~Kapitel 5~

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Lyla

Als ich die Augen öffne, ist es noch dunkel und Jake schläft neben mir. Ich setze mich auf der Matratze auf und ziehe mir meine Jacke über um einen kurzen Blick in die Finsternis zu wagen. Also stehe ich auf und schlinge meine Arme um den Körper, um mich mit der Jacke vor der Kälte der Nacht zu schützen. Der Mond steht über dem See und ich lasse meinen Blick über das Camp schweifen. Mit zögerlichen Schritten gehe ich an dem großen Lagerfeuer vorbei. Mein Blick bleibt an einer zierlichen Gestalt, welche am Seeufer steht, hängen. Misstrauisch betrachte ich die Gestalt und gehe langsam auf sie zu. Mir fällt auf, dass sie mit dem Rücken zu mir steht und auf den See hinaus schaut. Die Gestalt verwandelt sich langsam in eine Frauensilhouette, mit langen dunkelblonden Haaren, welche im Mondlicht schimmern. Ich trete näher an diese Frau heran: „Hallo?“. Die Frau dreht sich zu mir um und als das Licht des Mondes in ihr Gesicht scheint und es erkennbar macht, schrecke ich bei ihrem Anblick zurück. „Lyla?“, frage ich unsicher. Die Frau lächelt mich stumm und kurz an. „Aber wie ist das möglich? Du bist tot, d-d-du…“, stottere ich und ihr Gesichtsausdruck verfinstert sich augenblicklich. „Ja, ich bin gestorben, wegen dir! Du bist schuld, dass ich tot bin! Du allein! DU HAST MICH IN DIESEN SEE VERRECKEN LASSEN!“, schimpft sie und drängt mich in immer weiter in den See. Das kalte Wasser dringt durch meine Ausrüstung und durchnässt meine Kleidung. „Lyla, es tut mir leid. Ich konnte nicht…d-d-d-du, w-w-w-wir wären auch g-g-g-gestorben! Versteh das doch!“, stammle ich und gehe weiter rückwärts und damit tiefer in den See hinein. Das Wasser steht mir bis zur Brust und drückt unangenehm auf meinen Brustkorb. Das Atmen fällt mir immer schwerer und Lyla kommt mir immer näher. „Nein, Lydia! Du bist schuld du allein. Nicht Martin, nicht Jason, nicht Karen und auch nicht Jake! Nur du allein! Das ich jetzt tot bin, werde ich dir niemals verzeihen, niemals! Ich dachte du wärst meine beste Freundin!“, schimpft Lyla weiter. Nur noch mein Kopf schaut aus dem Wasser und ich versuche mich mit meinen Zehnspitzen über Wasser zu halten. Tränen schießen in meine Augen und hinterlassen heiße, salzige Spuren auf meinen Wangen. Mein Kopf trieft von Schuldgefühlen, denn Lyla hat nicht Unrecht. Es war meine Idee, sie dort zulassen und ich habe mich von Jake aufhalten lassen und sie nicht gerettet. Sie ist meinetwegen tot! „Du wirst dafür büßen, dass du mich sterben gelassen hast! Du wirst auf dieselbe Art und Weise verrecken, wie ich es musste! Du wirst ertrinken und keine Menschenseele wird dich retten kommen!“, sagt sie und mit diesen Worten greift sie meine Haare und zieht meinen Kopf unter die Wasseroberfläche. Die eisige Kälte des Wassers schießt in meine Augen und strömt in meine Lunge. Ich schlage um mich und versuche wieder aufzutauchen. Doch Lyla hat ihr ganzes Körpergewicht auf meines gestemmt und somit bleibt mir nichts anderes übrig als mich weiter zu wehren. Meine Lungen brennen fürchterlich. Kurz schaffe ich die Oberhand zu gewinnen und komme an die Wasseroberfläche. Brennender Sauerstoff versucht in meine Lungen zukommen. Doch das Wasser hat schon zu viel Platz eingenommen. Ich schnappe verzweifelt nach Luft und versuche Lyla unter mir zulassen. Plötzlich höre ich eine weit entfernte Stimme am Ufer des Sees rufen: „Lydia!“. Diese Stimme klingt vertraut. Ich halte Ausschau nach der Quelle. Lyla wehrt sich mit aller Kraft und zieht mich wieder unter sich. Das Wasser erstickt meine Hilfeschreie. Dennoch höre ich die Stimme, welche meinen Namen ruft immer noch so klar und deutlich. Immer wieder ruft sie meinen Namen, während langsam schwarze Punkte vor meinen Augen tanzen. Die Stimme wird lauter und Lyla fängt an mich zu schütteln. Die schwarzen Punkte werden zu schwarzen Flecken und meine Gliedmaßen werden schlaff.

Das Schütteln stoppt nachdem ich erschrocken hoch schrecke. Ich ringe nach Luft und warme Schweißtropfen rennen über meine Stirn. Salzige Tränen brennen auf meiner Haut. Eine kühle Hand legt sich auf meine Schulter und lässt mich zusammenzucken. „Hey, hey! Lydia, es ist alles gut!“, sagt die beruhigende Stimme und langsam realisiere ich, was soeben mit mir passiert ist: es war nur ein Traum. Ein beschissener und angsteinflößender Alptraum.
Langsam beruhige ich mich und muss nicht nach Atem ringen. Noch etwas unter Strom schaue ich Jake an, der mich besorgt ansieht. „Geht’s wieder?“, fragt er und streicht über meinen Rücken. Ich lehne mich dankbar an ihn und schließe die Augen: „Ja!“. Jake drückt mich an sich und hält mich fest. „Schuldgefühle?“, fragt er und legt sein Kinn auf meinen Kopf ab. „Ja, dieser Ort ist beschissen!“, antworte ich und schlage leicht wütend mit der Faust auf die Matratze. Jake lacht leicht auf: „Ich muss zugeben, gerne bin ich auch nicht hier!“. Ich lächle leicht, drifte aber schon leicht wieder ab. „Willst du mir sagen was passiert ist?“, fragt er sanft und leise, jedenfalls kommt es mir leise vor. Doch mit seiner Frage verblasste die aufkommende Müdigkeit und macht den Schuldgefühlen wieder Platz. Meine Augen werden wieder feucht. „Lyla…“, ist alles, was ich rausbringen kann, bevor meine Stimme in schluchzen übergeht. „Hey, shhhhh! Es ist alles gut, ich bin hier!“, sagt er und drückt mich- falls das überhaupt möglich ist- noch enger an sich. Er fragt auch nicht weiter nach meinem Alptraum, worüber ich ihm ebenfalls sehr dankbar bin. Langsam beruhige ich mich wieder und entspanne mich etwas. Jake zieht die Decke über mich, um mein mittlerweile eingekehrtes Zittern zu ersticken. Jedoch ist es nicht der nächtlichen Kälte verschuldet, sondern eher meiner anbahnenden Panik vor weiteren Alpträumen, die sich langsam in meinen Kopf setzt. Jake scheint dies zu bemerken, denn er beginnt sanft auf und ab zu wippen. Er hat sich dieses Verhalten angewöhnt und führt es immer aus, wenn ich aufgebracht, nervös oder traurig bin.

Ich weiß nicht wie lange wir so verharrt sind, aber als ich das nächste Mal die Augen aufschlage, liegen wir nebeneinander auf der Matratze. Es ist noch dunkel und nur der Schein des großen Lagerfeuers, in der Mitte des Camps, lässt etwas Licht ins Zelt. Draußen ist es noch still, also ist es noch nicht die Zeit für das Treffen und die Besprechung, sowie das Planen der Expedition, gekommen. Ich drehe meinen Kopf und sehe in Jakes schlafendes und entspanntes Gesicht. Vorsichtig streiche ich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich bin dankbar, dass er immer bei mir ist und mir zur Seite steht. Es ist ebenfalls nicht einfach für ihn, hier zu sein. Immerhin hat er Jason den Gnadenstoß gegeben und Martin, Lyla und Karen sterben sehen. Dazu wäre ich ihm auch fast durch die Finger geglitten, während Hastings sein Leben zerstörte.  Jake hatte und hat es nicht leicht, da bin ich mir sicher. Doch ich bewundere ihn, trotz, dass wir noch am Anfang unseres Lebens stehen, er so stark und selbstbewusst auftreten und handeln kann.
Ich atme laut aus und schließe die Augen wieder. Dann kuschle ich mich näher an Jake, um mir die Sicherheit zu geben, die ich zum weiterschlafen brauche. Jakes Nähe, seine Wärme, gibt mir diese Sicherheit und ich weiß nicht, was ich ohne sie machen würde.

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