Konnte das sein? Sie starrte den dunkelblauen VW Tiguan an und schluckte leer. Panik stieg in ihr auf. Wie hoch standen die Chancen, dass sich einer ihrer Nachbarn genau diesen Wagen gekauft hatte? Nein, das konnte nicht sein. Es gab nur eine Erklärung dafür: Man hatte sie verfolgt. Sie verkrampfte sich. Was sollte sie nun tun? Die Polizei rufen? Und dann? Was wenn es dann doch bloss irgendein anderer VW war, der hier rumstand. Im Grunde war ja noch gar nichts passiert.
Sie atmete aus. Und was wenn jemand in ihrer Wohnung auf sie wartete? Sie grübelte nach, ob sie heute Vormittag die Wohnungstür abgeschlossen hatte. Normalerweise tat sie das, aber vielleicht hatte sie es ja ausgerechnet heute vergessen. Oh Gott ...
Sie zwang sich dazu, einmal kurz durchzuatmen. Es gab nur einen Weg, um es herauszufinden. Odette drückte ihre Einkäufe enger an ihren Körper und ging dann langsam ins Haus. Als sie im Lift war, konnte sie ihren Puls spüren. Sie hatte noch nicht einmal ihren Pfefferspray dabei. Sie wühlte in ihrer Einkaufstasche und zog die Gurke heraus, die sie vorhin gekauft hatte. War vielleicht nicht die beste Waffe, aber naja. Die metallenen Türen des Lifts öffneten sich und sie stand vor ihrer Eingangstür. Sie lauschte. Es war nichts zu hören. Ganz langsam drückte Odette die Türklinke herunter und tatsächlich, die Tür öffnete sich. Mist!
Noch immer war nichts zu hören. Sie umklammerte ihre biologische Waffe, wie einen Schlagstock und trat in den Flur. «Hallo?», rief sie, aber niemand antwortete ihr. Naja wäre ja auch komisch gewesen. In denen Filmen antworteten die Räuber ja schliesslich auch nie auf ihre heimkommenden Opfer. Plötzlich hörte sie Lisas Stimme in ihrem Kopf «... bist du sicher, dass er nicht irgendein Serienkiller ist, der mit dir sein nächstes Opfer plant? ... » Odette verwarf den Gedanken aber sogleich wieder. Sie trat ins Wohnzimmer. Auch hier war niemand. Sie kontrollierte noch das Bad und wieder: Nichts. Sie atmete erleichtert auf. Da war wohl die Fantasie mit ihr durchgebrannt. Das wäre jetzt ganz schön peinlich geworden, wenn sie die Polizei gerufen hätte. Man hätte sie wohl wegen Paranoia in eine Klinik eingewiesen.
Odette stellte ihre Einkaufstasche auf die Anrichte, da hörte sie ein Geräusch hinter sich. Sie fuhr herum und da stand ein Mann, aber nicht irgendein Mann, es war der gut gekleidete Typ, der gestern Nacht im Kolibri einen Tallisker bestellt hatte. Er hielt eine halbautomatische Pistole auf sie gerichtet. Bevor er sich auch nur einen Millimeter bewegen konnte, hatte Odette reflexartig mit der Gurke zugeschlagen. Die Waffe flog dem Mann in hohem Bogen aus der Hand, schlitterte über die Küchenfliessen und blieb in der Ecke liegen. Eine Sekunde später hatte er bereits ein Messer aus seiner Manteltasche hervorgezogen und richtete es gegen sie.
«Ich will dir nicht wehtun. Wenn du tust, was ich sage-« Da wurde er unterbrochen, weil sie den Rest der entzweigebrochenen Gurke in seine Richtung geschleudert hatte. Sie prallten kläglich von seiner Schulter ab. Aber jetzt machte sich Wut auf seinem Gesicht breit. Sie schrie auf, als er sich auf sie stürzte. Sie konnte seinem Hieb aber gerade noch so ausweichen. Er kam mit starrem Gesicht weiter auf sie zu. Das Messer blitzte in seiner Hand. Sie wich zurück und sah sich fiebrig nach einer Waffe um. Es gab nichts Brauchbares, was in ihrer Nähe lag. Da stürzte er mit der Klinge abermals auf sie zu. Odette kauerte sich panisch nieder und das Messer stach ein Stück über ihrem Kopf in den Küchenschrank. Es war ein grässliches Geräusch. Sie nutzte den Moment und schlüpfte unter seinen Armen hindurch. Sie stürzte in Richtung Anrichte, bekam ein paar Teller zwischen die Finger und warf sie so stark sie konnte in Richtung ihres Angreifers, der das Messer wieder frei bekommen hatte. Sie zerschellten lautstark und einer traf ihn am Kopf. Sie sah Blut, dass aus einer Wunde aus seinem Kopf trat. Er taumelte kurz. Sie fuhr herum und flüchtete in Richtung Eingang. Doch er folgte ihr auf den Fuss und noch bevor sie die Eingangstür erreicht hatte, bekam er sie am Arm zu fassen und riss sie zu sich herum.
Weil ihr nichts Besseres einfiel, rammte sie ihm ihr Knie in die Weichteile. Vor Schmerz heulte er auf, liess das Messer fallen und stiess sie grob von sich weg. Sie fiel hin und knallte hart mit dem Kopf auf. Sie wollte sich das Messer schnappen aber einen Moment lang sah sie nur schwarz, ihr Bewusstsein schwand. Das Blut rauschte in ihren Ohren. Als sich ihre Sicht wieder ein bisschen klärte, konnte sie das schmerzverzerrte Gesicht ihres Peinigers sehen. Er kam nun entschiedenen Schrittes auf sie zu. Anstelle des Messers hielt er jetzt eine aufgezogene Spritze in der Hand. Odettes Augen weiteten sich.
«Schön stillhalten, du kleines Biest.» Seine Stimme war kalt.
«Bitte nicht» Odette hob schützend den Arm über ihr Gesicht, als er sie packte. Sie spürte, wie sich die Kanüle in ihren Arm senkte. Da hörte sie ein wütendes Knurren und plötzlich erklang ein dumpfer Knall. Der Fremde sackte auf ihr zusammen. Für den Bruchteil einer Sekunde konnte sie nicht atmen unter dem Gewicht des Mannes, doch da wurde er auch schon von ihr weggerissen. Odette traute ihren Augen nicht, als sie Luke erkannte. Schnell nahm er das Messer an sich und durchsuchte geschäftsmässig die Taschen des Fremden. Er warf einen schnellen Blick in seine Brieftasche und liess sie sogleich wieder in dessen Jackentasche gleiten. Odettes Sicht verschleierte sich. Ein Nebel breitete sich langsam in ihrem Kopf aus. Der Nebel war eigenartig schwer und legte sich wie eine Decke über sie. Sie konnte sich kaum rühren. Dann hörte sie eine Stimme ganz nah. «Odette?!», fragte Luke mit Besorgnis in der Stimme.
Sie spürte, wie er sie an der Schulter berührte.
«Da is ssson Nebl, s is dunkl!", nuschelte sie. Es war so schwer, den Mund aufzumachen.
«Odette, sieh mich an. Bist du verletzt?» Sie spürte eine Berührung an der Wange. Sie zuckte zurück.
Odette versuchte die Augen aufzureissen. Sie konnte Luke schemenhaft vor sich erkennen. Sein Blick war jetzt abgewandt, seine Gesichtszüge erstarrt. Er hielt irgendwas in der Hand. «Mist!», murmelte er. Es war die Spritze.
Odettes Augen fielen wieder zu und dieses Mal verschluckte die Dunkelheit sie vollständig.
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Hey ihr Lieben :)
Ich freue mich, dass ihr euch hierher verirrt habt und hoffe, dass euch die Geschichte gefällt! Über Kommentare und Votes würde ich mich sehr freuen.
Falls die Geschichte gut ankommt, werde ich gerne noch mehr Kapitel hochladen.
Was denkt ihr, wie es weitergehen könnte?
Alles Liebe,
eure Caliathea 🌺
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Wolfswelten
Lupi mannariIn der Stadt passieren seit einigen Monaten seltsame Dinge. Odette glaubt aber nicht an die Gerüchte und Märchen, die man sich in der Stadt über Werwölfe erzählt. Schliesslich ist sie ja kein Kind mehr. Als Odette aber dem gutaussehenden Luke begegn...