Schritt für Schritt ging ich so langsam wie möglich über den geteerten Schulhof. Ich hatte das Gefühl, dass das Geräusch, wenn meine Schuhe den Boden berührten, laut in meinem Kopf wiederhallte. Mein Blick war immer starr nach vorne gerichtet.
Doch umso näher ich dem Schulgebäude kam, desto stärker nagte die Angst in mir. Ich spürte es, da war dieses ziehen im Bauch, dann wurde mir schlecht. Daran war ich aber mittlerweile schon gewöhnt. Und genau das gefiel mir an der ganzen Sache nicht. Doch man sah mir das alles nicht an. Es war nur das, was ich fühlte.
In meinen Augenwinkeln sah ich, wie die Schüler mir offensichtlich aus dem Weg gingen, manche tuschelten, lachten oder sahen mich einfach nur ängstlich an.
Nach außen wirkte ich also ziemlich angsteinflößend, das hatte ich eingesehen.
Mit dem Gedanken, das ich keine Freunde habe und auch nie welche haben werde, hatte ich mich schon abgefunden. Doch trotzdem fraß es mich innerlich auf. Hier, in der Schule, fühlte ich mich alleine und stehengelassen.
Als es klingelte, ging ich trotz dem schlechten Gefühl schnurstracks ins Gebäude und rein in die elfte Klasse. Als mein Fuß über die Schwelle des Klassenraums trat, stoppten alle ihr derzeitiges Gespräch und drehten sich zu mir um.
Für einen normalen Menschen wäre das wahrscheinlich der peinlichste Moment im Leben. Aber das galt nicht für mich. Mein Gesicht zeigte keinen Ausdruck und meine Augen formten sich zu schmalen Schlitzen.
Mit schnellen Schritten, lief ich, bzw sprintete ich eher, zu meinem Platz.Ein Einzeltisch, natürlich. Manchmal vermisste ich die Gespräche, die ich mit jemandem neben mir hätte führen können, doch auf den Moment konnte ich lange warten. Nicht einer aus meiner Klasse kam überhaupt nur auf den Gedanken, auch nur in meine Nähe zu kommen, oder sich gar neben mich zu setzen.
Sobald ich hinten in der letzten Reihe auf meinem Platz saß, setzten meine Klassenkameraden mit ihrem Redeschwall fort. Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten. Alles, was ich vormittags hörte waren Menschen, die sich lautstark unterhielten oder brüllten. Am allerschlimmsten, war es für mich, wenn ich Wortfetzen wie "Leyla", oder "herzlos" hörte. In solchen Momenten zog sich mein Herz krampfhaft zusammen und entspannte sich meistens erst wieder, wenn ich zuhause auf meinem Bett lag und versuchte, alle Vorkommnisse auszublenden.
Der Vormittag zog sich in die Länge wie Kaugummi. Die meiste Zeit hörte ich nur mit halbem Ohr zu und kritzelte kleine Malereien in mein Heft. Als es zum Schulschluss klingelte, stöhnte ich erleichtert auf, erhob mich von meinem Platz und war als Erste draußen. Auf dem Weg nach Hause stöpselte ich mir meine Kophörer in die Ohren und lauschte der Musik. Es war englische Musik, doch das fiel mir meistens erst auf, wenn sie zu ende war. Für mich war es wie Deutsch.
Geboren wurde ich nämlich vor ungefähr 17 Jahren in einer kleinen Stadt in England. Als mein Bruder plötzlich verschwand, war ich 16. Ich habe meine Eltern noch nie so verzweifelt gesehen und ich hatte in meinen ganzen 16 Jahren noch nie derartigen Schmerz gespürt. Mein Bruder war zwei Jahre älter wie ich und immer mein einziger Freund, in diesem einsamen Leben das ich geführt hatte, gewesen. Doch dann war er plötzlich weg. Zwei Wochen vor seinem verschwinden erzählte er mir, er hätte endlich eine Arbeitsstelle gefunden. Ich erinnerte mich noch an sein glückliches Lächeln. Nur leider war seine Stelle etwas weiter weg, wie er mir mitteilte. "Es ist erstmal nur für zwei Wochen. Ich bin nur auf Probe dort", sprach er beruhigend zu mir. "Du schaffst das!".
Ich nickte. Doch nicht ohne an seinem Abschied ein paar Tränen vor Schmerz zu vergießen.Drei Tage später bekamen wir einen Anruf von der Arbeitstelle meines Bruders. "Ist Jack noch bei euch?", fragte eine Junge Frau am Telefon, "Er sollte schon längst hier sein...".
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Unfeeling
Teen FictionKann jemand, der nur Angst, Wut und Schmerz empfinden kann überhaupt vernünftig leben? Leyla schon - denkt sie jedenfalls. Doch als sie mit ihrem Vater für ein paar Wochen nach England fährt, wird ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt und plötzli...