Kapitel 11

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Mein Zustand hatte sich nicht verbessert. Also schleppte ich mich zum Arzt.

Mein Kopf fühlte sich an, als würde er explodieren. Fridas Worte hatten mich die gesamte Nacht wach liegen lassen. Immer wieder hatte ich mich hin- und hergewälzt. Basti hatte sich schließlich auf die Couch im Wohnzimmer verzogen, um dort zumindest für eine Stunde in Ruhe schlafen zu können.

Und nun saß ich im Wartezimmer, an dessen Wände abstrakte Kunst hing. Eine Frau hatte ein geschwollenes Augen, eine andere konnte nicht aufhören zu niesen und ein weiter Patient schien nicht ruhig auf seinem Stuhl sitzen können, weil er nicht die richtige Sitzposition fand. Ich tippte auf Hämorrhoiden.

Und dann gab es mich: Ein empfindlicher Magen, ein angeknackstes Herz und ein überfordertes Gehirn.

"Henderson, Ilvi!", hörte ich meinen Namen.

Sofort sprang ich vom Stuhl auf und bezahlte es mit einem Blackout im Kopf. Mein Nahrungsentzug machte sich langsam bemerkbar.

Ich blinzelte, bis wieder Licht in meine Sicht kam. Dann taumelte ich auf den Behandlungsraum zu, wo mich bereits ein grauhaariger Mann in einem weißen Kittel in Empfang nahm. Da ich sonst nie krank war, hatte ich auch keinen Hausarzt und war somit das erste Mal in dieser Praxis.

"Guten Tag Frau Henderson, setzen Sie sich doch", begrüßte er mich mit einem Lächeln. 

Wir ließen uns gleichzeitig nieder. Er sah dabei auf seinen Bildschirm, ich auf den chaotischen Schreibtisch.

"Wie kann ich Ihnen helfen?", fragte und schenkte mir nun seine volle Aufmerksamkeit. Interessiert lag sein Blick auf mir.  

Können Sie gebrochenen Herzen heilen?

"Mir ist seit ein paar Tagen unfassbar schlecht. Ich kann nichts bei mir behalten. Ich fühle mich einfach richtig schwach", berichtete ich von meinem Leid.

"Haben Sie Fieber? Oder Durchfall? Erkältungssymptome?"

"Nein."

"Irgendwo Schmerzen?"

"Auch nicht."

Er notierte sich mit einem kritischen Blick meine Worte. Ich hörte die Bleistiftmine über das Papierkratzen. Ansonsten war es unangenehm still.

"Ist die Übelkeit nur morgens?"

"Nein, den ganzen Tag über, aber morgens ist sie schlimmer."

"Okay, dann messen wir doch erst einmal Blutdruck. Ziehen bitte ihren Ärmel einmal nach oben."

Er legte mir die kalte Manschette an. Nachdem mein Arm davon kurzzeitig zerquetscht wurde, ließ der Druck nach einem kurzen Piepen wieder nach.

"Ein bisschen niedrig", sagte er und schrieb sich die Werte auf. "Wann hatten sie das letzte Mal Ihre Periode?

Ich musste kurz nachdenken. Ich hatte sie mit Sicherheit, als wir auf dem Weihnachtsmarkt waren und ich mit meinen kalten Fingern kaum den Tampon wechseln konnte.

"Vor drei oder vier Wochen."

"Kann bei Ihnen eine Schwangerschaft in Betracht kommen?"

Sofort schüttelte ich mit dem Kopf.

"Nein."

In meinem Leben war im Moment kein Platz für eine Schwangerschaft

"Okay."
Wieder schrieb er etwas.

"Also, ich habe verhütet", fügte ich hinzu. "Also genau genommen hat er verhütet. Ich kann also nicht schwanger sein."

Der Mann nickte mitfühlend und mied nun den Blickkontakt.

"Ich würde vorschlagen, dass wir mal ihr Blut untersuchen lassen und durchchecken. Dann können wir uns ein besseres Bild machen."

"Hmm", sagte ich leise.

Sein Blick verunsicherte mich, denn ich befürchtete, dass er das Schwangerschaftsszenario nicht ganz ausgeschlossen hatte.

"Meine Kollegin im Nebenraum übernimmt die Blutabnahme", informierte mich und machte ein Handbewegung nach rechts.

Er stand auf und öffnete die Tür neben seinem Bücherregal, wo ein weiterer klinisch weißer Raum war.

Ich hasste es so sehr hier zu sein.

"Wie lange dauert es denn, bis die Ergebnisse da sind?"

"Das sollte schnell gehen. Morgen früh haben wir schon die Ergebnisse und dann wissen wir mehr. Rufen Sie doch einfach mal gegen 10 Uhr an. Dann sollten die Ergebnisse schon da sein und da habe ich eh Telefonsprechstunde."

"Okay, danke", murmelte ich vor mich hin, während ich ins Nebenzimmer ging.

Ich ließ die Blutabnahme über mich ergehen, während das ungute Gefühl in mir immer intensiver würde. Es war als würde die Spritze mir nicht nur Blut, sondern auch Hoffnung und Mut abnehmen. 

Auf meinem Heimweg war ich so gedankenverloren, sodass ich fast vor ein Auto lief. Wütend hupte der Fahrer und tippte mit seinem Zeigefinger gegen seine Stirn. Entschuldigend hob ich meine Hand und schlürfte weiter über den Asphalt. Meinen eigenen Schatten zog ich hinter mir her.

Schon jetzt ertrug ich den Gedanken an den Anruf morgen früh nicht. Was war, wenn ich wirklich schwanger sein sollte? Ich könnte mir jetzt einen Schnelltest kaufen und Gewissheit haben, doch so stark war ich nicht. Die Nacht der Ungewissheit war Fluch und Segen zugleich.

Plötzlich lief ich in etwas massives und doch erstaunlich weiches hinein. Erschrocken sah ich auf. Finn sah lächelnd zu mir hinab.

"Wo bist du denn mit deinen Gedanken?", fragte er grinsend und schien meinen elendigen Seelenzustand nicht sofort wahrzunehmen. 

Ich war fast zuhause angekommen und Finn war offenbar gerade auf dem Weg zu Arbeit, denn er trug seine Schlüsselkarte an seiner Jeans. Dann verdüsterte sich Finns Blick. Er legte seine Hände auf meine Schultern.
"Alles okay bei dir?", erkundigte er sich besorgt.

Ich zuckte mit den Schultern. Zu gerne würde ich ihm die Grund meiner Besorgnis mitteilen, doch damit würde ich mir selbst keinen Gefallen tun.

"Es ging mir schon mal besser."

"Sven hat mir erzählt, dass du gestern früher nach Hause gegangen bist. Aber ich wusste nicht, dass es so schlimm ist. Du bist ganz blass." Dann legte er seine Hand auf meine Stirn. "Und ganz kalt. Soll ich dich noch nach oben bringen?"

"Nein, ist schon okay", lehnte ich sein Angebot ab. "Das schaffe ich allein."

"Sicher?"

"Ja, es geht schon."

"Kommst du gerade vom Arzt?"

"Ja, aber er hat erst einmal Blut abgenommen, um herauszufinden, was mir fehlt. Ich muss mich noch bis morgen gedulden."

Mitfühlend streichelte er meinen Arm. Es fühlte sich so gut und doch so verboten an. Ich sollte seine Berührungen nicht auf die Art und Weise genießen, wie ich es tat.

"Das tut mir leid. Dann ruh dich mal aus und lass dich von Basti ein bisschen umsorgen."

Ich nickte und spürte dabei, wie schwer sich auf einmal mein Kopf anfühlte. Als hätte man dort eine Bowlingkugel platziert.

"Mach ich."

"Und gib mir Bescheid, falls du noch etwas brauchst. Ich kann dir heute Abend gern noch etwas vorbeibringen."

"Danke, Finn."

Was war, wenn unsere Nacht wirklich Folgen hatte? Wenn wir nun auf eine Art und Weise verbunden waren, die wir uns nicht einmal hätten ausmalen können. Ich ertrug den Gedanken daran nicht.

Im Moment konnte ich Finn nicht einmal in die Augen sehen.

Er küsste mich auf meine Wange. Es fühlte sich an, als würde ich von einer Flamme berührt werden.

"Gute Besserung, Ilvi!"

Me and my damn LifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt