Alle guten Dinge sind drei

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Ich schnaufte leicht gereizt auf. Wieso musste es nur so langsam voran gehen? Wieso bin ich überhaupt hier. Man das ist so unnötig. Ich ritt auf Arosa hinter den anderen her. Meine Eltern meinten, mich bei einer Gruppe anzumelden, die regelmäßig Wanderritte unternahm. Und jetzt reite ich hier im Schneckentempo auf irgendeinem Weg in den Bergen des Schwarzwaldes. Genervt stöhnte ich auf, als mich auf einmal die Betreuerin ansprach. „Alles okay, Kelsey?" Ich lächelte ihr entgegen und nickte höflich. „Ja, alles super. Danke, der Nachfrage." Was hätte ich sagen sollen?! »Nein! Scheiße geht's mir? Ich langweile mich zu Tode und verfluche meine Eltern dafür, dass sie gemeint haben mich in diese Hölle zu schicken? - Ja, vielleicht übertreibe ich auch, aber wieso muss es so viele Regeln geben? »Bleib an deinem Platz« »Reite so, wie wir es dir sagen« »Übertreib es nicht« ... Ich weiß gut genug wie man reiten muss!« Ich fühlte mich einfach nur eingeengt und war dadurch gereizt. Wenn ich eins nicht ertragen konnte, dann eingeschränkt zu sein. Und das war ich leider viel zu oft. Immer höflich sein, jeden anlächeln, sich nie beschweren - das war meine Tagesordnung. Ich durfte mich nie wiedersetzen, nie sagen, was ich dachte. Andere stellten mich als dumm da, weil ich „vollkommen bescheuerte Einfälle" hatte, aber auf alles, was sie als Problem aufzählten, hatte ich eine Lösung. Sagen tat ich es ihnen nie, sonst würde mein Gegenüber sich ja noch mehr aufregen und dass wollte und durfte ich wiederum auch nicht machen. Andere aufregen, indem ich mich auch nur verteidigte. Um mich herum waren nur Menschen, die alles auf mich schoben, was sie falsch machten. Alles seie meine Schuld und ohne mich wären sie besser dran. Das verletzte mich jedes Mal unheimlich. Ich fühlte mich ungewollt, unnötig, bedeutungslos.

Ich schniefte einmal auf, in der Versuchung möglichst leise zu sein, während meine Gedanken und Erinnerungen mich weiter runter zogen. Diese Menschen, die sich bei mir über alles beschwerten, erzählten immer, wie schrecklich ihr Leben war, dass sie wünschten, ich sein zu können, aber ich? Ich stand jedes mal da und lächelte höflich und half ihnen, Lösungen zu finden. Um meine Probleme kümmerte sich niemand. Nein, ich hätte ja das perfekte Leben mit der perfekten Familie und könne mich über nichts beschweren.

Ich lies leicht den Kopf hängen, während ich auf Arosa herunter sah. Ich lächelte auf und strich ihr liebevoll über den Hals. Dann hob ich den Kopf und sah mich um. Die Landschaft war wunderschön. Sie regte zum Nachdenken an, aber das war das Letzte, was ich jetzt machen wollte, denn augenblicklich kamen die Erinnerungen hoch. Ich schluckte die Tränen herunter und dachte an Ruth, meine einzige ehrliche Freundin. Sie hatte mich aus dieser Hölle heraus geholt, die ich jeden Tag ertragen musste. Jeder war immer bei mir gewesen, aber kaum war ich nicht mehr die berühmte, talentierte Reiterin, sondern ein Mädchen, gebrochen am Tod ihrer besten Freundin, war niemand da. Niemand kümmerte sich mehr um mich. Niemand war da für mich gewesen, als ich ein ganzes Jahr lang jeden Tag in dieser traurigen, leeren Box verbracht hatte. Niemand war zu mir gekommen, als ich mich abgeschottet hatte, vor Trauer. Niemand war zu mir gegangen, hatte mich gefragt, was los war, wie er helfen konnte. Nicht einmal, als ich lauthals auf dem Schulhof ausgelacht wurde, dafür, dass ich... Ja was eigentlich? Das ich mich in etwas „reingesteigert" habe? Naja, dass hatten zumindest meine Eltern immer gesagt. »Du steigerte sich da viel zu sehr rein« »Das war doch nur ein Pferd« »Benimm dich nicht wie ein Kleinkind! Du bist 14! Es war bloß ein Pferd! Ein dummer Gaul! Ohne Kopf und Verstand!« Wieder stiegen mir Tränen in die Augen. Aber dann rief ich mir Ruth's Bild in den Kopf. Wenigstens einer verstand mich. Auch wenn es niemand aus meiner Familie ist. Naja, mein Bruder hatte mich ja schon verstanden, irgendwie. Manchmal. Ein bisschen.

Ich atmete deprimiert auf. Wieso musste mein Leben so sein? Bei diesem Gedanken kam sofort das Bild meines Vaters in meinen Kopf. Er hatte mich an diesem Tag angeschrien. »Was soll ich denn noch machen? Du hast alles! Ich arbeite jeden Tag, jede Nacht, damit du ein tolles Leben hast und du beschwerst dich! Was soll ich denn noch machen?!« An diesem Abend hatte ich viel weinen müssen. Ich wollte ihm doch keine Last sein. Auch wenn er mich nicht verstand, ich liebte ihn. Es war mein Vater! Aber... Was bringt einem Geld, wenn man keine Freunde hat? Geld machte nunmal nicht glücklich. Er hätte auch nichts ändern können, niemand konnte das. Doch, vielleicht hätte er versuchen können, mich besser zu verstehen, durch meine Augen zu sehen. Aber wie will er bitte die Leute dazu bringen, mich nicht als unsichtbar zu sehen, mich nicht zu ignorieren, es seie denn, sie machen sich über mich lustig? Menschen sehen nunmal nur, was sie sehen wollen. Und ich bin nicht gerade, was sich bei Ihnen unter gewollt versteht. Ich bin dieses Mädchen, zu dem jeder geht, wenn er etwas braucht, aber das sonst, wenn SIE Hilfe braucht, unsichtbar ist, für all die, die helfen könnten. Die einzigen, die mich nie ignoriert hatten, waren die Mobber meiner Schule, die meinten, sich über mich lustig machen zu müssen, mich auslachen zu müssen. Was hätte mein Vater dagegen tun können? Sich in mich hineinversetzen? Das kann nunmal einfach nicht jeder. Nicht jeder kann sich vorstellen, wie andere sich fühlen, nicht jeder kann sich das Leben und die Probleme anderer gut vor Augen rufen. Ich hatte beide Seiten erlebt. Bis zu meinem zwölften Lebensjahr war ich recht beliebt in der Schule gewesen. Ich hatte viele Freunde, war bekannt für meine vielen Siege in den Turnieren aller Art. Aber dann war da... Ich wollte gar nicht daran denken. Und das veränderte alles für mich. Ich zog mich zurück, redete mit niemandem mehr. Hatte es irgendjemanden interessiert? Nein! Weil ich jetzt nicht mehr der aufblühende Stern der Reiterkarrieren war. Niemand hatte gefragt, was los war, weil es niemanden interessiert hatte... Der einzige Platz an dem ich also frei seien konnte, machen konnte, was ich wollte, war mein Gehirn. Meine Gedanken. Und deswegen redete ich auch nie viel. Ich war schon bei allen möglichen Psychologen und Ärzten gewesen, aber hatte irgendeiner mir wirklich zugehört? Nein. Niemand Interessierte sich für meine Gefühle. Jeder dachte, ich redete nicht, weil ich eine Sprachstörung hatte, oder weil ich krank war oder so. Nein. Ich sprach einfach nicht, weil eh niemand zuhörte. Es interessierte niemanden. Niemandem war wichtig, was ich dachte oder empfand. Mit den Pferden war das anders. Mit ihnen sprach ich. Viel sogar. Nur dank ihnen war ich noch nicht komplett zusammen gefallen, hatte nicht komplett aufgegeben. Und Ruth. Dank ihr haben diese Idioten aufgehört, mich zu mobben. Sie war die erste gewesen, die mich nach Jahren zum lachen brachte und ich war ihr unendlich dankbar dafür. Oft ritten wir aus. Naja, gingen spazieren, denn ich hatte mich strickt dagegen geweigert zu reiten. Ich hatte es versprochen...»Niemals in meinem Leben werde ich wieder auf den Rücken eines Pferdes steigen« hatte ich gesagt. Bei Arosa war das irgendwann nicht mehr möglich, aber sonst? Sonst werde ich mich daran halten, so gut es geht.

Meine (Star Stable) KurzgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt