𝒀𝒆𝒂𝒓𝒔 𝒐𝒇 𝑳𝒐𝒗𝒆: I

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20.03.1848
2 Jahre vor der Ballnacht

Es ist wieder soweit.
Auf grünen Seidenbetten erblühen bunte weiche Kissen aus Blüten. Die Jahreszeit des Frühlings tretet vor die Tür, endlich befreit vom Kokon des grauen trostlosen Winters.

So sehr Hera den Frühling und das Erwachen tausender Farben liebt, würde sie sich nie an diesen Anblicken sattessen wollen.
Bis in die Ewigkeit würde das Türkis ihrer Augen auf das Grün der Natur treffen, über die eine bunte Vielfalt aus Schmetterlingsflügel streifen - wenn sie wollen würde.

Obwohl die Möglichkeit, sich satt zu sehen, besteht, würde sie es nicht tun, so sehr liebt sie den Frühling.
Schließlich weiß genau sie, wie schnell aus Liebe Gewohnheit werden kann.
Und was man liebt, sieht man nicht als selbstverständlich an.

Nur, wenn man ganz vom Herzen und mit ganzem Verstand liebt, würde die Gewohnheit niemals die Liebe übernehmen.
Doch Hera weiß, wie selten das ist. Und wie sehr es schmerzt, zu glauben, man hätte solch eine Liebe gefunden, nur um es dann zu verlieren.

Wie auch in den Jahren zuvor sitzt Hera zu Frühlingsbeginn in ihrer Kutsche, um ihre Tante in Bordeauxville, einer Küstenstadt, zu besuchen.

Und wie auch jede Kutschfahrt im Frühling, ist diese für Hera eine süße Meditation, bei der die Landschaft wie ein einziges, nicht enden wollendes Kunstwerk vorbeizieht.

Und schon bald vermischt sich glitzerndes Blau mit dem glänzenden Grün.

»Riechst du das, Casendra?« Hera zieht den Kopf wieder in die Kutsche, nachdem sie sich halb aus dem offenem Fenster lehnte. Ihre Begeisterung zeigt sich im zappeln ihrer Hände, was ihre Begleitung nicht gut heißt - wie auch alles andere.
»Die Brise duftet nun so süßlich und salzig zugleich. Wir sind gleich da.«

»Keine Ahnung, was in der Luft liegt, doch diese vermeintlich süße und zugleich salzige Brise scheint Ihren Verstand völlig zu vernebeln.« Casendras scharfer Blick über das Buch hinweg, das sie seit Beginn der Kutschfahrt nicht mehr aus den Augen gelassen hat, scheint Heras Begeisterung mit dem nächsten Luftzug ins Jenseits zu pusten. Der Rest ihres Gesichtes vergräbt sich hinter dem Buch, weshalb für Hera nicht zu deuten ist, ob das Schnauben in Casendras Stimme womöglich ihr erstes, wenn auch sarkastisches, Lachen für heute gewesen ist, oder nur ihre Verachtung. »Ich kann mir gut vorstellen, wie sehr das Versprechen Ihrer Tante, Sie mit dem Bogenschießen vertraut zu machen, für Aufregung sorgt, aber Sie sollten lernen, genau dies zu zügeln.«

Mit einem Kopfnicken lehnt sich Hera an die Rückenlehne und beobachtet aus ruhigen Augen ihr Gegenüber, nicht mehr die Landschaft.

Als Casendra nun die letzte Seite des Buches abschließt, klappt sie es zu und legt es weg. Dadurch entblößen sich die Narben an ihrem Hals, die wie Zweige aussehen, und die sechs Narben auf ihren Wangen. Drei auf der linken, drei auf der rechten Wange, zugefügt in ihrem letzten Kampf. Das fuchsige Gesicht und die katzenförmigen Augen lassen sie umso mehr wie ein Raubtier aussehen.

Gemeinsam mit Hera beobachtet sie die Landschaft aus dem Fenster. Vor ihren Augen spiegeln sich die orangenen Scheine der untergehenden Sonne auf dem Meer wieder, was für ein bahnbrechendes Spiel von Funkeln und Glänzen sorgt.

»Ich hoffe ja, diesen Frühling erblühen nicht nur Blumen. Sie sind beinahe 20, und somit alt genug für etwas ernstes.«

Hera hat wenig Zeit, sich darauf eine gescheite Antwort zu überlegen. Casendras erwartungsvoller, und doch besorgter, Blick setzt Hera härter unter Druck als er eigentlich sollte. »Ich würde es nicht als wichtiger empfinden, vor allem nicht deshalb, weil die Last eher auf den Schultern meines Bruder liegt. Schließlich soll er gekrönt werden.«

𝐒𝐡𝐚𝐝𝐞𝐬 𝐨𝐟 𝐋𝐨𝐯𝐞Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt