1.5 Tared

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Tared

Heute würde er mit den Führern dieses Dorfes speisen. Das war eine angenehme Abwechslung, nachdem er die letzten Tage damit verbracht hatte, die verängstigten Mädchen zu beobachten. Natürlich waren die Familien, mit denen er speisen würde nicht von der Wahl betroffen. Niemand hatte eine Tochter im richtigen Alter, die nicht verheiratet war. Wo immer er aufgekreuzte, wurde er gemieden und die Mädchen mussten plötzlich nach Hause. Als ob es sie retten würde. Eine von ihnen würde mit ihnen gehen, so viel stand fest. Welche, das war im Grunde genommen egal. Gerne hätte er Gwen mitgenommen. Das Mädchen war erfrischend offen und neugierig, dabei jedoch nicht aufdringlich. Ein Mädchen, mit dem die Reise gewiss angenehm bis interessant geworden wäre. Aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund konnte oder wollte sie nicht mit. Sehr zu seinem Bedauern war sie seiner Frage nach ihren Beweggründen ausgewichen.

Als er das Mädchen später bewusstlos im Wüstensand entdeckt hatte, hatte er sich zum ersten Mal gefragt, was so anders an ihr war. Sie wirkte gut genährt und auch sonst recht fit. Warum also war sie plötzlich zusammengebrochen? Und dann die Reaktionen des Dorfvorstehers, als er sie nach Hause bringen wollte. Man hatte sie ihm abgenommen und schleunigst fortgebracht. Nach den Gesichtern der anderen Dörfler zu urteilen, wussten auch sie nicht was los war. Was auch immer hier im Gange war, das Mädchen schien es zu spüren und war anscheinend bemüht, einen Ausweg zu finden. Er fragte sich, wo sie jetzt wohl sein mochte. Die normalen Bürger konnten es ihm nicht sagen, waren an sich sogar froh, sie nicht treffen zu müssen. Wie schwer hatte sie es hier wirklich? Vielleicht sollte er Cyres darum bitten, sie mitzunehmen.

„Werter Herr Tared." Die Dame des Hauses verneigte sich übertrieben vor ihm. „Es ist uns eine Ehre, Sie willkommen zu heißen." Mit einer höflichen Antwort trat er ein.

Wenig später wurde ihm klar, was aus Gwen geworden war. Blass wie ein Gespenst saß sie am hinteren Ende der Tafel und starrte teilnahmslos vor sich hin. Wie war sie hergekommen? Als er angekommen war, war sie noch unverheiratet gewesen. Davon hatte er sich schließlich überzeugt. Der älteste Sohn des Dorfvorstandes trat hinter sie und legte eine Hand auf ihre Schulter. Heftig zuckte sie zusammen und fegte dabei ungeschickterweise ein Messer vom Tisch.

Sofort hatte er die nervös lächelnde Gastgeberin an seiner Seite. „Entschuldigen Sie ihre Ungeschicklichkeit."

Gwen schien nicht mitbekommen zu haben, was gesprochen wurde. Der junge Mann an ihrer Seite reichte das Messer einer jungen Frau, die davoneilte und kurz darauf mit einem neuen zurückkehrte.

Wieder drängte die Hausdame sich ihm auf. „Meinen ältesten Sohn kennen Sie ja schon. Das Mädchen", sie seufzte theatralisch, „ist seine Frau. Ein ungeschicktes Ding, wie Sie schon bemerken mussten."

Tared nickte knapp. Von wegen ungeschickt. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. Sie war viel zu blass und eindeutig verängstigt. Als spürte sie seinen Blick auf sich ruhen, hob sie plötzlich den Kopf und sah in seine Richtung. Da traf es ihn wie einen Schlag: ihre Augen hatten beinahe sämtliche Farbe verloren! Bevor er etwas sagen konnte, schlug sie ihren Blick nieder. Während ihres Augenkontakts war ihr Mann noch näher an sie heran gerückt, was ihn argwöhnisch machte. In seinen Augen hatte es den Anschein, dass Gwen unterdrückt wurde. Die Art, wie sie auf alles achtete und jedes Mal zusammenschrak, wenn man mit ihr sprach oder wie sie auf der Kante des Stuhls saß, jederzeit dazu bereit, dir Flucht zu ergreifen. Das alles waren Indizien dafür, dass sie nicht hier sein wollte.

Den Abend über beobachtete er das Mädchen genau. Wann immer der älteste Sohn sein Interesse an ihr bemerkte, benahm er sich der Kleinen gegenüber noch einnehmender. Das arme Ding hatte ja kaum noch Luft zum Atmen.

„Haben Sie schon ein Mädchen im Auge?"

Diese unverfrorene Frage kam von der Hausherrin. Er mochte sie nicht. Sie war unhöflich, indiskret und von sich selbst überzeugt. „Die Wahl will sorgfältig getroffen werden", entgegnete er schlicht. An sich fand er alle schmuck- und reizlos – obwohl das im Auge des Betrachters lag.

„Ich bin mir sicher, Gwen hat bei Ihnen Eindruck hinterlassen. Schließlich hat sie Sie geradezu herausgefordert, sie mitzunehmen." Die Stimme der Frau war pures Gift.

Am anderen Ende klirrte Besteck. Gwen hat ihren Löffel fallen gelassen. Im Gegensatz zu den anderen aß sie nur Suppe. War sie etwa schwerkrank? Unwahrscheinlich. Niemand heiratete eine schwerkranke junge Frau. Anstatt Kontra zu geben, wie er es von ihr erwartet hatte, schwieg sie und starrte verbissen auf ihren Teller.

„Sie ist ein ausgesprochen höfliches und willensstarkes Mädchen. Es war ihre freie Entscheidung, mein Angebot abzulehnen."

Alle am Tisch starrten ihn an. „Gwen hat ihren Antrag abgelehnt?" Der zweite der Führer schien als erster seine Sprache wiedergefunden zu haben.

„Sie irren", entgegnete Tared freundlich. „Ich habe nicht die Absicht, mir eine Partnerin zu suchen." Schließlich war er glücklich vergeben.

Die anderen im Raum atmeten kollektiv auf. Da musste er ein Schmunzeln unterdrücken. Sein Partner würde die Wände hochgehen, würde er ein Mädchen anschleppen.

Direkt nach Beendigung des Essens zogen sich die Söhne und Gwen zurück. Das Mädchen konnte den Raum gar nicht schnell genug verlassen. Nur zu gern hätte er die Anwesenden darauf hingewiesen, dass sie Vertragsbruch begangen hatten, indem sie das Mädchen innerhalb der Sperrfrist verheiratet hatten. Allerdings war es nicht an ihm, Satisfaktion zu fordern. Er würde weiterhin als neutraler Beobachter das Geschehen verfolgen und Cyres Bericht erstatten. Apropos Cyres. Wenn er nicht langsam hier auftauchte, würde er jemand anderen her bitten müssen.

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Was ist bloß mit Gwen passiert? Argh, ich bin grad so unkreativ, was die Fragen hier angeht... Also, hat es euch gefallen? Ihr dürft jederzeit gerne Abstimmen und Kommentare hinterlassen ;) 

LG, Ama :3 

TeufelsnachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt