Hayes

1

Nur, weil meine Noten wegen den Lehrern schlecht sind, will sie mich in ein Internat schicken? Und dann auch noch so weit weg? Unglaublich. Was sage ich Aria? Dass ich jetzt einfach abhaue und sie im Stich lassen werde? Ganz sicher nicht. Ich werde einen Weg finden, wie ich nicht dahin muss.

Verwirrt laufe ich in meinem Zimmer auf und ab, als es auf einmal an der Tür klopft. Mit einem "Ja?" bitte ich die Person rein. Mum.

"Liebes, ich weiß, du bist sauer auf mich."

Ich verdrehe die Augen und lasse mich auf mein Bett nieder.

"Aber, Schätzchen, das ist nicht irgendein Internat! Die Schule hat psychologische Unterstützung. Und kann dir sehr weiterhelfen, das verspreche ich dir." Sie lächelt mir aufmunternd zu.

Psychologische Unterstützung?

"Ich will aber nicht dahin, Mum..", nuschele ich und lege meine Bettdecke über mich.

"Elodie, es ist das Beste für alle."

Ihre Stimme war nicht mehr so zart und liebevoll. Jetzt war sie kalt und strikt.

Für längere Zeit ist es still. Dann schaue ich aus der Decke.

"Wie heißt das Internat? Das ist das Mindeste, was du mir sagen kannst."

"Lightwood.", sagt sie kurz, ehe sie mein Zimmer verlässt.

Sie ruft mir noch hinterher, dass ich lieber schonmal packen soll. Mein erster Tag sollte am Montag sein.

Anstatt das zu machen, was sie mir gesagt hat, krame ich meinen Laptop unter dem Bett raus und tippe 'Lightwood' in das Suchfeld. Doch mir wird nur eine psychiatrische Einrichtung gezeigt. Irritiert tippe ich 'Lightwood Boarding school' ein. Nichts, keine Ergebnisse. Das verstehe ich nicht. Ich klicke auf den Pfeil, der mich eine Seite zurückbringt, um auf eine Website zu gehen.

Lightwood - DIE psychiatrische Einrichtung!

Ich überfliege die Zeilen, bis ich ein für mich wichtiges Wort gefunden habe.

.. oder an Depression gelitten haben, so können Sie es selbstverständlich in unsere Obhut geben. Ihr Kind ist bei uns in guten Händen ..

Ernsthaft? Ich soll da hin?

Fassungslos starre ich den Bildschirm an. In der Hoffnung, das Internet spielt mir gerade einen dummen Streich. Keine Ahnung, wie lange ich das gemacht habe, aber meine Augen tun davon bereits weh, sodass ich mehrmals blinzeln muss.

Okay, Elodie, vielleicht ist das alles nur ein dummer Scherz. Ich könnte mit Dad reden, und der wiederum könnte mit Mum reden. Warte, keine gute Idee. Wenn das in einem Streit ausartet, werde ich vielleicht heute schon hingebracht. Wir haben Freitag Morgen. Ich hab also drei Tage, um meiner Mum diese bescheuerte Idee aus dem Kopf schlagen. Nur wie? Hoffentlich kann Aria mir helfen.

Rasch nehme ich mein Handy zur Hand und schreibe meiner besten Freundin, dass wir uns in 15 Minuten an der Eisdiele treffen. Ich brauch nicht nur ein Gespräch, sondern auch einen kühlen Kopf. Da ist Eis, denke ich, ganz hilfreich.

Hoffnungsvoll will ich aus dem Zimmer stürmen, doch dann erinnere ich mich an die Worte von Mum. Ich soll doch packen. Verflucht. Was jetzt? Ahh, denk nach, Elodie, komm schon.. Ich hab 15 Minuten, wenn ich renne vielleicht 10 oder weniger. Aria ist aber sehr sehr pünktlich. Sie wird es verstehen, wenn ich mich etwas verspäte, oder?

