Es war Montag. Normalerweise war der Montag ein stressiger Tag, an dem ich nach dem langen Wochenende wieder viel zu früh aus dem Bett aufstehen musste. Besonders wenn ich am Sonntag noch mit meinen Freunden feiern war, war der Montagmorgen stets eine Zumutung. Und dann kam noch der lange Weg zur Schule, mit der bummeligen Straßenbahn durch Hamburg. Meistens war die Bahn vollkommen überfüllt und ich musste mich, eng neben schwitzende Menschen gepresst, an den Haltegurten festhalten und darauf hoffen nicht einzuschlafen und meine Station zu verpassen.
Heute war keiner dieser Montage, doch trotzdem hasste ich ihn. Es waren Sommerferien, doch konnte ich mir die Bahnfahrt heute nicht sparen. Ich musste mit der Straßenbahn zum Bahnhof "Hamburg Dammtor" und um Sieben Uhr Dreißig im Zug nach "irgendwo in Bayern" sitzen. Die verdammte Fahrt würde mehr als Sechs Stunden dauern, obwohl ich mit dem ICE fuhr.
Wütend fuhr ich mir durch die Haare und zwang mich aus dem Bett. Mein großes, weiches Bett, dass ich die nächste Woche vermutlich gegen eine Luftmatratze eintauschen musste.
Ich zog ein weißes T-Shirt und eine gemütliche Jogginghose an und beeilte mich, denn ich durfte auf keinen Fall meinen Zug verpassen. Sonst würde ich meinen Umstieg verpassen und am Ende noch an irgendeinem Bahnhof im Nirgendwo festsitzen. Der Gedanke unter einem Plastikdach neben irgendwelchen Pennern schlafen zu müssen, motivierte mich dazu, meine Reisetasche zu greifen und mein Zimmer zu verlassen.
Ich putzte mir die Zähne und aß ein Toast. In dieser Reihenfolge. Ich mochte es nicht, mit einem ekligen Geschmack im Mund zu essen. Dann ging ich nochmal die Zugstrecke bei Google Maps durch. Schon jetzt war ich mir sicher, dass irgendetwas schief gehen würde. Es wäre eindeutig die Schuld meines Vaters, wenn ich niemals wieder nach Hamburg zurückfinden würde. Seine Idee war es gewesen, dass ich in den Sommerferien allein meine Verwandten besuchen sollte. Und mein Bruder hatte seinen Vorschlag natürlich mit einem breiten Grinsen bekräftigt, der Arsch. Und dabei kannte ich meine Tante und meinen Cousin nicht einmal wirklich. Das letzte Mal hatte ich die Beiden gesehen, als ich noch im Kindergarten war. Und schon damals habe ich mich mit Tom, so hieß mein Cousin, nicht sonderlich gut verstanden. Das hatte vermutlich am Alter gelegen, er ist sechs Jahre älter als ich. Trotzdem hatte ich kein besonders großes Interesse daran, ihn kennen zu lernen.
Aber mein Vater hatte darauf bestanden, dass ich die Familie ein bisschen besser kennenlerne. Mein Vater kann manchmal ein echter Heuchler sein. Als ich erwiderte, dass er selbst zu seiner Schwester fahren sollte, oder wenigstens mit mir kommen könnte, hatte er irgendetwas von "zu beschäftigt" gemurmelt und auf seine Hände gestarrt. Er hatte offensichtlich selbst keine Lust auf Tante Mila.
Also musste ich jetzt fahren.
Zu meiner Erleichterung war die Straßenbahn heute leer und ich konnte sogar einen Sitzplatz ergattern. Das erhellte meine Laune schlagartig. Ich warf die schwarze Reisetasche neben mich, verband meine Kopfhörer mit meinem Handy und öffnete Spotify.
Die Häuser zogen vorbei und ich starrte aus dem Fenster, wo ich meine eigene Spiegelung beobachtete. Auch wenn ich die letzten Tage auf vollkommen entspannt getan hatte, klopfte mein Herz ein wenig. Es war das erste Mal, dass ich vollkommen ohne meine Eltern oder Freunde in den Urlaub fuhr. Und obwohl es keinen Grund dafür gab, fand ich diese Vorstellung irgendwie aufregend.
~
Der Zug verspätete sich um eine halbe Stunde und meine Laune war sofort wieder im Keller. Ich verfluchte meinen Bruder, meinen Vater, die Verwandten, die ich nicht kannte und die Deutsche Bahn, für ihren miesen Service.
Sitzt du schon im Zug Nic?
Eine Nachricht von meinem Vater. Der hatte mir das alles eingebrockt.
Nein! Der Zug verspätet sich.
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Nic - Eine Novelle (bxb)
Teen FictionNic und Lars. Verlorenes Gepäck. Eine Hütte am Waldrand. Ein See. Liebe. Die Macht des Sommers. __________________________________ Eine Novelle in 7 Kapiteln