Freundschaft

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Mitte Dezember war es dann endlich soweit und Joel besuchte mich zum ersten Mal bei mir zuhause. Ich hatte ihm die U-Bahn Verbindung drei Mal erklärt und trotzdem hatte er mich von unterwegs angerufen, weil er sich verfahren hatte. Ich fragte mich in welchem Kaff er wohl aufgewachsen war, dass er so Probleme mit öffentlichen Verkehrsmitteln hatte, aber er war der Frage nach seinem Heimatort geschickt ausgewichen.

„Sorry, keine Ahnung was da schon wieder schiefgelaufen ist", begrüßte er mich, als er mit einer halben Stunde Verspätung bei mir eintraf.
„Lag bestimmt nicht an dir. Vielleicht war meine Beschreibung auch einfach kacke."
Ich wollte die Schuld auf mich nehmen, damit er sich besser fühlte. Es war verrückt, nie zuvor hatte ich so für jemanden empfunden.
„Hallo! Ich bin Jake", stellte sich Jake vor und ich war nervös, weil es Jake oft sehr schwer fiel seine Klappe zuhalten.
„Du hast einen Mitbewohner?"
Joel wirkte nervös und gar nicht erfreut. Warum hatte er nur so Probleme mit anderen Menschen. Kein Wunder, dass er jeden Abend zuhause verbrachte und keine Freunde hatte. Wenngleich ich es für eine Verschwendung hielt, denn Joel wäre bestimmt für sehr viele Menschen eine Bereicherung gewesen.

„Wie du hast nichts von mir erzählt?"
Jake war geradezu empört, aber es hatte sich einfach nicht ergeben.
„Seid ihr... also seid ihr ein Paar?", fragte Joel und schaute zwischen uns beiden hin und her.
„Oh! Nein auf keinen Fall."
Das war definitiv das absurdeste, was ich seit langem gehört hatte.
„Also in Davids Träumen bestimmt, aber ich stehe auf Frauen."
„Ich auch", pflichtete Joel ihm bei.
„Gut, dass wir das geklärt haben. Ihr Beiden seid so was von hetero."

Mir war natürlich unterschwellig bewusst gewesen, dass Joel wahrscheinlich hetero war und doch versetzte es mir einen Stich, jetzt da er es so offen aussprach.
Ich ging voran in mein Zimmer, damit wir ungestört waren, denn Joel hatte mich gebeten einen Blick auf einen seiner Aufsätze zu werfen. Beim Anblick meines Bücherregals kam Joel gar nicht mehr aus dem Staunen heraus.
„Sind das alles deine?"
„Ja, ein Teil meiner Bücher."
Tatsächlich hatte ich angefangen Bücher auszusortieren, weil im Wohnzimmer und meinem Schlafzimmer nicht mehr genügend Platz war. Er strich mit den Fingern über die Buchrücken und ich wünschte er hätte mir so viel Zärtlichkeit entgegengebracht wie meinen Büchern. Erst jetzt fiel mir auf, dass sich in seinem Zimmer nur ein einziges Buch befand. Dieses hatte auf dem Nachttisch gelegen. Erwachen von Nir Baram war das Buch, welches er zu dieser Zeit las.
„Hast du keine eigenen Bücher?"
„Nein, alle Bücher die ich lese habe ich aus der Bibliothek."
„Und in deinem richtigen Zuhause hast du auch keine?"
Er ignorierte meine Frage und wechselte das Thema.

„Was ist dein Lieblingsbuch?"
Das war eine schwierige Frage, es gab einfach zu viele Bücher die mich auf unterschiedlichste Weise berührt hatten, mein Leben beeinflusst hatten, oder einfach unheimlich inspirierend waren.
„Schwierige Frage; zurzeit auf alle Fälle
Ich weiß warum der gefangene Vogel singt."
Und deines? Nein, lass mich raten.... Die Bibel?"
Er schaute mich erschrocken an. Ich hatte ihn nur verarschen wollen, aber ich lag wohl gar nicht so falsch mit meiner Vermutung. Er schüttelte nur den Kopf und schien dann über meine Frage nachzudenken.
„Mal muss man wagemutig sein und mal vorsichtig. Wer klug ist, weiß wann was angebracht ist."*
Dies brachte mich zum Lächeln. Er war klüger, als ich dachte. Wer sonst hätte mir auf so charmante Art und Weise sagen können, ich solle besser die Klappe halten und mir zeitgleich eine Antwort auf meine Frage geben können. Es war der Beginn eines wunderbaren Spiels zwischen uns.
„Der Club der toten Dichter."
„Der Punkt geht an dich", erwiderte er und grinste. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ihm das Buch so viel bedeutete, weil er selbst Parallelen zu seinem Leben zog.
Am Ende des Tages hatte er tatsächlich mehr Zitate erraten als ich.

At first sight - Liebe auf den ersten BlickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt