Der komische Junge

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Bis zum Göttertor war alles dunkel, doch als würde ich durch ein Portal gehen, war außerhalb noch viel los. Das Volk aus dem Mittelstand feierte auch noch zu dieser späten Stunde. Sie hatten schon oft Ärger mit den Adelswachen bekommen, da Adelsfamilien, die nah an der Grenze wohnten, sich ihres Schlafs beraubt fühlten. Der Marktplatz lag zentral, es schien als würde auch hier eine Party stattfinden, also musste ich einen anderen Weg finden, der mich weiter aus der Stadt brachte. Ich verfluchte die Ingenieure, die Margrett vor hunderten Jahren erichtet hatten. Das Adelsviertel war Richtung Osten an einen Berg angebaut, das heißt, wenn man nach Osten fahren wollte, ging das nicht auf direktem Weg. Eigentlich musste man, egal wohin man wollte, erst das ärmste Viertel durchqueren. Das hieß für mich als Adelige, ich musste alle Viertel durchqueren. Das Adelsviertel, den Mittelstand, das Geschäftsviertel und das arme Viertel. Und das ohne irgendjemandem aufzufallen. Das klang leicht in einer Stadt von fast 5 000 Einwohnern, obwohl niemand das arme Volk zählte, sondern nur grob schätzte, doch ein Adeliger fiel überall sofort auf. Schon als Kinder fielen wir auf, wenn wir ausgebüxt waren. Bestimmt die Hälfte der Mittelständler kannten mich.

Ich versuchte mich an die Südmauer zu halten, denn wenn man ihr folgte kam man automatisch zum Südtor. Neben diesem gab es noch ein Nordtor, zu dem ebenfalls eine Mauer vom Adelsviertel führte und das Westtor, das als Haupttor zählte. Je näher ich an das Südtor kam, desto größer wurden die Viertel. Margrett war wie eine Art Dreieck aufgebaut. Das Adelsviertel an der Spitze, das arme Viertel am Ende. Mehr als die Hälfte der Einwohner lebten im armen Viertel oder Geschäftsviertel. Die Schneider, Handwerker und Lebensmittelverkäufer lebten meist neben oder über ihren Läden. Ich war schon im Geschäftsviertel angekommen. Neben ein paar Kneipen war auch dort alles dunkel. Alles roch nach Alkohol und dem Müll der Läden, der darauf wartete von den Maulwürfen abgeholt zu werden. Vor ein paar Jahren klappte das noch sehr gut. Maulwürfe bauten mit unserem Müll ihnen und den anderen Tieren Unterschlüpfe und fraßen die essbaren Überreste. Man nannte sie auch die Väter der Tiere, weil sie so fürsorglich waren. Doch seit es immer mehr Adelige gab, die die Tiere weiter in den Wald trieben, kamen die Maulwürfe mit ihren magischen Kräften seltener in die Städte und die Müllentsorgung des ärmeren Volks brach zusammen.

Ich versuchte mich gerade durch zwei Wände zu zwängen, als ich plötzlich einen Schrei wahrnahm. "Ich wurde bestohlen.", schrie eine Frau hysterisch. Diese Stimme kannte ich. Es war die einer Nachbarin. Was wollte sie zu so später Stunde im Geschäftsviertel? Ich musste mich orientieren. Der Schrei kam von Osten, also genau von der Richtung aus der ich gerade flüchtete. Ich zwang meinen Körper wieder umzukehren. Schnell huschte ich zwei Gassen weiter. Dort stand die Frau, voll mit Dreck und Schlamm, winzelte sogar ein bisschen. Sie sah immer noch in die Straße, in die der Räuber geflüchtet sein musste. Ihr schien es aber abgesehen vom Schock gut zu gehen. Es war bestimmt nichts von großem Wert und die Diebe hier hatten es meist nötiger und brauchten die Beute zum Überleben. Außerdem war ich die Tochter eines Herzogs, niemals könnte ich die geschickten Räuber schnappen. Also machte ich wieder kehrt. Ich durfte mich nicht von jeder Kleinigkeit ablenken lassen. Es war trotzdem komisch, dass sie hier war. Alle Geschäfte, die für Adelige interessant waren, schlossen spätestens um neun Uhr. Aber das ging mich auch eigentlich nichts an.

Ich schüttelte den Kopf um meine Gedanken frei zu machen. Bis zur Morgenröte musste ich schon das erste Waldstück und die Lichtung des Sommers überquert haben, sonst würden sie mich finden. Die Adelswachen würden bestimmt auch die Palastwachen informieren. Es stand so schon schlecht für mich. Ich lief am letzten Geschäft vorbei. Jetzt musste ich noch genauer aufpassen. Im armen Viertel wimmelte es nur so von Verbrechern und Perversen. "Die armen Kinder, die hier aufwuchsen.", dachte ich. Hier war es viel schwerer der Mauer zu folgen, denn es gab kaum Wege und wenn dann waren sie voll mit allem möglichen. Viele schliefen dort auch und ich wollte sie bestimmt nicht aufwecken. Die Traumwelt war wohl noch die einzige in die sie fliehen konnten. Jetzt mischte sich mein schlechtes Gewissen ein. Ich hatte den Ort verlassen, von dem die meisten hier träumten. Noch konnte ich umdrehen, mich wieder in mein Bett legen und so tun als wäre ich nie weg gewesen. Den Prinzen heiraten mit einem Lächeln im Gesicht, das nicht echt war. Nein. Das konnte ich nicht. Niemals. Ich hatte einen Plan und den setzte ich nun auch um.

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