𝒀𝒆𝒂𝒓𝒔 𝒐𝒇 𝑳𝒐𝒗𝒆: II

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21.03.1848
2 Jahre vor der Ballnacht

Ein neuer Tag, ein neuer Himmel, das Wasser und das Land - immer gleich und immer im Wandel begriffen - die Verkörperung des Augenblicks und des Ewigen ineinander.

Seit sie den Frühstückstisch verlassen hat, an dem sie ihrer Tante still gegenüber saß, spaziert sie durch das Anwesen. In einem schulterfreien, opulenten Kleid mit Blumenstickerei auf dem Stoff der tansparenten Spitze, welches das seidene Lavendel des Kleides eindeckt, läuft sie an den kleinen Teich im Rosengarten vorbei. Reue spiegelt sich auf der Wasseroberfläche wider.

Schlimm genug, am Vorabend weg gelaufen zu sein. Nun hängen ihre Gedanken auch noch an den fremden Mann, den sie auf der Treppe traf.

Sie kann nicht vergessen, was passiert ist. Genauso wenig kann sie ihn vergessen. So fremd und vertraut zugleich. »Oh. Verschwinde, verschwinde!« Kopfschüttelnd massiert sie sich mit behandschuhten Händen die Schläfen. Auch wenn sie daran denkt, wofür sie hergekommen ist, hilft es nicht. Die einzige Hoffnung liegt am Duft der Rosen und an der salzigen Luft des Meeres, den Rest vergessen zu können.

Gerade, als sie während der letzten Runde um das Haus am Fenster des Salons vorbei kommt, hört sie die Stimme ihrer Tante. Und Casendras.

»Wer sind diese Leute?« Casendras tiefe Stimme würde Hera jederzeit wiedererkennen. »Sie kommen nicht von hier. Definitiv nicht. Ich frage nochmal, Scarlett, Woher kommen sie?«

Hera spürt ihren Herzschlag plötzlich im ganzen Körper. Die verschiedensten Szenarien schießen ihr durch den Kopf; wie ihre Tante erwischt wird, Feinde aufzunehmen, und es somit schlimmer um sie steht als mit den Leuten, gegen die sie Krieg führen. Wie ihre Tante erwischt wird, auf ihrer Seite zu stehen, und lebenslänglich eingesperrt wird.

»Casendra, meine Liebe, warst du noch nie an der Nord- und Westküste? Leute, die an den Küstenstädten aufgewachsen sind, haben diesen Dialekt. Ich würde mein Land niemals hintergehen.«
»Natürlich nicht. Du bist schließlich diejenige, die auf den Thron verzichtete und ihre Familie verließ, um einen Bauer zu heiraten. Und was hast du davon? Er starb und hinterließ dir nichts als Krankheiten. Aber nein, du würdest niemals dein Land hintergehen.« Der Sarkasmus in Casendras Stimme ist schneidend. So tief, dass Scarlett verletzt auf die Chaiselounge fällt und regungslos dasitzt, während Casendra hinaus marschiert und die Türen hinter sich zuknallt.

So schnell es Heras Kleid erlaubt, läuft sie zurück in das Haus, geradewegs auf den Salon und ihrer Tante zu.
»Tante Scarlett! Geht es dir gut?« Zitternd streift sie die zierlichen Handschuhe ab und legt ihre Finger an Scarletts Hals, während die andere Hand Scarletts Brust abtastet. Sie reagiert nicht wirklich, lediglich die müden Augen richten sich auf die Prinzessin. »Es geht mir gut, wirklich. Es ist nur schockierend und verletztend zugleich, wie zügellos manche Menschen sind und rücksichtslos mit der Vergangenheit umgehen.«

»Ihre Tante ist aufgeregt. Das tut ihrem Herzen nicht gut. Wir wissen doch, wie eingeschränkt sie seit den Ruckschlägen der Vergangenheit ist. Ich schätze, sie braucht für einige Stunden Ruhe.«

Hera hat weder die Anwesenheit einer anderen Person gemerkt, noch aus den Augenwinkel bemerkt, dass sie nicht alleine mit ihrer Tante ist. Und wahrscheinlich stand der fremde Mann auch schon während Casendras Anwesenheit an der Vitrine. Seine Stimme würde sie jederzeit wieder erkennen.

Er steht an der Vitrine und poliert in weißen Handschuhen die Teetassen mit einem schwarzen Tuch, mit der Teekanne, die Scarlett zu ihrem letzten Geburtstag von Hera geschenkt bekam. Und dabei würdigt er Hera keinen einzigen Blick.

Diesmal sieht sie ihn im Tageslicht und so sehr sie versucht, ihren Blick von ihn abzuwenden, schafft sie es nicht. Schließlich hat sie ihn bisher nicht vergessen können. Jede Faser ihres Körpers wehrt sich dagegen. Seine schwarzen Haare sind ihm aus dem Gesicht gekämmt, das Hera nun einstudiert. Seine Gesichtszüge sind so fein, feiner als ein geschliffener Diamant, und lange, dunkle Wimpern umranden das Blau seiner Augen, welches reiner als das Meer leuchtet.

𝐒𝐡𝐚𝐝𝐞𝐬 𝐨𝐟 𝐋𝐨𝐯𝐞Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt