Die einzige Wahl

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Als ich am nächsten Morgen vor der Tür des Speisesaals stand und anklopfte, kam nicht das sonst so mürrische "Herein.". Ich hörte Schritte und wenige Sekunden später sah ich meinen Vater, lächelnd, die Türe aufhalten. Er hatte das Lächeln im Gesicht, das bisher immer nur Lauranne bekommen hatte. Doch heute war alles anders. Meine Mutter hielt ein Geschenk für mich in der Hand, der Tisch war mit kleinen Erdbeertörtchen, meinem Lieblingsessen, gedeckt und alle blickten mich stolz an. Daran konnte ich mich gewöhnen. Aber nicht daran, die Braut des Prinzen zu sein. Die ganze Nacht lag ich wach in meinem Bett. Ich war froh, dass das Make-up die Augenringe überdeckte. Hatte der Prinz wirklich mit mir getanzt? War ich wirklich die, die er in ein paar Wochen zur Frau nehmen wird? Musste ich wirklich das Land regieren? So viele Fragen und ich wollte die Antworten gar nicht wissen. "..und dann haben sie getanzt. Es war soooo romantisch.", schwärmte meine Schwester. Herzogin Renelle lächelte. "Es tut mir leid, dass wir so an dir gezweifelt haben." Sie überreichte mir das Päckchen. Eine türkise Brosche, so schön wie die Augen meiner Mutter und die meiner Schwester, lag dort. "Sie gehört nun dir, es ist ein Familienerbstück." Ich lächelte auch. Schon bei meinen Vorfahren war mir diese Brosche aufgefallen und ich ging immer davon aus, dass Laura sie bekommen würde, doch nun hielt ich sie in der Hand. Meine Familie war stolz auf mich. Es bedeutete mir die Welt.

Ich saß in meinem Zimmer und starrte auf den blauen Himmel. Wie sollte es nun weiter gehen? Schon heute stand eine Besichtigung meiner Stadt auf dem Plan. Morgen dann eine Sitzung mit den Ministern, übermorgen eine Jagd und so ging es immer weiter. "Wenn ich nur ein Vogel wäre, ..", dachte ich mir, "..dann könnte ich weit weg fliegen." Madame Luise unterbrach meinen Gedankengang. "Entspricht das Ihren Vorstellungen?" Sie hielt mir ein pastellgelbes Kleid hin. Es war locker, nicht zu pompös. Man brauchte keinen Reifrock, kein Korsett. Es war perfekt. Ich nickte, wie ich es immer tat. Die Dienstdame band meine Haare zu einem lockeren Dutt zusammen, ich klebte mir die Steine unter die Augen und richtete mein Make-up. "Ihr seht wunderschön aus.", sagte Luise mit einem Lächeln. "Danke."

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"Bis später!", schrie mir meine Schwester vom Garten aus zu, während ich mit der königlichen Kutsche wegfuhr. Ein Pergament lag auf dem schönen Polster, ich nahm es an mich. "Ich werde mit Ihnen eine Tour zu Fuß machen. Die Kutsche fährt Sie zu einer Kneipe, dort treffen Sie mich. Gez. Prinz Jona", las ich. Seine Handschrift war voll mit Schnörkel, ich tat mich schwer sie zu lesen. Heute war ein schöner Tag für einen Spaziergang durch die Stadt. Die Sonne schien hell. Langsam wuchsen die Bäume und Blumen am Wegesrand. Wir schienen nicht sehr weit aus dem Adelsviertel zu fahren. Dachte ich mir schon. Die Armut war nicht schön anzusehen. Nur selten sah ich dort Adelsleute. "Wir sind da, Lady Rosetta." Der Kutscher stieg ab und öffnete mir die Tür. Ich lächelte ihm zu, doch er wagte es nicht mir in die Augen zu sehen. Lady Mirabell wartete schon vor dem Eingang. Sie entdeckte mich, tat aber so als hätte sie mich übersehen. Wenn sie nicht mit mir reden wollte, dann ließ ich es auch bleiben. Also stellte ich mich auf die andere Seite des Eingangs. Wenige Minuten später kam die Kutsche des Prinzen. Lady Lillian stieg mit ihm aus. Sie hatte wirklich im Schloss übernachtet. "Wie es da wohl so war?", fragte ich mich, bereute es aber sofort wieder. Ich wollte nicht ins Schloss. Nicht als Braut, nicht als Prinzessin oder sonst irgendwer. "Guten Tag, meine Damen.", begüßte uns Jona. Sofort verbeugten wir uns. Lillian sah auf uns herab. Sie neigte nicht mal ihren Kopf. Als wäre sie was besseres.

Wir spazierten die Hauptstraße entlang. Die beiden anderen Bräute waren wohl nicht unbedingt auf eine Fußtour vorbereitet. Lady Mirabell trug ein grünes Kleid, der Reifrock war viel zu groß für einen ganz normalen Tag und die Schuhe viel zu hoch um weit laufen zu können. Bei Lady Lillian war das nicht anders. Sie hatte noch dazu ein Korsett an, es war nicht fest zugeschnürt, doch bequem sah es auch nicht aus. Ich war froh, dass ich mich für die nicht ganz so schicke Variante entschieden hatte, vielleicht sah der Prinz so ein, dass ich nicht das Zeug zur Königin hatte. Wie automatisch lief Jona neben mir und zwingte so die anderen hinter uns her zu laufen. Den drei Wachen, unter denen sich auch der Leibwächter befand, machte das recht wenig aus, doch die bösen Blicke der Bräute hielt ich kaum aus. "Ihr seht sehr hübsch in diesem Kleid aus.", kam vom Prinzen. Er musterte mich mit seinen hellgrauen Augen. Auf seinen Lippen lag ein Lächeln. "Vielen Dank, Majestät." Ich machte einen Knicks im Lauf. "Ihr sollt mich doch Jona nennen.", sagte er. "Entschuldigung." Ich machte wieder einen Knicks. "Seht nur, Jona, eines der bekannten Gefängnisse.", versuchte Lillian die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Vor uns stand ein großes Gebäude. Sie war wohl wirklich davon verblüfft, wahrscheinlich hatte sie noch nie ein Gefängnis gesehen, von innen schon gar nicht. Ich ging oft hier her. Sah wie Menschen ein und aus gingen. Manche glücklich, manche wütend, manche traurig. Von außen ähnelte es eher einer kleinen Residenz. Aus dem einfachen Grund, das niemand, vor allem nicht der Adel, darüber nachdenken musste, was alles im Inneren passierte. Die Wachen in wunderschön pollierter Rüstung, die am Eingang standen, verbeugten sich als sie den Prinzen erkannten. Doch er konzentrierte sich nur auf mich. Auf mich. Er ging nicht mal auf Lillian ein. Es nervte mich, wie freundlich er zu mir war. Ich musste ihm fast meine ganze Lebensgeschichte mitteilen, so interessiert war er. Ab und an wechselte er wenige Worte mit den anderen Bräuten, doch nur aus Höflichkeit. Nachdem unser privates Gespräch endete, weil ich kaum Gegenfragen stellte, berichtete er uns über die Etikette des Hofs und erzählte etwas über meine Stadt. Im Groben war es zwar richtig, doch er konnte nicht das wissen, was ich wusste, was Lady Mirabell wusste. Wir lebten hier seit unserer Geburt, zwar wuchsen wir im Adelsviertel auf, allerdings verließen die meisten Adelskinder es nur zu gern. Nicht weit natürlich. Nicht bis zu den Vierteln, die nur aus Armut bestanden. "Prinz.", kam von Paris, "Wir sollten uns langsam auf den Rückweg begeben." Er sprach so gelassen mit ihm als wären sie die dicksten Freunde.

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Als wir wieder bei der Kneipe ankamen, war schon fast die Sonne untergegangen. Der Prinz verabschiedete sich von mir und Lady Mirabell und stieg gemeinsam mit Lady Lillian in die Kutsche. Bevor Paris auf die Kutsche sprang, zwinkerte er mir noch zu, doch ich wusste nicht genau, was das zu bedeuten hatte. Mir war schon den ganzen Nachmittag über aufgefallen, dass er mich beobachtet hatte. Mit diesen leuchtend roten Augen, die mir nicht mehr aus dem Kopf gingen. Aber das war wohl mein kleinstes Problem. Prinz Jona hatte noch mehr Interesse gezeigt und daraus konnte ich nur schließen, dass er mich zur Frau nehmen wird. Egal was ich tat, er schien mich immer mehr zu mögen. Ich konnte nicht leugnen, dass er ein sehr netter Mann war und dazu auch sehr ansehnlich, doch ich konnte ihn nicht heiraten. Irgendwas musste ich unternehmen.

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Ich lag in meinem Bett und starrte auf die Decke. Die Edelsteine an meiner Lampe reflektierten das Sonnenlicht und passten so gar nicht zu meiner Stimmung. Meine Eltern hatten mich schon ausgefragt, wie es gelaufen war. Natürlich hatte ich freudig berichtet, wie schön es war. Ich konnte meine Eltern nicht enttäuschen. Es klopfte an meiner Tür. "Lady Rosetta, dürfte ich Maße für Ihr Hochzeitskleid nehmen?" Madame Luise kam mit Maßband und verschiedenen Stoffen in mein Zimmer. Hochzeitskleid? Das hatte bestimmt meine Mutter aufgetragen. "Wieso? Es steht doch nicht mal fest, dass ich seine Majestät heiraten werde." Meine Stimme klang etwas gereizt. "Herzogin Renelle ist der festen Überzeugung, dass Sie zurzeit die Brautfavoritin sind.", antwortete Luise und ich wusste genau, was das zu bedeuten hatte. Meine Mutter hatte jemanden geschickt, mich unauffällig zu Beobachten beim heutigen Treffen. Mir blieb fast die Spucke weg. Wie konnte sie es wagen, mich beschatten zu lassen? Ich war kein kleines Kind mehr. Dieses ganze Heiratsthema hatte meine Eltern verrückt gemacht.

Während die Hausdame Maße an mir nahm, schwirrten die wildesten Gedanken in meinem Kopf umher. Ich konnte nicht mehr so leben. Das ganze Adelsleben war noch nie meins gewesen, doch in einem riesen Schloss als Prinzessin und schon bald als Königin zu leben war eindeutig zu viel. Aber welche Optionen hatte ich? Meine Eltern würden niemals zulassen, dass ich die Heirat verweigere. Und einen anderen Adelsrang würden sie auch nicht als Ehemann akzeptieren. Das wollte ich aber sowieso nicht. Konnte ich aus diesem Gefängnis irgendwie fliehen? Fliehen. Was wenn ich einfach gehen würde? Irgendwo hin. Raus in die Wälder. Oder in die armen Viertel. Ich liebte meine Familie. Könnte ich sie verlassen? Nur um Prinz Jona nicht heiraten zu müssen? Sie würden mich bestimmt überall suchen. Der Pirnz auch. Niemals könnte ich den Schlosswachen hier in der Umgebung entkommen. Sie fanden jeden. Außerdem kannte das ganze Land die Brautfavoritin. Einfach so herumspazieren war keine Option. Vor allem nicht mit den Adelskleidern. Fliehen. Fliehen war die einzige Wahl. Der einzige Schritt, den ich gehen konnte.

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Es war schon spät abends. Das ganze Haus war dunkel. Das ganze Viertel war dunkel. Es gehörte sich nicht, lange wach zu bleiben. Leise tippte ich zu meinem Kleiderschrank. Ich hatten schon lange vergessen, wie groß er eigentlich war. Madame Luise hatte mir immer die Kleidung zurechtgelegt. Neben den vielen Kleidern entdeckte ich eine verstaubte Schublade. Sie war so verstaubt, weil ich diese Kleidung niemals anziehen würde. Zumindest nicht in meinem Adelsleben. Ich machte sie auf. Ein brauner Kittel und zwei schwarze Reiterhosen lagen darin. Diese Kleidung war viel zu edel für die ärmere Gesellschaft, doch viel zu unedel für den Adel. Ich hatte sie von einer armen Frau abgekauft, da sie mir leid tat. In meinem Kopf dankte ich ihr. Schnell schlüpfte ich hinein. Die Kapuze zog ich mir bis unter die Augen, ein kleines Tuch über Mund und Nase. Das einzige, das ich aus meinem Adelsleben mitnahm, war die Brosche, die mir meine Mutter heute morgen geschenkt hatte. Ich hatte etwas Proviant vom Abendessen geklaut und einige Werkzeuge aus dem Abstellraum genommen. Meine Haare waren kaum zu sehen. Irgendwie hatte ich sie zu einem Dutt zusammengebunden. "Mach ich das gerade wirklich?", flüsterte ich mir zu und nickte dann entschieden. Wenn der Prinz eine andere geheiratet hatte, würde ich wieder zurückkehren. Meine Eltern würden dann noch enttäuschter als zuvor von mir sein, doch ich wäre endlich frei. Ich könnte das Leben führen, das ich wollte. Den heiraten, der mir gefiel. Obwohl das bisher keiner war.

Nachdem ich mit Hilfe eines Seils unauffällig aus dem Fenster geklettert war und über die große Einfahrt rannte, stoppte ich am Straßenrand. "Bis bald.", verabschiedete ich mich von meiner Familie, vom Haus, vom Adelsleben.

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