatte ich mir alles nur eingebildet? Konnte solche Augen wirklich nur ein Element meiner Fantasie gewesen sein?
Gemeinsam kletterten wir weiter hinauf und setzten uns auf eine Felskante von der man einen großen Teil des Waldes gut im Blick hatte. Und wie sich kurz darauf herausstellte, keine Sekunde zu spät, denn unter uns ritten gerade eine Handvoll Soldaten über die Stelle auf der wir eben noch standen. Jay und ich sahen uns an und ließen gleichzeitig Luft entweichen.
„Das war knapp.", stellte er fest und legte sich hin. Seine Füße baumelten über die Kante unter der es einige Meter in die Tiefe ging. Der Himmel war wieder aufgeklart und die Sonne schien mit aller Kraft auf uns nieder.
„Ist doch alles gutgegangen.", winkte ich ab und legte mich neben ihn. Er hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und hielt die Augen geschlossen. Ich grinste und tat es ihm gleich. Die Sonne wärmte unsere Gesichter und für nichts auf der Welt hätte ich diesen Augenblick eintauschen wollen.
„Wer weiß wie lange das alles noch gutgeht.", seufzte er nach einiger Zeit und drehte sich auf die Seite, so dass er mich besser sehen konnte.
„Was meinst du?" Ich richtete mich ebenfalls auf und blickte ihn skeptisch an.
„Du wirst nicht immer vor deiner Pflicht weglaufen können.", erklärte er und lächelte schwach.
Als ich antwortete bildete sich eine tiefe Furche in meiner Stirn. „Ich laufe nicht vor meinen Pflichten weg."
„Ach ja?" Die Ironie war nicht zu überhören.
„Ja. Nur weil die Dinge anders als mein Vater sehen, heißt das nicht dass ich weglaufe." Ich musste mich echt zusammenreißen um ihm nicht meine ganze Meinung entgegen zu brüllen.
„Ich meine ja nur. Irgendwann wird dein Vater zu alt sein um zu regieren. Machst du dir gar keine Gedanken um die Zukunft. Dein Volk wird von dir erwarten, dass du heiratest. Ein Kind bekommst. Du wirst älter. Deine Aufgaben wachsen. Du musst Entscheidungen treffen. Macht dir all das keine Angst?"
Natürlich machte mir die Zukunft Angst. Aber noch mehr Angst machte mir, dass ich wusste was für Erwartungen an mich gestellt wurden und dass ich sie vielleicht nicht erfüllen könnte.
„Denkst du ich habe mir dieses Leben ausgesucht?", erwiderte ich stattdessen und funkelte ihn an.
Er warf die Hände in die Luft. „Nein! Natürlich nicht! Aber es ist nun einmal so, dass du das Leben so nehmen musst, wie es für dich entschieden ist. Du hast keine Wahl."
„Man hat immer eine Wahl.", murmelte ich leise und hoffte Jay hatte es überhört. Aber an seinen zusammengepressten Lippen sah ich, dass er es sehr wohl gehört hatte.
„Tut mir leid, Jay. Es ist nur so: Ich liebe das was wir beide jetzt, in diesem Moment, und ich will einfach nicht erwachsen werden. Es ist so schön so frei zu sein. Meinen Vater zu ärgern. Ich habe einfach Angst, dass die Dinge sich ändern könnten und wir nicht mehr das..." ich zeigte auf uns „... sind."
„Ach Jolin.", lachte er und zog mich in seine Arme. Ich gab mich seiner Umarmung hin und genoss seinen Geruch. Nach Wald, Leder und Jay.
„Ich werde immer bei dir bleiben.", versprach er und nuschelte es in meine Haare. Seine Hand glitt gleichmäßig über meinen Kopf und ich kämpfte mit den Tränen.
Ja verdammt! Ich hatte Angst vor der Zukunft. Vor dem Unbekannten.
Eng aneinander gekuschelt beobachteten wir wie die Sonne sich hinter meinem Zuhause in allen nur erdenklichen Farben verabschiedete und schließlich verschwand.
Und als es schließlich komplett dunkel war, verließen wir unseren Platz und machten uns auf den Weg zurück nach Hause. Das komische Gefühl in meinem Rücken ignorierte ich, während Jay Pfeil und Bogen wieder versteckte und wir danach durch den schwarzen Wald liefen. Immer wieder sagte ich mir, da war nichts und klammerte mich stärker an die Hand meines besten Freundes. Aber auch Jay war angespannt.
Bastien würde bestimmt schon auf uns warten, redetet ich mir ein und versuchte mich zu beruhigen. Jedoch brachte das nicht viel.
Erst als ich die breite Silhouette meines Lehrers am Waldrand ausmachen konnte, erlaubte ich mir aufzuatmen und mich ein bisschen zu entspannen.
Bastien merkte wohl, dass irgendetwas komisch war und zog sofort sein Schwert. Jay und er wechselten kurz ein paar Worte und Jay erzählte ihm von der Begegnung im Wald und von den Augen die wir gesehen hatten.
Kommentarlos nahm er alles zur Kenntnis war allerdings angespannt und beobachtete unsere Umgebung ziemlich genau. Ich ging zwischen den Beiden. Auf Bastiens drängenden Wunsch. Und ich hatte Jay erst nicht glauben wollen...
Schließlich schafften wir es unbeschadet zurück ins Zeltlager, wo Bastien direkt einige Späher in Wald und Feld aussandte und die Wachen verdoppeln ließ. Das hätte er nicht getan, wenn die ganze Situation nicht nach Gefahr geschrien hätte.
Jay und ich schlichen uns leise zurück ins Schloss und wurden nicht erwischt. Das hätte mir gerade noch gefehlt...
Auch Damian begegneten wir nicht und so verabschiedete ich Jay vor seinem Zimmer und dankte ihm mit einer Umarmung für den schönen Tag. Er wünschte mir eine gute Nacht und kurz darauf war ich alleine im Gang.
Ich wusste nicht wie spät es war, als ich endlich in meinem Bett lag und in den Nachthimmel blickte. Was für ein komischer Tag.
Als ich es schließlich doch schaffte einzuschlafen, wünschte ich mir, es nicht getan zu haben. Denn in meinen Traum lief ich von einem paar grünen Augen verfolgt durch den Wald und fand keinen Ausgang.

Das Herz der KriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt