II

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Der nächste Tag brachte einen zaghaften Schein der Sonne – und dem Lord eine dicke Erkältung. So konnte er sich nur frustriert im Bett herumwerfen, den Kopf halten und ins Taschentüchlein schnäuzen, als die Köchin und der Haushälter gemeinsam aufbrachen, um frisches Wild zu schießen. Weder konnte er dabei sein, noch würde er das Essen genießen können.

Der Arzt war gleich morgens dagewesen, hatte ihm Bettruhe verordnet und seine Ziehmutter angewiesen, diese strengstens zu kontrollieren. Und so saß sie jetzt dort, auf einem Stuhl, in der Ecke seines Zimmers, und strickte ihre Jacke. Diese dumme Jacke. Zweimal hatte er bereits versucht, heimlich das Bett zu verlassen, aber jedes Mal war er auf ein Wollknäuel getreten, das irgendwie mit dem Strickzeug verbunden war. Es schien fast, als liege es mit Absicht dort! Natürlich hatte sie jedes Mal aufgeschaut, und er hatte sich ertappt ins Bett zurückfallen lassen müssen. Dabei war er doch kein kleines Kind mehr, sondern ein erwachsener Mann, und ein Lord noch dazu!

So ein blöder Tag aber auch. Seine Ungeduld, das Bett zu verlassen, war grenzenlos. Dazu kam auch noch dieses kribbelnde Gefühl, das ihn seit gestern Abend nicht mehr verließ. Es war ihm gänzlich unbekannt. Lediglich der Drang, den er beim Spaziergang dem Dürren gegenüber verspürt hatte, war etwa vergleichbar. Aber wie konnte das sein? Was hatte es mit diesem Bauern auf sich?

Mittlerweile war es Nachmittag geworden, Zeit für einen Mittagsschlaf. So schien es jedenfalls seiner Ziehmutter zu gehen. Immer wieder sackte ihr Kopf auf das Brustbein, woraufhin sie aufschreckte und die Strickarbeit wieder aufnahm. Irgendwann konnte Elothon es nicht mehr mit ansehen und schlug ihr vor, sich doch wenigstens ablösen zu lassen, wenn er schon bewacht werden musste. Sie nahm an und verschwand, um den Zimmerjungen zu suchen.

Elothon wusste, dies würde die einzige Möglichkeit in den nächsten Tagen sein, dem Bett zu entkommen. Auf Zehenspitzen verließ er das Bett, griff nach Bademantel, Wintermantel und Wollstrümpfen (er war schließlich krank) und schlich davon. Links sah er die alte Dame verschwinden, nach Hans rufend, also wandte er sich nach rechts.

Als er die Schlossmauern hinter sich gelassen hatte, atmete er erleichtert auf. Er war normalerweise nicht der Typ, der sich schnell eingeengt fühlte, und einige Tage im Bett zu bleiben machte ihm nichts aus – aber heute trieb es ihn wieder in das Dorf hinaus.

Er fühlte sich zwar fiebrig, und die Beine schmerzten bereits nach wenigen Schritten mit seinem Kopf um die Wette, dennoch ließ er sich nicht aufhalten.

Schon eine Weile fühlte er sich im Schloss nicht mehr wohl. Während der Regenphase hatte er täglich in die Lande hinausgeschaut und sich manchmal sogar gewünscht, einfach ein armer Bauer im Dorf am Horizont zu sein. Dann wäre alles einfacher. Genau genommen ging es ihm so, seit er einen Abend in der Kneipe dort verbracht hatte. Man hatte ihn nicht als Lord Arkanth erkannt gehabt, darum waren die Gespräche angenehm auf Augenhöhe verlaufen. Viele Erinnerungen hatte der Alkohol ausgelöscht, doch dachte er lächelnd an die Trinkrunden zurück, wie langsam alle verschwunden waren, bis nur noch Heini zurückblieb.

Heini. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen. Der Dürre am gestrigen Tag im Dorf war Heini gewesen. Und noch eine Erinnerung kam nun in ihm auf, ein unverzeihlicher Fehler. Ein Fehler, der Folgen mit sich tragen würde, die sein gesamtes Leben auf den Kopf stellen konnten – und es wohl bereits taten. Dies war also die Erklärung für alles.

Die Aufregung war zu viel für seinen erschöpften, kranken Körper geworden. Langsam knickten Elothons Beine ein, er musste sich an einem Zaunpfahl festhalten, damit das Fieber ihn nicht zu Boden warf. Er musste dringend in ein warmes Bett und mit seiner Ziehmutter reden.

~

Es dauerte einige Tage, bis Elothon so weit wiederhergestellt war, dass er das Bett verlassen konnte.

Ein Dorfbewohner hatte ihn völlig durchgefroren am Wegesrand gefunden und natürlich sofort die Schlossbewohner informiert. Es war nichts geschehen, aber Ärger hatte es von seiner Ziehmutter trotzdem gegeben. Sie schimpfte mit ihm wie einem ungezogenen Jungen, wenn er unvernünftig handelte.

Sein erster Gang führte ihn direkt zur Weisen der nahgelegenen Großstadt. Ernst betrat er die Hütte, in der die alte Professorin enthaltsam lebte, und ernst verließen beide diese auch wieder. Sie wandte sich nach Norden, der nächsten Stadt zu, er hingegen fuhr Richtung Osten, heimwärts in das Dorf. Wenige Stunden später jagte schließlich auch Elothons Kutsche mit einem weiteren Insassen nordwärts, einer ungewissen Zukunft entgegen.

Mein Beitrag zum Ideenzauber 2022Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt