III

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Ich frühstückte nie, aber dieser Tag würde anstrengend werden.
Ich strich mir Butter auf meinen Toast und beobachtete Kaia.
Ihr ging es allem Anschein nach ziemlich schlecht und sie schnitt sich nur eine kleine Ecke von ihrem Toast ab.
Sie brauchte für jedes Stück gefühlt drei Minuten.
Sie tat mir leid.
Aber was sollte ich machen, sagen "Iss mal mehr" und dann war sie geheilt?
Sowas funktionierte nicht.
Das wäre, als würde man einem Asthmatiker sagen, er solle mal atmen.
Als sie nach zwanzig Minuten endlich ihren Toast aufgegessen hatte, durften wir wieder auf unsere Zimmer gehen.
Ich hielt sie auf.
"Ein Kommentar über mein Essverhalten und ich reiß dir den Kopf ab", murmelte sie.
Ich schmunzelte.
"So aggro kenn' ich dich gar nicht."
"Was willst du?"
"Ich wollte fragen, ob wir gleich über was reden können. In so zwanzig Minuten, muss noch zum EEG."
Sie nickte leicht verwirrt.
"Gut, bis dann."
"Bis dann."
Gestern Nacht hatte ich nämlich einen Entschluss gefasst.
Ich musste hier raus, um jeden Preis.
Ich packte es nicht, seit fast drei Jahren war ich durchgehend eingesperrt gewesen.
Nur wegen ein bisschen Beschaffungskriminalität.
Ich seufzte und folgte dem PED ins Erdgeschoss des Krankenhauses.
Dort wurde ich in einen Raum geführt, in dem anscheinend mein EEG gemacht wurde.
"Du hast das wahrscheinlich noch nie gemacht, oder?", fragte die Ärztin, als der PED vor die Tür gegangen war.
"Doch, ich hatte als Kind Schlafstörungen."
"Oh, okay. Aber ein Schlaf-EEG läuft anders ab als ein normales."
Ich nickte und ließ mir die Elektroden am Kopf fest machen.
Dann musste ich bis zwanzig zählen und wieder zurück, und dann war ich auch schon fertig.
Ich ging mit dem PED wieder nach oben und hielt Ausschau nach Kaia.
Ich fand sie letztendlich auf meinem Bett sitzen.
"Willst du abhauen?", brachte ich es gleich auf den Punkt.
"Wie kommst du jetzt darauf?"
"Das ist mein dritter Tag hier und ich halte es nicht mehr aus", murmelte ich, "das hilft mir nicht."
"Ich weiß nicht", murmelte sie, "aber alleine abhauen ist auch scheiße, oder?"
Ich nickte.
"Willst du die nächsten Monate wirklich zum Essen gezwungen werden?"
Sie schüttelte heftig den Kopf, dass ihre Haare herumflogen.
Ich musste schmunzeln.
Irgendwie süß.
"Willst du jetzt abhauen oder nicht?"
"Naja, eigentlich schon. Muss ich mir noch überlegen."
Ich nickte ihr zu.
"Und jetzt sieh zu, dass du verschwindest. Bevor dich jemand sieht."
Sie nickte und schlich aus meinem Zimmer in ihres.

*

Ich war gerade wieder damit beschäftigt, Löcher in die Luft zu starren, als jemand an die Tür trommelte.
Hoffentlich war das kein PED.
"Was", sagte ich von meinem Bett aus.
"Ich hab mich entschieden."
Kaia stand vollkommen verheult in meinem Türrahmen.
"Willst du mit?"
Sie nickte.
"Gut."
Ich stand auf.
Meine Bauchtasche hatte ich mit allem nötigen gepackt: Zahnbürste, mein gesamtes Geld, was so zweihundert Euro waren, mein Tabak mit Papes, Filtern und Feuer und eine Packung Gummibärchen.
Ich hatte gefühlt achzig Schichten an, in meinem Mund war ein Nikotinkaugummi und ich zog meine Schuhe an.
"Zieh' dir paar Schichten an", riet ich ihr.
"Es tut aber gut, zu frieren", murmelte sie.
"Glaub mir, wenn du die ganze Nacht draußen bist, bist du anderer Ansichten."
Sie nickte und verschwand in ihrem eigenen Zimmer.
Nach zwei Minuten kam sie dick eingepackt wieder und ich sah nach links und rechts.
Niemand da, alle PEDs waren im Büro.
Unsere Chance.
Ich machte einfach die Tür auf, der Alarm ging sofort los und wir rannten in Blitzgeschwindigkeit die Treppen runter.
Ich und meine Raucherlunge konnten jetzt schon nicht mehr, aber es war egal.
Wir mussten sofort hier raus, sonst gab es mächtig Ärger.
Also rannten wir straight aus der Tür raus, mitten in die Stadt.
"Das war 'ne scheiß Idee", flüsterte Kaia, als wir in einer Seitengasse stehen blieben und kurz durch atmeten.
"Wir sollten jetzt nur noch drinnen chillen", murmelte ich.
"Warum?"
"Ich glaub', die Bullen suchen uns gleich mit dem Hubschrauber."
Sie nickte.
"Und Einstein, hast du eine Idee, wo wir hin können?"
Ich nickte und zog sie zügig in Richtung eines Wohnblocks.
"Wir gehen jetzt zu meinem Dealer, ja?"
Sie nickte.
Ich konnte sehen, dass sie zitterte.
"Ist dir kalt?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Ich bin grade nur sehr aufgeregt."
Ich nickte ihr zu und klingelte Sturm.
Heilige Scheiße, war das letzte Mal lange her.
Über zwei Jahre.
Hoffentlich verkaufte er überhaupt noch.
"Wer is'n da?"
"Ich bins. Altan."
"Komm rein."
Er klang echt lesh.
Also hatte er wahrscheinlich noch was.
Die Tür summte und wir fuhren mit dem Fahrstuhl in den zehnten Stock.
Er stand schon in der Tür und schaute nervös nach links und rechts.
Er schob wohl Paras.
Ich zog Kaia hinter mir her, gab ihm einen Handschlag und wir gingen zu dritt in seine ziemlich stinkende Wohnung.
"Yo."
Ich ließ mich auf seine Couch fallen und Kaia setzte sich neben mich.
"Du nimmst jetzt selber was?", fragte ich Timo.
Er nickte.
"Versuchung, das selber mal zu probieren, war zu groß und jetzt bin ich ein Addict. Bro, sorry dass ich frage, aber bist du nicht im Knast?"
Ich grinste.
"Hab' was dummes gemacht, bin Klapse gekommen, und", ich lachte auf, "von der offenen kann man halt leichter abhauen als aus der JHE."
"Brauchst du was?"
"Fentanyl wär' geil. Und 'ne Bleibe."
Er nickte und hob ein Polster der Couch hoch.
So fucking viele Drogen.
Ich blickte zu Kaia.
Sie schien sich unwohl zu fühlen und wackelte mit ihrem Bein.
Er warf zwei Pflaster auf mich.
"Hundertvierzig."
Ich nickte und gab ihm drei Scheine.
"Danke."
Ich fummelte die Verpackung weg und klebte das Pflaster unter meine tausend Schichten Klamotten auf meine Brust.
Timo blickte zu Kaia.
"Ist alles gut? Bist du unterzuckert, willst du was essen?"
"Nein!", fuhr sie ihn an.
"Okay, okay, chill."
Langsam knallte das Pflaster rein.
"Was hast du eigentlich dummes gemacht, dass du in die Klapse gekommen bist?"
Ich lächelte.
"Ich hab' mir die Pulsadern durchgeschnitten."

sechs minuten und dreißig sekunden im himmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt