SONNTAG

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Es war Sonntag. Normalerweise war der Sonntag immer ein Ende. Nach einer stressigen Woche, bestehend aus guten und weniger guten Tagen kam sie immer am siebten Tag zu ihrem Ende. Nur damit am Montag alles wieder von vorne beginnen konnte. Eine weitere Woche, weitere sieben Tage.

Aber der heutige Sonntag fühlte sich nicht wie ein Ende an. Auch wenn es das Ende meines Urlaubes hier auf dem Land war, war es für mich eher ein Anfang. Der Anfang meiner Beziehung mit Lars. Er würde mit mir in den Zug steigen und ich könnte ihm Hamburg zeigen, auch wenn es nur für einen Tag war.

Nachdem mich der Wecker auf brutale Weise geweckt hatte, öffnete ich das kleine Dachfenster und blickte hinaus auf den dunklen Wald. Heute war es deutlich kälter als an den vorherigen Tagen. Eine frische Brise wehte mir durch die Haare und ich fröstelte ein wenig, schließlich trug ich nichts als meine Unterhose. Lars hätte diesen Anblick sicherlich genossen.

Ich zog mir mein Shirt und eine lange Hose an, dann fiel mein Blick auf den Hoodie, der an der Kante meines Bettes hing. Lars hatte ihn mir gestern geschenkt, damit ich ihn niemals vergessen würde. Wahrscheinlich war er mir etwas zu groß, denn Lars war im ein Riese, jedenfalls im Vergleich zu den meisten anderen Jungs, die ich kannte.

Vorsichtig nahm ich den dicken Hoodie vom Bett und zog ihn über meine Schulter. In dem Stoff konnte ich Lars riechen, den Geruch seines Schweißes. Ich hatte gehofft, dass er ihn nicht waschen würde, bevor er ihn mir gab.

Irritiert stutzte ich auf. Wider Erwarten war mir das Kleidungsstück nicht zu groß. Es war mir eher etwas zu klein. Vielleicht war es ja ein älterer Pullover von ihm. Aber warum roch er dann so intensiv nach ihm? Ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass sich Lars freiwillig regelmäßig in diesen Hoodie zwang.

Ich sah auf die Uhr. In drei Stunden würde die Bahn losfahren, dann würde es wieder beinahe sieben Stunden mit dem ICE durch Deutschland gehen. Doch mit Lars an meiner Seite verging die Zeit sicherlich wie im Flug. Trotzdem hoffte ich, dass der Zug nicht wieder dermaßen überfüllt sein würde.

Ich schleppte meine Tasche, die ich seit meiner Anreise nicht einmal richtig ausgepackt hatte, die schmale Wendeltreppe hinunter, die wie immer fürchterlich knarrte. Das würde ich bestimmt nicht vermissen. Nun gut, vielleicht ein bisschen.

Unten begegnete ich meiner Tante. Nach dem gestrigen Gespräch war die Anspannung zwischen uns beinahe vollkommen verschwunden. Sie lächelte mich an und bot mir, wie beinahe jeden Morgen, ein Ei an, diesmal ein gekochtes.

"Es ist so schade, dass du heute schon wieder nach Hause musst. Ich hätte gerne noch mehr Zeit mit dir verbracht."

"Ich komme bestimmt nochmal wieder. Vielleicht in den Herbstferien?." Etwas entsetzt stellte ich fest, dass ich meine Worte ernst meinte. Als ich hier ankam, hatte ich geglaubt, die schlimmste Woche meines Lebens durchmachen zu müssen. Jetzt wollte ich am liebsten gar nicht mehr fahren. Hauptschuldiger war in diesem Fall auf jeden Fall der Junge, in den ich mich innerhalb von Fünf Tagen verliebt hatte.

Sie lächelte breit. "Das würde mich sehr freuen. Du kannst jederzeit hier übernachten, wenn du Mal in der Gegend bist."

Warum sollte ich denn in der Gegend sein, es gab hier ja nichts? Trotzdem nickte ich.

"Tom bringt dich mit dem Auto zum Bahnhof, nachdem wir gefrühstückt haben. Du müsstest dann etwas am Bahnhof auf den Zug warten, ich hoffe das ist okay für dich."

"Danke, das ist wirklich kein Problem." antwortete ich schnell. Die Vorstellung, mit Lars allein auf den Zug zu warten, war nichts, dass mir lästig erschien. Ich war mir sicher, dass wir einen Weg finden würden, die Zeit gut zu überbrücken.

Nic - Eine Novelle (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt