2. Das letzte Duell

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Die Menge drängelte sich dicht um sie herum. Reckte die Kopfe nach ihr, deutete mit dem Finger in ihre Richtung, rief laut ihren Namen und tuschelte hinter vorgehaltener Hand über sie. Doch sie nahm es kaum war. Vollkommen entkräftet sackte sie auf ihre Knie. Der raue Sand verbrannte ihre aufgeschürften Knie sofort, doch vor Erschöpfungen ignorierte sie es. Genauso wie die Menschen um sie herum. Genauso wie die Schmerzen an jedem einzelnen Körperteil. Genauso wie die Tränen, die sich langsam den Weg zu ihren Mundwinkeln bahnten.

Vorsichtig hob sie ihre zitternde Hand und tastete damit nach ihrer Wange. Sie musste nicht einmal hinsehen, um zu wissen, dass dieses dickflüssige Etwas zwischen ihren Fingern ihr eigenes Blut war. Nachdenklich beobachtete sie jeden einzelnen Tropfen, wie er auf den sandigen Boden platschte. Tropf. Tropf. Tropf. Diese Flüssigkeit hielt sie am Leben, schon seit Jahren. Ohne ging es nicht. Es war daher erschreckend, wenn man diesen Lebenssaft langsam aber sicher aus sich heraus fließen spürte. Doch das gleichmäßige Geräusch des tropfenden Blutes beruhigte auch ihren rasenden Herzschlag und rasselnden Atem. Sie schloss die Augen für einen Moment und reckte den Kopf nach oben, um die Sonne ihr Gesicht kitzeln zu lassen. Wenn doch nur die Leute aufhören würden zu reden! Auf einmal spürte sie eine grobe Hand auf ihrer Schulter. Sie schauderte.

„Brauchst du Hilfe?", raunte eine Männerstimme. Sie antwortete nicht. „Hey Jungs! Kommt mal schnell und holt –" Mitten im Satz stockte er. Überrascht öffnete sie die Augen und blickte den bärtigen Hünen an, der nun mit weit aufgerissen Augen an einen Punkt hinter ihr starrte. Sie folgte seinem Blick und erblickte einen jungen Mann mit abgenutzter Jacke. Von seinen zerrissenen Hosenbeinen tropften Schlammspritzer, während eine dünne Blutspur seinen dürren Arm hinablief. Sein Gesicht war unrasiert und feine Schnitte zierten sein Stirn. Eine unschöne Narbe lief von seinem Augenwinkel bis hinunter zu seinem Kinn, wo sie in einem kaum mehr erkennbarem, weißen Strich endete. Er lächelte die Menschen an. Warum ließ sie der Gedanke nicht los, dass dies kein freundliches, sondern ein bedrohliches Lächeln war?

Nun verstummten auch endlich die vielen Schaulustigen um sie herum und musterten den heruntergekommenen Neuankömmling misstrauisch.

Der Mann hinter ihr, der ihr seine Hilfe angeboten hatte, taumelte ängstlich in die Menschenmenge zurück und sah ihr entschuldigend in die Augen. „Weiß er etwa, wer das ist?", fragte sie, Katrin Taylor, gennant Kate, sich. „Wie viele Leute hier kennen ihn denn dann noch? Wer weiß, dass, wenn sie ihm hier begegnen, sie wahrscheinlich nicht mehr lange Zeit zum Leben haben? Weiß es die junge Frau mit der scheußlichen Frisur dahinten? Oder das kleine Kind, mit den Schokoladeneis-Flecken auf dem T-shirt dort drüben?", überlegte sie weiter und wusste, dass sie das nicht zulassen konnte. Sie ihren größten Fehler kein zweites mal begehen konnte. Dieses mal nicht. Dieses mal würde keiner sterben.

Sämtliche Schmerzen und Anzeichen auf Müdigkeit ignorierend stellte sie sich unbeholfen auf ihre wackeligen Beine. Sie taumelte kurz, bevor sie sich an einer starken Eiche festklammerte. Vor ihr stand niemand geringeres als ihr größter Feind, ein Krieger, dessen Waffe, ein schlichtes Schwert mit braunem Ledergriff, aus dem Spätneolithikum stammte. Spätneolithikum. Jaja, Wikipedia. Sie wollte ihren Gegner schon mit einer Herausforderung konfrontieren, doch als sie hinter sich Schritte und eine aufgeregte Stimme hörte, drehte sie sich reflexartig um. Ihre treue Gefährtin Elizabeth Carlsen lief genau auf sie zu, kampfbereit und mit siegessicherem Ausdruck. Aber noch bevor Liz auch nur in ihre Nähe kam, hob Kate die Hand. Sofort blieb ihre Kampfgefährtin stehen.

„Liz, nein! Diesen Kampf muss ich ganz alleine führen." Liz hatte zu viel Respekt vor ihr, als das sie ihr jemals widersprochen hätte. Allerdings erkannte Kate neben den sonstigen Emotionen, wie Zuneigung, Ehrfurcht, Respekt und Treue auch Sorge in Liz Zügen. Noch ehe sie darüber nachgrübeln konnte, unterbrach ihr größter Feind, Jack Wilson, auf einmal ihre Gedankengänge.

„Es ist so weit, Kate. Es ist so weit", rief er laut und lachte dabei. Sie sagte nichts, sondern sah ihn einfach nur finster an.

„Ach komm schon, Kate! Keine Sarkastischen Sprüche, keine fiesen Kommentar? Was ist los? Du bist doch sonst nicht so auf den Mund gefallen!" Er lachte wieder sein irres Lachen. „Widerling!", schoss ihr durch den Kopf.

„Oder willst du nicht vor all den Leuten hier reden? Ich habe gehört, du sollst Menschen...naja...nicht besonders mögen."

Aha, hatte er das?

„Da hast du wohl was falsch verstanden, Jack. Es ist nicht so, dass ich keine Menschen mag. Ich mag nur keine Menschen, die wie du sind!", antwortete sie bissig.

Doch Jack grinste einfach weiter.

„Erinnerst du dich noch an unsere erste Begegnung? Ich sagte dir, ich werde dich vernichten, doch du hast einfach nur gelacht und bist mit deiner Liz da geflohen. Nun, Kate, heute werde ich es dir noch einmal sagen. Ich werde dich vernichten!"

Kate seufzte leise stellte sich kampfbereit hin.

„Ich werde dich töten, Katrin Taylor, hörst du?! Du hast die Grenze überschritten! Schon beim ersten Mal! ICH WERDE DICH TÖTEN!"

„NEIN!", schrie Liz und fiel auf die Knie, im Klaren darüber, dass ihre Freunden allein nicht gegen dieses Monster gewinnen konnte. Wenn Jack Wilson behauptete, er würde jemanden töten, dann würde er auch genau das tuen. „Geh da weg, Kate, komm, geh da weg!", rief Liz verzweifelt, aber sie bemerkte, dass ihre beste Freundin keinerlei Anstalten machte, abzuhauen.

Kate schloss die Augen. Eine Träne rollte ihr über die Wange zu ihrem Mund. Sei schmeckte das Salz. Würde es zum letzten Mal sein?

Jack brüllte noch einmal wie ein wahnsinniger, damit es auch wirklich jeder hören konnte: „DU WIRST STERBEN!"

Alle schwiegen

„Ich weiß", antwortete sie da auf einmal leise und unterbrach die Stille. Tapfer hob sie den Kopf und sah sie ihrem Feind in die Augen.

„Ich weiß. Doch wenn ich gehe, werde ich dich mit mir nehmen! Ohne dein Opfer, krigst du mich nie!"

Jack grinste wie ein Wahnsinniger. Bei diesem Bild musste sie unweigerlich an den Joker aus Batman denken. Wie absurd.

„Dann soll es so sein!", rief er, lächelte süffisant und stellte sich ebenfalls in Kampfstellung hin. In einer theatralischen Bewegung zog er sein Schwert, dessen Klinge im Sonnenlicht aufblitze.

Kate schloss die Augen und trat ihrem Gegner entgegen. Das letzte Duell. Das Duell um Leben und Tot. 

KurzgeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt