At first sight - Liebe auf den ersten Blick

Gebrochen

Thanksgiving. Wieder mal eins ohne ihn. Ich bin auf dem Weg in Joels Zimmer, welches ich nie wieder nach seiner Flucht betreten habe. Aber Jacob hat mich gebeten einen Stuhl von oben zu holen. Hätte ich sagen sollen, dass alleine meine Anwesenheit in diesem Haus so schmerzhaft für mich ist, dass ich es kaum ertrage und dass ich den Gang in sein altes Zimmer nicht überleben würde?

Das letzte Mal habe ich das Zimmer halb auseinandergenommen, auf der Suche nach einem Anhaltspunkt und doch erst zwei Wochen später habe ich die Anmerkungen, in dem Buch was er mir hinterlassen hatte, gefunden. Eine ganze weitere Woche hatte es mich gekostet, diese zu entschlüsseln. Neben den Satz auf der letzten Seite „Ich habe dir mein Ehrenwort gegen", bestand die Anmerkung aus drei Angaben: Koordinaten, Wochentag und Uhrzeit. Seit dem Tag fahre ich jeden Sonntag um 10 Uhr in den Park außerhalb der Stadt und ich frage mich, ob er an dem Sonntag nach seiner Flucht dort auf mich gewartet hatte.

Vielleicht hatte er erkannt, dass unsere eigentliche Fluchtroute zu gefährlich war und hatte dort auf mich gewartet. Voller Vorfreude mit mir ein neues Leben zu beginnen, aber ich war nicht gekommen. Der Gedanke daran bereitet mir immer noch schlaflose Nächte, in denen ich nichts anderes tun kann, als stundenlang zu weinen, bis selbst Jake es nicht mehr erträgt, zu mir rüberkommt und ich irgendwann total erschöpft in seinen Armen einschlafe. Die Nächte werden weniger, aber sie kommen in regelmäßigen Abständen. Es ist die Ungewissheit, ob es ihm gut geht, die mich immer noch so quält. Ich muss ihn finde, aber alle meine Bestrebungen waren bis jetzt erfolglos. Carol sagt ich soll die Vergangenheit ruhen lassen. Sie möchte, dass ich Frieden damit schließe, denn er habe mich aus Liebe verlassen, um mich zu schützen. Aber ich kann ihn nicht vergessen. Ich kann ihn nicht aufgeben.
Deshalb sitze ich dort, jeden Sonntag, zu jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter.

Heute an Thanksgiving habe ich mal wieder auf der immer gleichen Bank gesessen und einen Brief geschrieben, in der Hoffnung eines Tages das Adressfeld ausfüllen zu können.

Lieber Joel,
ich hoffe wo auch immer du bist, dass es dir gut geht und dass du keine Angst mehr haben musst. Von dem ersten Moment an, wollte ich dich beschützen, weil ich dachte du wärst schwach, aber das bist du nicht. Das warst du nie! Das ist die Wahrheit und da dir nichts wichtiger ist als die Wahrheit, sage ich dir noch eins. Der einzige Grund warum ich nie aufhören werde nach dir zu suchen ist folgender:
Auch wenn es nur ein Augenblick gedauert hatte mich in dich zu verlieben und nur einen kurzen Moment dich mir zu entreißen, so weiß ich ganz sicher, dass unsere Liebe für ein ganzes Leben bestimmt ist. Deshalb weiß ich, dass der Tag kommen wird, wenn ich auf dieser Parkbank sitze und ich aufblicken werden in dein Gesicht und das ein Blick reichen wird und ich die gleiche Liebe spüren werde wie an dem Tag, als ich dich das erste Mal sah. Carol sagt, dass es mich einsam macht, wie ich mich an diese Hoffnung klammere, aber es ist der einzige Weg dir näher sein zu können. Deshalb werde ich, wenn es sein muss auch noch die nächsten zehn Jahre hier sitzen, so wie ich es die letzten fünf getan habe.

Ich bin inzwischen vor der Zimmertür angekommen, ich spüre förmlich seine Anwesenheit, höre die Musik die damals während unseren erstens Males lief. Ich glaube Jacob und Carol lassen mich absichtlich diesen Stuhl aus seinem alten Zimmer holen; als Bewältigungstherapie. Sie wollen, dass ich weiter mache, es wäre an der Zeit.

Fünf Jahre!

Ein Teil von mir will weiter machen, will den Menschen wieder vertrauen, sich wieder verlieben, aber ich habe Angst, dass ich ihn vergessen. Dass ich irgendwann nicht mehr weiß, wie sich seine Stimme angehört hat, wie er gerochen hat.

Vielleicht will ich diese Tür auch einfach nicht öffnen, weil ich Angst habe eine andere damit zu schließen, weil die Erkenntnis mich ereilen wird, dass er wirklich für immer fort ist. Langsam drücke ich die Türklinke herunter, aber ich weiß, dass ich nicht annähernd bereit bin für das, was mich hinter dieser Tür erwartet.