Der Regen prasselte gegen mein Fenster. Ich sah zu, wie sie gegen die Scheibe klatschten, sich lang zogen und langsam herunter flossen. Das tat ich öfter. Auf seltsame Weise entspannte es mich irgendwie."Leyla!!". Ich zuckte zusammen. Meine Mum platzte natürlich ohne zu klopfen direkt in mein Zimmer. "Ich glaube ich habe einen Weg gefunden, deinen Bruder doch noch zu finden!". Ich schob die Augenbrauen zusammen. "Hatten wir das nicht schon geklärt?", gab ich eiskalt zurück.
Das lächeln, was gerade noch auf dem Gesicht meiner Mum war, verschwand plötzlich. "Du hast recht", gab sie nach, "Ich sollte dich nicht noch zusätzlich damit belästigen..." Mit diesen Worten verschwand sie und ich war wieder alleine in meinem Zimmer.
Einen kurzen Moment lang, meinte ich, die Tränen in ihren Augen aufschimmern zu sehen.
Mein Bruder ist jetzt seit genau einem Jahr verschwunden. Ich erinerrte mich zurück, an seine goldbraunen Augen und seine lockigen Haare, die ihm immer etwas übers Gesicht fielen. Bei dem Gedanken daran spürte ich so ein seltsames Gefühl, dann kribbelten meine Beine.
Aber immer dann, wenn sich das Gefühl ausbreiten wollte, blieb es irgendwo hängen und ich spürte wieder nichts. Als ob mein Körper dieses seltsame etwas einfach abstoßen würde.
In solchen Momenten dachte ich an meine Diagnose. Alexithymie, so hatte es der Arzt damals genannt. Es heißt soviel wie "Fehlende Worte für Gefühle".
Doch meine Form davon war noch seltener und leider auch schlimmer. Mein Körper konnte die Gefühle nicht nur nicht in Worte fassen, sondern auch nicht spüren. Es gab aber trotz all dem, genau drei Gefühle, die ich wahrnehmen konnte:
Wut, Schmerz und Angst.
Genau. Nur die drei Gefühle, die sich ein Mensch am wenigsten wünscht.
Ich seufzte. Eine Schwäche von mir war leider auch, mit den Gedanken schnell abzuschweifen. Wo war ich gerade? Ach ja, bei meinem Bruder. Damals war er...
"LEYLA?!" Das war eindeutig mein Dad. "Weißt du eigentlich wie spät es ist?! Wir müssen los, sonst kommst du noch zu spät zur Schule!"
Völlig verstört sprang ich vom Stuhl, griff nach meiner Schultasche und polterte die Treppe herunter. "Dad, verdammt, ich bin noch nicht soweit!" Wütend rannte ich in die Küche um die Packung Müsli aufzureißen und sie mir mehr oder weniger krümelnd in den Mund zu schütten.
Wenn mich jemand aus den tiefen meiner Gedanken riss, brauchte ich erstmal einen Moment zum runterkommen. Ich weiß auch nicht was genau in solchen Momenten in mir vorgeht, aber ich wurde jedes mal rasend und fuhr alles und jeden an, der mir im Weg stand.
Nachdem ich "gegessen" hatte, rannte ich in den Flur, wo mein Dad schon auf mich wartete. Als ich an ihm vorbei wollte, griff er nach meinen Armen. Sofort brach diese Wut in mir wieder aus und ich fing an, um mich zu schlagen.
"Hey!" Die Stimme meines Dads klang wie durch Watte in meinen Ohren. "Lass mich!", brüllte ich ihn an. Da ging mein Dad auf die Knie, seine Hände immer noch auf meinen Armen liegend. Plötzlich war ich wie in einer Schockstarre.
Ich sagte nichts und tat auch nichts mehr. Ich stand einfach nur still da. Ganz langsam ließ mein Dad meine Arme los und legte sie behutsam auf meinen Rücken. Dann zog er mich stück für stück nach vorne, bis ich in seinen Armen war.
"Entschuldige... ich hätte eben nicht so laut sein sollen", sagte er mit sanfter, leiser Stimme.
Ich reagierte nicht, aber ich spürte, wie die Wut langsam von mir wich. Wie schaffte er es, mich jedes einzelne mal zu beruhigen... Ich kannte niemanden, der das so gut konnte wie mein Dad.
Auch wenn ich es nicht spüren konnte, wusste ich trotzdem, das es so unglaublich wertvoll war, einen Vater wie meinen zu haben.
"Geht es wieder?" Er löste sich von mir und sah mir tief in die Augen. Diese Augen erinerrten mich an meinen Bruder.
Ich selbst hatte braune, schillernde Locken, die mir seit meinem letzten Haarschnitt bis unter die Schultern reichten. Dazu hatte ich rehbraune Augen, mit einem Hauch von grün gemischt.
"Ja". Meine Antworten waren meist kurz und knapp, aber genug für meine Eltern, um zu verstehen wie es mir ging.
"Okay, bist du bereit? Können wir los?", fragte mein Dad.
Ich nickte.
Wir stiegen ins Auto und fuhren los. Unterwegs sprach ich nicht. Manchmal stellten mir meine Eltern extra Fragen. Mein Arzt meinte anscheinend, ich solle mehr reden. Dabei wollte ich das doch gar nicht.
Ich war still, aber ich fand das nicht schlimm.
Eigentlich mochte mein Dad immer gerne über alles und jeden sprechen, doch heute sprach er nichts. Ich wunderte mich ein wenig darüber. Stocksteif saß ich im Auto und starrte aus der Front.
Mein Dad sah mich von der Seite an. "Kann... ich mit dir reden?", fragte er mich. "Was ist los, rücks raus" Meine Beine kribbelten schon wieder so komisch.
"Ich... habe eine Einladung bekommen. Von meiner Arbeit. Unzwar nach England. Es ist eine Geschäftliche Reise... für ein paar Wochen."
Diese Worte waren wie ein Stich in mein Herz. Seit meiner Diagnose hat mich mein Dad noch nie so lange alleine gelassen. Nur zu ihm konnte ich so eine gute Beziehung aufbauen. Nicht mal zu meiner Mum.
"Meinst du, du schaffst das solange alleine mit deiner Mutter?", murmelte mein Vater leicht gequält.
Ich reagierte nicht auf seine Frage. Sollte mein Dad doch ruhig ein schlechtes Gewissen haben.
Als wir angekommen waren, stieg ich ohne ein Wort aus und schlug die Tür hinter mir zu. Auf dem Weg zu dem großen Schulgebäude, fiel ich wieder in meine Gedanken.
Eins verschwieg ich meinen Eltern schon eine längere Zeit: Es war jeden Morgen dasselbe. Jedes mal hatte ich so ein schreckliches Gefühl, was den ganzen Vormittag anhielt.
Ein Gefühl das sich, natürlich auch noch unter den anderen zwei, in mir breit machte und mich innerlich von Tag zu Tag mehr auffras: Angst
Und ich wusste, langsam konnte ich nicht mehr.
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Heyy :D
Hier ist erstmal so ein wenig Allgemeinwissen zum reinlesen. Ich hoffe ich konnte euch vielleicht sogar anregen, weiter zu lesen. Und natürlich wird auch diese Geschichte im Laufe spannender, versprochen ;)
Würde mich auch mega über pro- sowie auch contra Kommentare freuen :)
LG AppletrailWörter: 991
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Unfeeling
Teen FictionKann jemand, der nur Angst, Wut und Schmerz empfinden kann überhaupt vernünftig leben? Leyla schon - denkt sie jedenfalls. Doch als sie mit ihrem Vater für ein paar Wochen nach England fährt, wird ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt und plötzli...