Fünf Minuten. Ich spüre das Ziehen in meiner Brust und atme ein. Für einen Moment schließe ich die Augen, sehe die hellen Lichter vor mir durch den rötlichen Schimmer meiner Lider und wäge ab, viel zu lang. Gedanken jagen durch meinen Kopf. Wie schnell schaffe ich es zur Tür? Wie schnell ins Bad? Wie schnell schaffe ich es, allein zu sein? Wie schnell schaffe ich es, aber langsam, betont schlendernd genug, damit niemand bemerkt, dass etwas nicht stimmt?
Vier Minuten. Ich öffne die Augen, sie redet mit mir, sieht mich an, redet weiter. Ich stehe auf, viel zu langsam, und spüre, wie meine Lippen Worte forme, die ich selbst nicht versteh. Ich nehme meinen Rucksack, ganz langsam, vielleicht bemerkt sie dann nichts. Oder er. Oder sie oder er oder sie. Und die ganzen anderen.
Drei Minuten. Der Riemen meines Rucksacks schnürt in meine Schulter, aber das ist gar nicht wichtig. Ich erreiche die Tür und drücke die Klinke herunter, fast sanft, sonst bin ich zu schnell. Hinter mir schließt sich das Schloss mit einem Klicken, das durch meinen Kopf hallt, viel zu laut. Im Flur werden meine Schritte schneller, linker Fuß, rechter Fuß, linker Fuß, rechter Fuß, linker Fuß, rechter Fuß, links, rechts, links, rechts, links und weiter. Ich renne fast.
Zwei Minuten. Die Tür der Schultoilette öffnet sich unnachgiebig und knarzt, als ich mich dagegenlehnen muss, um sie zu öffnen, viel zu schwer. Ich stütze mich auf den Rand des Waschbeckens und sehe in den Spiegel, aber meine Augen sind schon beschlagen. Mein Atem ist leise und leise und leise und dann laut.
Eine Minute. Meine Beine kribbeln und ich gehe in die Knie, rutsche in der gekachelten Wand hinab zu Boden und kauere mich zusammen. Atme, viel zu laut, und dann
Jetzt.
Zeit.
Atmen.
Stopp.
Atmen.
Blind.
Taub.
Zeit.
Atmen.
Stopp.
Atmen.
Kalt und warm und kalt und warm und viel zu leise, viel zu laut und beides zugleich.
Und ich fühle nichts.
Und alles.
Und beides zugleich.
Atmen.
Stopp.
Hände greifen nach meinen.
Sie redet mit mir und sieht mich an und redet mit mir.
Und atmet mit mir.
Und dann ist es vorbei. Ich sehe sie an und weine, weil es wehtut, ich zu sein. Aber die Panikattacke ist vorbei. Fürs Erste. Viel zu sehr ich.
[27. August '21]
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gedankenfall [oder "das hier ist keine poesie"]
PoetryManchmal fühl ich alles. Und nichts. Und manchmal beides zugleich. Und dann schreib ich Geschichten. Über mich und dich und uns und alles andere. Manchmal schreibe ich auch nur einen Satz und manchmal ist das Geschichte genug. ◇ möchtegernpo...