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Irgendwas stimmte hier ganz und gar nicht.
"Ich kann nicht mehr atmen", krächzte ich.
"Chill, chill, ich hab Naloxon. Gleich kannst du wieder atmen. Is' nur 'n kleiner Pieks."
"Du kannst mir nix spritzen!"
Ich kippte auf Timos Couch um.
"Scheiße", flüsterte Kaia.
Jemand schob meinen Ärmel nach oben, rutschte den Verband etwas nach unten, eine Nadel piekste in meinen Arm und etwas heißes floss durch meine Adern.
Ich machte meine Augen wieder auf.
"Geht's wieder?"
Timo und Kaia waren über mich gebeugt.
Ich nickte und atmete erst mal tief durch.
Es war nicht meine erste Überdosis.
Aber trotzdem, bei jedem Mal hatte ich Panik danach.
"Ich nehm nie wieder Drogen", stöhnte ich.
"Echt?"
Kaia schaute hoffnungsvoll in meine Augen.
"Ne, das meint er nicht ernst", murmelte Timo.
"Shit", flüsterte ich und erbrach mich in den Eimer neben mir.
Dann kam ich langsam wieder zu Bewusstsein.
"Alter, hast du mir das gespritzt?", fuhr ich Timo an.
"Ich hatte keine Wahl. Ich weiß, das ist scheiße wegen deinem Bruder und so, aber ich konnte nicht anders. Anders als du will ich nämlich nicht, dass du verreckst."
Ich schluckte.
"Lieber wäre ich verreckt, als..."
Ich blickte auf meinen Arm, aus dem ein kleiner Bluttropfen quoll.
"Kann man von Naloxon sterben?"
"Nein."
Wortlos nahm Kaia meinen Arm und rutschte den Verband weiter runter, um die zugenähte Wunde zu sehen.
"Piss dich!"
Ich zog meinen Arm zurück.
"Was sollte das denn?!"
"I-ich... wollte wissen wie es aussieht."
"Dann frag doch, meine Fresse", stöhnte ich und zog den Ärmel wieder runter.
"Ich muss auf's Klo", murmelte Kaia.
Kaum war sie im kleinen Badezimmer verschwunden, hörte ich sie würgen.
"Alter, ist die magersüchtig?", murmelte Timo in sich rein.
"Was denkst du denn, wieso sie in der Klapse war."
"Keine Ahnung, sie wirkt auch 'bisschen depri."
"Wie lange wirkt denn diese Naloxon-Scheiße?"
"Siebzig Minuten, circa."

*

Kaia war irgendwo hier, aber nicht im Wohnzimmer.
Das war meine Chance.
"Hast du noch 'n anderes Opioid, so Oxys oder so?"
"Für 'nen Fuffi kann ich dir 'nen Blister geben."
"Wie viel Milligramm?"
"20 pro Pille."
Ich nickte.
"Dann gib mal."
Ich drückte ihm einen Fuffi in die Hand und er gab mir einen Blister mitsamt Koksröhrchen.
"Willst du's schlucken, ziehen oder rauchen?"
"Wenn dann rauch ich den Kack."
Er ging in die Küche und kam mit Alufolie wieder.
Ich verschwand im Badezimmer und Kaia, die gerade aus der Küche kam, warf mir einen fragenden Blick zu.
Ich machte zwei Tabletten auf dem Waschbeckenrand mit einer Rasierklinge klein.
Ich warf die Klinge ins Waschbecken und schob das Pulver mit meiner Hand auf die Folie.
War 'ne ganze Weile her, dass ich so was geraucht hatte.
Ich hielt das Feuerzeug aus meiner Bauchtasche unten an die Alufolie und atmete mit dem Röhrchen den Dampf ein.
Ich dachte in dem Moment wirklich, ich würde sterben, weil ich meine Lungen auskotzen würde.
Aber es war nur der schlimmste Hustenanfall, den ich je hatte.
Kaia riss die Tür auf.
"Was machst du da? Bist du bescheuert?", schrie sie mich an.
Besonnen rauchte ich den letzten Rest und musste schon wieder husten, aber es war bei weitem nicht so schlimm wie beim ersten Mal.
Sie schlug mir die zum Glück schon leere Folie aus der Hand.
"Alter, komm runter."
"Ey, du bist grad wegen so was verreckt und jetzt nimmst du schon wieder so was?"
Ich sah auf den Boden.
"Ganz ehrlich, was geht bei dir falsch."
Ich hatte schon bei so vielen Mädchen beobachtet, dass sie anfingen, zu heulen, wenn sie wütend waren.
Und bei Kaia hatte ich es als erstes beobachtet.
Da waren wir neun oder so.
"Kaia, komm her. Du brauchst 'ne Umarmung", murmelte ich.
"Halt die Fresse!"
Sie klatschte mir eine und ich sah ihr so drei Sekunden in die Augen, weil ich erst mal realisieren musste, was passiert war.
"Hast du verdient."
Ich spürte körperlich fast keine Schmerzen, aber sie hatte meine seelischen Wunden dermaßen aufgerissen, dass ich nicht mehr konnte.
Ich schubste sie aus dem Bad raus und schloss ab.
Dann blickte ich mich um.
Waren hier noch mehr Drogen?
Nein.
Aber im Waschbecken lag etwas, das mich erlösen konnte.
Mit zitternden Händen nahm ich die Rasierklinge aus dem Waschbecken und ließ sie mit fast keinem Druck über meine Wange gleiten, genau da, wo sie mich geschlagen hatte.
Ich beobachtete jede meiner Bewegungen im Spiegel.
Langsam bildeten sich kleine Bluttropfen, die zu einer Linie wurden und mein Gesicht herunterflossen.
"ALTAN!"
Erschrocken ließ ich die Klinge wieder ins Waschbecken fallen.
"Es tut mir leid! Ich hab' die Kontrolle verloren! Bitte mach' jetzt nichts dummes..."
Ich schloss die Tür auf und im selben Moment drückte sich die Klinke nach unten und Kaia riss die Tür auf.
Ich kaute nervös an meinem Daumennagel.
"Es... tut mir leid", hauchte sie.
Wenn sie das so sagte, wollte ich ihr fast verzeihen.
"Was tut dir leid?", fragte ich also provokant.
"Wirllich, Altan, ich mach' mir nur Sorgen! Ich will nicht, dass du Drogen nimmst..."
"Ich bin ein konplett durchgedrehter Nuttensohn. Das wolltest du sagen."
"W-was?"
Sie zitterte wieder.
"Kaia, iss halt was. Ganz ehrlich."
"Nein!"
Da war sie wieder, ihre Aggression, die immer aus dem Nichts kam.
Naja.
Nicht ganz aus dem nichts.
Eigentlich nur, wenn es ums Essen ging.
"Hast du 'ne Zigarette?"
"Ich kann dir eine drehen", murmelte ich verwirrt.
"Gut. Dann raus, auf den Balkon."
Wir gingen über das Wohnzimmer nach draußen und ich drehte zwei Ziesen, gab ihr ein Feuer und sie zündete die Kippe an.
Ich tat es ihr gleich und beobachtete sie.
Sie rauchte sogar auf Lunge.
"Seit wann rauchst du jetzt eigentlich, sag mal."
"Seit zwei Jahren, halt als die große Scheiße angefangen hat", murmelte sie und fing wieder an zu zittern.
"Ist dir kalt?"
Sie nickte kaum merklich.
Ich zog meinen Hoodie aus.
Ich hatte darunter ja noch ein Sweatshirt und zwei T-Shirts.
Verwirrt nahm sie den Hoodie und streifte ihn sich über.
"Danke", murmelte sie und verzog sich in die Tiefen des Pullis.
Sie verschwand förmlich darin.
"Willst du immer noch nichts essen?"
Sie seufzte.
"Was stände denn zur Auswahl?"
"Ach du Scheiße", murmelte ich und blickte in den Sternenhimmel.
Ein Hubschrauber kreiste über die Stadt und leuchtete über die Straßen.
Ich zog sie sofort rein.

sechs minuten und dreißig sekunden im himmelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt