4. Lisa

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Nachdem Odette sich von ihrer Mutter und Marco verabschiedet hatte, verliess sie das Krankenhaus. Sie wählte sie Lisas Nummer, die sie auswendig kannte. Ihre Freundin ging fast sofort ran. «Hallo Odette!», zwitscherte sie. Odette freute sich, Lisas Stimme zu hören. Die beiden verabredeten sich in 20 Minuten in der Stadt. Nachdem Sie aufgelegt hatte, steuerte sie auf ihren Mini Cooper zu. Dabei wurde ihr Blick von einem dunkelblauen VW Tiguan angezogen, der im Schritttempo an ihr vorüberfuhr. Sie konnte schemenhaft erkennen, dass jemand drinsass und in ihre Richtung schaute. Aber als sie genauer hinsah, wandte die Person sich ab und fuhr schneller davon. Odette dachte sich nichts weiter dabei.

Kurz darauf betrat Odette das la Pergola, das gemeinsame Lieblingsrestaurant ihrer Freundin und ihr, in dem sich die beiden regelmässig trafen. Ihre Freundin, mit den quirligen roten Locken sass schon an einem Tisch in der Ecke und winkte, als sie ihre Freundin eintreten sah. Während sie übers ganze Gesicht grinste, hüpften ihre Locken auf und ab. Odette drückte ihrer Freundin einen dicken Kuss auf die Wange.

«Hey Liebes, schön dich zu sehen.»

«Wurde ja auch Zeit, es ist schon fast eine Woche her, seit dem letzten Mal.» Odette kannte Lisa gut genug, um zu wissen, dass der Vorwurf in ihrer Stimme nur halb ernst gemeint war.

Odette seufzte. «Ja, Monika ist in der Bar ausgefallen, ich springe im Moment für sie ein.»

«Schon wieder? Sie fällt ja mittlerweile fast monatlich aus. Man könnte schon fast die Uhr danach stellen»

Odette kratzte sich am Kinn. «Ja, oder? Meinst du, dass das etwas mit ihrem Verschwinden auf sich haben könnte?», spekulierte Odette. Manuela war, wie einige andere Stadtbewohner in den letzten Monaten, plötzlich spurlos verschwunden und nach einer gewissen Zeit wieder unversehrt aufgetaucht. Nachdem die Polizei erfolglos nach ihr gesucht hatte, blieb Manuela der Polizei und allen anderen auch, die Erklärung für ihr Verschwinden schuldig.

«Hat sie euch jetzt mal offenbart, wieso sie abgetaucht ist?», fragte Lisa, wie wenn sie ihre Gedanken gelesen hätte.

«Nein, sie hüllt sich weiterhin in Schweigen. Ich weiss auch nicht, was da los war.» Odette zuckte mit den Schultern. «Aber hey, wie läuft das Studium?» Lisa studierte nämlich im ersten Jahr Medizin. Odette wäre auch im ersten Jahr gewesen, wenn sie nicht schon im zweiten Semester ein Urlaubssemester beantragt hätte.

Lisa bliess theatralisch die Backen auf und rollte mit den Augen. «Es ist echt soooo viel Stoff, den wir für die Jahresprüfungen lernen müssen, ich weiss gar nicht wo ich anfangen soll.»

«Das kann ich mir gut vorstellen. Gib Bescheid, wenn du mal eine Ablenkung brauchst. Dann hole ich dich ab und wir fahren in die Stadt.»

«Oh ja, das könnte ich auf jeden Fall bald wieder mal gebrauchen.»

Die Kellnerin, die in eine dicke Parfumwolke eingehüllt war, unterbrach die beiden und sie bestellten ihre Lieblingspizzen. Vegetariana für Odette und al funghi für Lisa. Als die Kellnerin mit ihrer Parfumwolke wieder davonwackelte, richtete sich Lisa wieder an Odette. Diesmal mit einem ernsten Gesichtsausdruck.
«Wie geht es Marco?», fragte sie.

Odette schüttelte den Kopf. «Er ist noch immer nicht aufgewacht.»

«Oh Mann, gibt es denn gar nichts, was man tun kann?», fragte Lisa.

Odette zuckte mit den Schultern. «Ich wünschte es gäbe etwas.» Ihr Blick schweifte aus dem Fenster. Auf dem Vorplatz herrschte reges Treiben. Mütter zogen ihre Kinder an der Hand über den Platz, während sie mit der anderen Hand die Einkäufe trugen. Alte Leute auf Parkbänken und geschäftsmässige Mittvierziger streiften ihren Blick. Plötzlich spürte sie Lisas Hand auf der ihren.

Odette begegnete Lisas bemitleidenden Blick. Um diesem Blick auszuweichen, suchte sie nach einem anderen Gesprächsthema und plötzlich fiel Luke ihr ein. Sie erzählte ihrer Freundin von dem plötzlichen Auftreten des Fremden und wie er heute früh plötzlich verschwunden war. Lisa hatte ihr aufmerksam zugehört und hatte die Stirn nun in Falten gelegt. «Der Typ hört sich irgendwie schräg an, bist du sicher, dass er nicht irgendein Serienkiller ist, der mit dir sein nächstes Opfer plant?», fragte sie.

«Der Typ ist zu hübsch für einen Serienkiller.» Odette grinste, als ihre Freundin sie in den Arm kniff. «Pass bloss auf, dass du dich nicht verknallst.»

Odette lachte. «Dafür ist er zu schnell wieder verschwunden. Aber apropos: Wie läuft es denn mit Damian?» Odette wackelte vielsagend mit den Augenbrauen. Damian war der Typ von der Uni, den Lisa seit Kurzem traf. Bei Damians Namen färbten sich Lisas Wangen sogleich rosa. Odette schlug sich die Hand vor den Mund. «Du bist verliebt!», stellte sie quiekend fest.

Lisa wurde noch roter.

«Da warnt sie mich davor, mich zu verlieben, aber selbst ist die liebe Frau Thalmann über beide Ohren verknallt.»

Jetzt lachte Lisa. «Ich weiss nicht, irgendwie ist es einfach passiert.» Und sie erzählte Odette von ihrem letzten Date, an dem Damian ein Picknick für die beiden auf der Dachterrasse vorbereitet hatte. Odette freute sich riesig für ihre Freundin und so quatschten die beiden, während der Nachmittag wie im Flug verging. Irgendwann fiel Odettes Blick auf die Uhr. «Oh oh, ich sollte nach Hause. Bald fängt meine nächste Schicht an. Und ich sollte vorher noch einkaufen gehen.»

Nachdem sie bezahlt hatten, verabschiedeten sich die beiden herzlich voneinander und versprachen, sich schon bald wieder zu treffen, oder zumindest zu telefonieren.

Odette machte noch einen Abstecher in den Supermarktund besorgte sich noch ein paar Lebensmittel. Sie würde sich später Linguinemit frischen Pilzen machen. Als auf dem Weg nach Hause Valerie von Amy Winehouseim Radio lief, sang sie herzhaft mit. Das Treffen mit ihrer Freundin hatte sie aufgestellt.Die beiden kannten sich schon seit der Grundschule und waren eigentlich schon immerbeste Freundinnen gewesen. Wenn es jemanden gab, der Odette immer aufmuntern konnte,dann war es Lisa. Nur leider sahen sie sich im Moment nicht so oft, weil sie inzwei verschiedenen Fakultäten angesiedelt waren und ganz unterschiedlicheStundenplan hatten, oder hätten, wenn Odette nicht gerade aussetzen würde. Noch immer gut gelaunt, parkte sie ihren Mini Cooper auf dengewohnten Parkplatz. Sie griff sich ihre Einkäufe, stieg aus und erstarrte. Derdunkelblaue VW Tiguan von eben stand mit seinen getönten Scheiben auf demBesucherparkplatz.


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