1 - Kandinsky

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My life sucks!

Ich langweile mich zu Tode. Jeden Tag dieselbe Leier. Studenten, welche unvorbereitet zur Vorlesung kommen. Mädchen, die ohne BH zur Prüfung erscheinen, in der Hoffnung, ihre Noten würden dadurch steigen. Jungs, deren Welt zwischen ihren Beinen und dem Ei des Footballs feststeckt. Automatenkaffee, den man nicht trinken kann. Und niemand interessiert sich für Geschichte. Demnächst schafft es die erste Spinne, zwischen meinem aufgestützten Gesicht und dem gebeugten Arm ihr Netz zu weben. Mir graut davor, denn ich hasse Spinnen.

Im Südwesten soll es Spinnen geben, grösser als meine Hand. Vielleicht sollte ich den Südwesten einfach auslassen. Dabei liebe ich den Südwesten, die Prairie, die Orte, wo meine weisse Spezies angefangen hat, die rechtmässigen Bewohner dieses Kontinenten auszurotten. Ich muss da hin, das bin ich den Natives schuldig, denn schliesslich bin ich Geschichtsprofessor. Hoffentlich sehe ich keine Spinnen. Ich hasse Biologie. Ich hasse auch Bob, den Frauenschwarm. Er doziert Biologie. Noch einen Monat, dann ist hier Schluss.

"Was haben Sie mich gefragt?" Die blonde Barbiepuppe nervt. "Nein, Miss Carmell, Trotzki hat nicht Stalin ermordet, sondern umgekehrt. - Lesen Sie bitte mein Manuskript. Die Vorlesung ist aus, wir sehen uns nächste Woche wieder. Haben Sie vielen Dank." - Ich bin Peter Bauer, Professor für Geschichte, gebt mir bitte etwas Automatenkaffee, dringend.

Am späteren Nachmittag, als die Kens und Kevins der New Yorker Snobiety bereits ihren unförmigen Lederbällen nachjagen und die wasserstoffblonden Barbies dazu hysterisch kreischen und ihre Hüften schwingen, besteige ich den Bus an der Haltestelle vor dem Universitätsgelände. Ich habe Glück, es ist Charly, mein Lieblingsfahrer.

"Hallo Charly! Alles klar?"

"Ja, Mister Bauer, mir geht es gut, danke. Hatten Sie einen harten Tag? Sie sehen müde aus."

"Das nennt sich Langeweile, Charly, nicht Müdigkeit. Meine Tage sind immer gleich langweilig, Charly. Manchmal möchte ich auch lieber Bus fahren. Sie wissen wenigstens, wohin Sie fahren und warum Sie das tun."

Charly lacht. Der Bus bewegt sich kaum spürbar. Da ist kein Ruckeln, kein Zittern, bloss entspannendes Gleiten. Mitten in der Rush Hour in Downtown New York. Charly ist ein Heiliger.

***

Seit vielen Wochen plane ich nun die Reise mit meinem alten Chevrolet BelAir 57 Cabrio. Er steht bereit, die technische Prüfung habe ich vorgenommen. Das Auto ist in tadellosem Zustand. Damals, als ich ihn bei Spokane entdeckt habe, war er noch grau und schwarz - ein hässliches Entlein. Heute steht meine Peggy-Sue in rot und weiss, ihrem Fifties-Look da, makellos, eine Augenweide.

Ein rothaariger Arbeiter in blauem Overall ruft mir zu, ich könne den Wagen nun aus der Garage fahren. Mich erinnert die dunkle Einfahrt der Tiefgarage an Dantes Tor zur Hölle, aber das interessiert den Overallmenschen wohl wenig. Wir steigen hinab in den Schlund der Finsternis und da steht sie: Meine Peggy-Sue!

"Sie haben da einen tollen Wagen. Alles perfekt, Sie können los. Danke für Ihr Vertrauen, hat Spass gemacht." Der Mechaniker zieht Rotz hoch und lächelt etwas schief. Der Öllappen hängt aus seiner Gesässtasche und ich hoffe, er hat sich damit nicht in meinen Wagen gesetzt.

"Danke." Mehr bringe ich nicht heraus, ich verzichte darauf, die dargebotene, ölverschmierte Hand zum Gruss zu drücken, zuhause werde ich Lenkrad und Sitze desinfizieren. Beim Einsteigen denke ich an Stephen King's Christine. Warum auch immer. Mir schaudert etwas, als der Rock'n'Roll erklingt, sobald die Zündung eingeschaltet ist. Dann drehe ich den kleinen Schlüssel noch ein wenig weiter und Peggy beginnt zu schnurren. Sie läuft auf allen acht, neigt sich dezent zur Seite, wenn ich mit dem rechten Fuss auf das Gaspedal drücke. So muss es sein, mit einem V8.

Der Bus nach Irgendwann - LeseprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt