Finns Perspektive
Stundenlang saß ich mit Frida im Wartebereich. Irgendwann kam Ruben dazu. Dann Ilvis Eltern und ihre Schwester. Man gab uns nicht viele Informationen. Wir wussten, dass es Komplikationen gegeben hatte und man sie operieren musste.
Und dann kam endlich ein Arzt mit einem Lächeln auf dem Gesicht zu uns. Es war der erste Hoffnungsschimmer seit Stunden.
"Herzlichen Glückwunsch!" verkündete er. "Sie sind soeben Vater eines gesunden Sohnes geworden."
Ehe ich überhaupt darüber nachdenken konnte, lief bereits die Freudentränen über mein Gesicht.
Ich war Vater.
Mein Sohn war gesund.
Doch eine Sache fehlte, um das Bild komplett zu machen.
"Und die Mutter?"
Der Blick wurde finsterer und meiner wurde es auch.
"Sie ist noch im OP. Es gibt einige Komplikationen. Konzentrieren Sie sich jetzt erst einmal auf ihren Sohn und wir kümmern uns um ihre Freundin."
Mein gesamter Körper verkrampfte sich. Wie sollte man sich in so einem Moment auch fühlen? Einerseits war es das schönste Gefühl, Vater zu sein und andererseits gab es nichts Schlimmeres, als um den Menschen bangen zu müssen, den man am meisten liebte.
"Hey", hörte ich Rubens Stimme hinter mir. Er legte seine Hand auf meine Schulter. "Du bist Vater. Das zählt in diesem Moment. Der Kleine braucht dich jetzt mehr denn je!"
Ich streckte mein Rücken durch. Ruben hatte Recht. Es ging hier nicht um mich, sondern darum, dass mein Sohn mich brauchte. Wenn er jetzt schon nicht bei seiner Mutter sein konnte, dann wenigstens beim Papa.
"Kann ich zu ihm?", hörte ich mich selbst sagen. Ich hatte das Gefühl mich in einem Film zu befinden, in dem alles fremdgesteuert war.
"Natürlich. Folgen Sie mir!"
Ich warf einen Blick zurück auf die Gruppe, die im Wartezimmer zurückbleiben musste: Ilvis Eltern, Madita, Frida und Ruben. Alles saßen da, wie ein Häufchen Elend. Ilvi hatten keinem etwas gesagt. Ihre Mutter hatte es zwar genauso wie Frida geahnt. Doch Ilvi hatte uns alle glauben lassen, dass alles in Ordnung war.
"Nun geh schon!", sagte Frida.
Der Arzt führte mich in ein Zimmer, in dem ein kleines Bettchen stand. Mein Herz schlug bis zum Anschlag. Ich würde endlich meinen Sohn kennenlernen.
"Er ist kerngesund. Wirklich ein fittes Baby. Genau so, wie es sein soll."
Ich beugte mich über das Bett und sah das kleine Bündel.
Er war perfekt und sofort wusste ich, was echte, wahre Liebe war. Er schlief und sah dabei so friedlich aus. Seine Finger waren winzig und die Hautfarbe rosarot.
"Sie können Ihn ruhig hochnehmen."
Er sah so fragil aus, doch ich wollte nichts mehr, als ihn in meinen viel zu großen Händen zu halten.
Vorsichtig legte ich meine Hände unter den kleinen Körper und hob ihn dann hoch. Er war so leicht und zerbrechlich.
"Sie machen das gut", ermunterte mich der Arzt.
Ich setzte mich auf einen Stuhl und wog meinen Sohn in meinen Armen. Seine Augen blieben geschlossen. Ich konnte ihn noch nicht einmal beim Namen nennen, denn Ilvi und ich hatten mehrere zur Auswahl. Wir hatten beschlossen, erst unseren Sohn sehen zu wollen, um zu wissen, welcher Name am besten passt.
"Hey Kleiner, ich bin dein Papa", sprach leise, um ihn nicht zu wecken.
Ich streichelte ihm über die Wange. Tatsächlich öffnete er die Augen, als hätte er mich gehört. Sie waren dunkel. Fast schwarz. So wie die von Ilvi.Er sah in meine Richtung. Ich wussten nicht genau, wie viel er schon wahrnehmen konnte, doch im Moment bedeutete es mir alles, ihn in die Augen blicken zu können.
"Wollen Sie dem Kleinen schon mal das Fläschchen gegeben?"
Irritiert sah ich ihn an.
"Er soll doch gestillt werden", wandt ich ein.Die Gesichtszüge des Arztes wurden wieder etwas härter.
"Das wird erst einmal nichts werden. Wir mussten der Mutter starke Narkosemittel geben und sie wird sicher auch eine Weile brauchen, sich von dem Eingriff zu erholen. In den nächsten Tagen kann der Kleine leider erst einmal nicht gestillt werden. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Er gibt viele Kinder, die nicht gestillt werden können und es hat ihnen nicht geschadet."
"Das heißt, dass keine Lebensgefahr mehr besteht?""Leider nicht. Sie kämpfen gerade um ihr Leben", sprach der Arzt offen und dafür war ich ihm dankbar. "Die Krankheit, die sie hat, stellt ein enormes Risiko dar. Insbesondere in so einer stressvollen Situation wie einer Geburt. Wir geben wirklich unser Bestes, damit der Kleine mit seiner Mutter aufwachsen kann."
Ich klammerte mich ein wenig mehr an meinen Sohn. Es war das erste Mal, dass es jemand aussprach: Ilvi kämpfte in diesem Augenblick um ihr Leben.
Meine Augen füllten sich mit Tränen. Heute Morgen war doch noch alles gut gewesen.
Ich sah wieder zu meinem Sohn. Ich wünschte mir nichts mehr, als dass er von seiner Mutter in den Händen gehalten werden konnte. Er sollte auch wissen, wie wundervoll sie war.
"Sie sollten wissen, dass ihre Freundin alles riskiert hat, um ihren Sohn zur Welt zu bringen. Wir haben ihre Krankenakte gesehen und sie kannte ganz genau das Risiko, welches mit der Schwangerschaft und der Krankheit einhergeht. Sie hat sich ganz bewusst für Ihren Sohn entschieden. Sie wollte dieses Kind unbedingt, sonst wäre sie niemals das Risiko eingegangen. Vielleicht hat sie Ihnen nichts gesagt, weil sie genau wusste, dass Sie ihr Leben hätten beschützen wollen. Aber glauben sie mir eins: Dieser Junge wurde von seiner Mutter bereits mehr geliebt als man sich vorstellen kann."
Ich starrte auf meinen Sohn, als ich diese Worte hörte und konnte es nicht glauben. Ilvi hatte gewusst, dass sie sterben konnte? Warum hatte sie mir denn nichts gesagt?
Ich konnte nur hoffen, dass sich mein schlimmster Albtraum nicht bewahrheiten würde.
DU LIEST GERADE
Me and my damn Life
RomanceIlvi ist im Leben angekommen. Zumindest glaubt sie das: Sie hat einen guten Job, wohnt mit ihrem Freund zusammen und ist jeden Freitag mit ihren drei besten Freunden in ihrer Stammkneipe anzutreffen. Doch so einfach ist es nicht: Eine verhängnisvol...