Klar, bis gleich! <3

Okay. Absagen geht nicht mehr. Also dann, einfach etwas in den Koffer schmeißen. Was genau das ist kann ich später noch durchschauen. Wie ein kleiner Sturm nehme ich alles mit und stopfe es in den Koffer. Hemden, T-Shirts, Hosen, Röcke, Hoodies, Strümpfe, Socken, Unterwäsche. Ich sortier später lieber wirklich.

Ein kurzer Blick auf die Uhr, sagt mir, dass ich nur noch 11 Minuten habe. Dann mal los. In Eile stülpe ich mir meinen Mantel über und nehme meine Stiefel zur Hand. Und jetzt heißt es: ganz leise und vorsichtig sein. Bitte, Mum, bitte lass mich durch, bitte, bitte..

Ich glaube, ich war noch nie so leise und angespannt. Wenn Mum herausfindet, was los ist, bin ich tot. Sie ist bei sowas, unfassbar streng. Trotzdem ist mir ein Leben mit ihr lieber, als in eine Klinik zu müssen, wegen einer Depression, die ich schon seit Monaten hinter mir habe.

Sie kocht gerade. Nach dem Geruch zu urteilen gerade Suppe. Ich hasse Suppe. Oder ihre Suppe. Die ist entweder ein ekelhafter Eintopf oder eine giftige Flüssigkeit. Als ich die Tür erreiche öffne ich diese möglichst leise. Mum fängt an zu summen und sich im Kreis zu drehen. Dabei schwingt sie den Kochlöffel zum Takt. So ist sie schon immer gewesen.

Nachdem ich die Tür hinter mir wieder geschlossen habe renne ich zum vereinbarten - ehr zu von mir festgemachten - Treffpunkt. Glücklicherweise habe ich keine besonderen Hindernisse, sodass ich mich nur um einige Minuten verspäte.

"Tut .. tut mir echt leid, Ari!", sage ich außer Atem und schaue sie entschuldigend an; dabei stütze ich meine Hände auf meinen Knien ab.

Sauer sieht sie mich an. Sie hat ihre Beine übereinander geschlagen und sitzt mit ihrem Vanilleeis in der Hand auf einem der Stühle. Ihr bleiches Haar wippt im Wind und ihre dunkelgrünen Augen funkeln.

"Was hat dich diesmal aufgehalten?", stöhnt sie genervt.

Ich weiß, dass sie nicht wirklich sauer auf mich ist. Sie ist im Moment einfach bisschen böse, mehr nicht. Das ist immer so.

"Meine Mum.", murmele ich niedergeschlagen und setze mich neben sie.

Augenblicklich guckt sie mich aus mitleidigen Augen an.

"Och, Lo.. das tut mir leid." Sie stellt ihr Eis ab, um mich in eine warme Umarmung zu ziehen. Dann lehnt sie sich wieder in den Stuhl und schaufelt sich Eis in den Mund. "Was ist diesmal los?"

Ich lasse meinen Kopf hängen.

"Hey..", flüstert sie fürsorglich.

"Sie will mich auf Lightwood schicken. Sie meinte, das ist ein Internat. Ich hab gegoogelt." Kleine Tränen schießen in meine Augen. Kurz schniefe ich. "Das ist eine Klinik.."

Plötzlich erhebt sich Aria rasch und stemmt beide Hände auf den Tisch.

"Was?!", ruft sie.

Die Leute um uns herum schauen zu uns. Dann wendet sich Aria wütend an die andern.

"Kümmert euch um euch selbst!", schreit sie laut und schon sehen die andern weg.

Wie kann sie nur immer so viel Mut haben?

"Komm mit.", murmelt sie und nimmt ihr Eis, schultert ihre Tasche und zieht mich an der Hand mit sich.

"Wohin geht's?", erkundige ich mich verwirrt.

"Zu mir."

Sie lächelt mich an.

"Wir werden verhindern, dass du da hinkommst!", meint sie selbstsicher und schaut mich ermutigend an.

Ich muss leicht lächeln. Ich hab schon 'ne tolle beste Freundin.