Kapitel 2

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Kapitel 2

Nachdem Luzi ihr Zimmer bezogen hatte, saßen wir gemeinsam im Wohnbereich. Also, um es genauer auszudrücken: Sie saß im Wohnbereich und las ein Buch, während ich sie vom oberen Treppenabsatz aus beobachtete.

Ich hätte sie gerne näher kennen gelernt, aber ich wagte es einfach nicht, sie anzusprechen. Offensichtlich hatte sie gerade ohnehin keine Zeit. Das Buch, das sie las war bestimmt hoch spannend. Viel spannender, als ich. Ach verdammt, es war wirklich immer dasselbe mit mir. Seit dieser Blödsinn mit der Pubertät und dem ganzen Drumherum angefangen hatte, schaffte ich es einfach nicht mehr, normal mit einem Mädchen zu reden. Nicht, dass es mir vorher gut gelungen wäre. Ich hatte immer schon Schwierigkeiten mit der Kontaktknüpfung gehabt, aber die Sache mit der Sexualität hatte alles noch bedeutend schwerer gemacht. Meine Mutter hatte sich immer gewundert, warum ein "bildhübscher Junge", wie ich nie ein Mädchen mit nach Hause brachte. Ich hab sehr früh erkannt, dass sie das nur sagte, weil Mütter ihre Kinder allgemein immer für hübsch hielten, auch wenn sie aussahen wie eine Mischung aus Quasimodo und Shrek. Ganz so schlimm schätzte ich meinÄußeres zwar nun auch nicht ein, aber eine Schönheit war ich mit meinem aschefarbenen Haar (ne bessere Bezeichnung für die Farbe hab ich trotz 26-jähriger Suche nicht gefunden) und den nichtssagenden blaugrauen Augen sicher nicht. Und dass ich ausgerechnet in dem Moment, in dem eine absolute Klassefrau nur wenige Meter von mir entfernt saß über so etwas nachdenken musste, machte die Situation auch nicht gerade leichter.

"Ach verdammt! Jetzt reiß dich endlich zusammen und sei ein Mann!", versuchte ich mir selbst Mut zuzusprechen, als ich dazu ansetzte, die Treppe nach unten zu steigen. Allerdings schaffte ich es dabei, mich dermaßen zu konzentrieren, dass ich vor lauter Überspanntheit die erste Stufe verfehlte und den Weg nach unten daher rollender Weise zurück legte. Na wenn das kein spektakulärer Auftritt war...

Ich rappelte mich schnell wieder auf und blickte zu Luzi, in der mehr als abwegigen Hoffnung, dass sie noch immer in ihr Buch vertieft war undmeine ungeplante Showeinlage einfach übersehen hatte. Natürlich war das nicht der Fall. Wunderbar. Spätestens jetzt musste sie mich für einen totalen Versager halten.

Ich versuchte so zu tun, als ob das eben nie passiert wäre und setzte mich möglichst lässig zu ihr auf die Couch. Das war nicht gerade einfach, vor allem, da allein ihre Gegenwartmeinen Körper zu überdurchschnittlicher Transpiration anregte. Verzweifelt suchte ich nach Worten, mit denen ich meine Nervosität überspielen konnte und ich fand sie auf dem Einband des Buches, das nun zu geklappt in Luzis Händen lag.

"Du interessierst dich für Schwarze Löcher? Cool! Ich studier Astrophysik und beschäftige mich derzeit viel mit ihrer Entstehung."

"Ich weiß."

Mit diesen Worten erstickte sie meinen Versuch, eine Konversation zu führen, im Keim. Auch wenn das jetzt unsinnig klingen mag, aber es wäre vermutlich leichter, ein Gespräch mit dieser Frau zu beginnen, wenn sie nicht antworten würde.

"Du weißt wohl alles..."

Ich versuchte die Aussage, von der ich selbst nicht so recht wusste, ob es eine Frage sein sollte, mit einem Lächeln zu unterstreichen, was mir aber nicht so recht gelang.

"Nein, nicht alles.", widersprach sie. Ich hoffte, sie würde weiter sprechen und vielleicht erläutern, was sie nicht wusste, aber das hatte sie offensichtlich nicht vor und so entstand statt einem angeregten Gespräch nur unangenehmes Schweigen. Glücklicherweise rettete mich das Leuten der Türglocke.

"Ah! Das müssen meine Freunde sein!", sagte ich erleichtert.

"Entschuldige, das wollte ich dir eigentlich noch sagen. Sie sind hier, für ne kleine Lofteinweihungsparty. Nichts Großes.", fügte ich noch schnell hinzu, als ich sah, wie sie eine Augenbrauche hochzog.

"Wenn du willst, kannst du uns ja Gesellschaft leisten."

Hoffnungsvoll sah ich sie an, aber ihre Augenbrauch wanderte nur noch ein Stück höher.

"Und euch dabei zusehen, wie ihr irgendwelche Fantasyspiele auf der S-Box zockt?"

Ich hätte ihr gern widersprochen und gesagt, dass wir sehr viel coolere Sachen machen würden, aber ehrlich gesagt war S-Box spielen tatsächlich der Plan für den heutigen Abend gewesen. Also stammelte ich irgendwelche unverständliche Erklärungsversuche vor mich hin, bis sie offensichtlich genug davon hatte und aufstand.

"Ich geh duschen. Und du solltest deinen Freunden besser auf machen."

Mit diesen Worten verschwand sie ins Badezimmer.

Enttäuscht tat ich was sie gesagt hatte (mal wieder). Meine Freunde hatten inzwischen weitere drei Male geklingelt und blickten mich ungeduldig an, als ich ihnen endlich die Tür öffnete.

"Na endlich!"

Riko und Bogomir stürmten an mir vorbei und suchte sofort nach dem Fernseher, um dort die S-Box anzustöpseln.

Da man von der Haustür aus den Wohnbereich einsehen konnte, dauerte ihre Suche nicht allzu lange.

"Das is ja mal ne heiße Kiste!", meinte Bogomir anerkennend.

"In der Größe is Prinzessin Zelda sicher noch schärfer!"

Seine Eltern hatten es sicher nur gut gemeint, als sie ihm den Namen Bogomir - berühmte Gottheit - gegeben hatten. Aber tatsächlich hat es nur dazu geführt, dass er schon im Kindergarten nur getriezt worden war.

Riko erging es ähnlich, auch wenn bei dem gebürtigen Amerikaner eher sein starkes Übergewicht, als sein Name der Grund dafür gewesen sein dürfte.

Neben unsrer Leidenschaft für Videospiele war das wohl unsre größte Gemeinsamkeit: Wir hatten alle keine leichte Kindheit hinter uns. Aber andererseits war es genau das, was uns zusammengeschweißt hatte. Wir kannten uns aus einem Internetforum und die Freundschaft, die zwischen uns entstanden war, hatte uns das Außenseiterdasein sehr viel einfacher gemacht.

"Wo ist Cedric? Ist er nicht mit euch her gefahren?", fragte ich. Cedric war der vierte in unserem Bund.

"Ach stimmt ja. Ich soll dir ausrichten, dass er heute nicht kommt."

Riko ließ sich auf die Couch fallen, während Bogomir die S-Box an den Fernseher anschloss.

"Er ist zu seinen Eltern gefahren, weil doch bald der Todestag seines Bruders ist."

Das hatte ich fast vergessen. Vor knapp einem Jahr hatte Cedrics älterer Bruder sich selbst und zahlreiche unschuldige Passanten in die Luft gesprengt. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich noch nicht mal gewusst, dass er einen Bruder gehabt hatte. Und auch jetzt sprach Cedric nie von ihm. Aber man hatte ihm damals schon sehr deutlich angemerkt, wie sehr ihn das alles mitgenommen hatte.

Eine halbe Stunde später war die vorübergehende Bedrücktheit wegen Cedric vollkommen vergessen und wir widmeten uns unserer Lieblingsbeschäftigung: Zocken.

Meine süße Asiatin war gerade dabei, bei 'Dead ob alive' gegen Bogomirs rassige Blondine zu verlieren, als er plötzlich seine Deckung vernachlässigte und ich mit einem einzigen Schlag die Hälfte seines Energiebalkens auslöschte. Dann legte ich los. Ein Kick, ein Tritt und schließlich ein Schlag voll ins Gesicht. Blondie ging zu Boden und meine Asiatin stieg als Siegerin aus dem Ring.

"Ha, ich hab dich voll geowned, Alter!"

Ich warf mich in Siegerpose, und sah zu Bogomir in der Erwartung, meinen Freund am Boden liegend vorzufinden, aber stattdessen ignorierte er mich vollkommen und starrte auf einen Punkt, direkt hinter mir. Verwirrt drehte ich mich um. Was konnte so elementar sein, dass es Bogomir sogar vom spielen ablenkte? Eigentlich hätte ich die Antwort auf diese Frage kennen müssen...

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