𝒀𝒆𝒂𝒓𝒔 𝒐𝒇 𝑳𝒐𝒗𝒆: V

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31.07.1850
1 Tag vor dem Ball

Im sanften weiß-goldenen Licht des neuen Tages wechseln die Farbtöne von Heras Schlafzimmer von impressionistischen Pastellfarben zu Schatten.

»Ohh, sie wird wach!« Ein Druck legt sich auf Heras Hand. »Hörst du mich, Hera? Siehst du mich?« Die besorgte Stimme entpuppt sich als Heras Mutter. Ihre kalte Hand liegt auf Heras und ihr blasses Gesicht ist das erste, was Hera sieht, bevor ihr Blick zur Person daneben schwindet. Die Person, die sich die größten Sorgen macht. Scarlett.

»Wie geht es dir? Und was ist passiert? Wir haben dich regungslos auf dem Boden gefunden.«

»Ich wünschte, ich wüsste nicht, was passiert ist«, flüstert Hera. Ihr Blick schweift zu der Person, die zurückgezogen an der Tür steht. Als würde die Person nichts mit allem zutun haben wollen und gleichzeitig wissen wollen, was passieren wird. Joshua.

»Ich finde, wir sollten sie alle in Ruhe lassen.« Genervt schiebt sich ihr Bruder zwischen Zoe und ihrer Mutter hindurch. »Statt sie so anzuglotzen. Vielleicht hat sie nicht genug gegessen.«

»Zoe, bring ihr doch bitte etwas zu Essen«, befiehlt Scalett. »Und du bleibst so lange hier.« Mit einem Nicken, an Joshua gerichtet, deutet sie auf Hera.

»Und das auch noch einen Tag vor dem Verlobungsball«, seufzt ihre Mutter. »Was, wenn sie bis dahin nicht fit genug ist?«

»Ist ein makelloses Familienbild auf dem Ball das einzige, woran du gerade denkst?« Micah zieht die Hand ihrer Mutter weg und lässt sie bis zur Tür nicht mehr los.

»Ich schätze, es wird sich alles spontan entscheiden.« Ehe Scarlett den Raum nach den anderen verletzt, tätschelt sie Heras Hand. »Vergiss nicht, dass du immer mit mir reden kannst, Ja?«

Hera nickt. Alleine bleiben nurnoch sie und Joshua im Raum.
»Willst du reden?« Vorsichtig bewegt er sich auf ihr Bett zu. »Wegen letzter Nacht...«
»Nein. Ich finde, du hast deinen Standpunkt ziemlich deutlich gemacht. Es gibt nichts mehr zu bereden.«
»Du willst nicht reden. Und das akzeptiere ich. Du sollst lediglich wissen, wie sehr mich die gesamte Situation überfordert hat und ich wirklich ungünstig reagiert habe.«

Hera atmet scharf ein. »Du meinst, wie sehr meine Freude und das Glück, das unser gemeinsames Glück sein sollte, dich überfordert hat? Was für ein Mensch muss man sein, dass man so böse auf etwas so schönes reagiert?«

Er streckt die Hand nach ihr aus, zieht sie allerdings wieder zurück. »Du bist sauer. Und das ist in Ordnung. Aber bitte reg dich nicht auf. Ich weiß, dass ich noch daran arbeiten muss, in überraschenden Situationen den Kopf zu bewahren.«

Schweigen herrscht, bis Joshua ungeduldig wieder das Wort ergreift. »Meintest du es ernst, als es um unser zukünftiges Leben an der Küstenstadt ging?«
»Nein, ich habe all das Gesagte aus einem Theaterstück auswendig gelernt.«
»Hera, ich möchte ehrlich zu dir sein. Ich liebe dich und wenn du wirklich dein Leben hier aufgeben willst, damit wir zu dritt glücklich werden, sollte dem nichts mehr im Wege stehen. Nicht einmal meine Unsicherheit vor der unbekannten Zukunft. Ich meine, wie soll ich ein guter Vater werden, wenn ich nie einen Vater hatte?«

Ihre Blicke treffen sich. Noch nie ist Augenkontakt so viel vertrauter als Worte als Worte gewesen.

»Wenn du das Kind wirklich liebst, wirst du es wissen.«
»Das tue ich«, flüstert er. Seine Finger streifen vorsichtig ihren Bauch. »Das tue ich wirklich.«

»Dann wissen wir, was wir morgen tun werden.«

Der Abend vor der Ballnacht

»Freuen Sie sich auf morgen?«
Hera zuckt zusammen, als Zoe die nächtliche Ruhe durchbricht. Ihre Gedanken lagen bis jetzt kein einziges mal beim Verlobungsball ihres Bruders, sondern daran, was sie alles einpacken und mitnehmen würde, um mit Joshua unterzutauchen. Überfordert sucht sie den Blickkontakt mit Zoe im Spiegel, vor dem sie ihre Haare geflochten bekommt. Einzelne Kerzen im Raum erhellen ihre Sicht und tauchen den Raum in ein angenehmes orange.

»Ich weiß um ehrlich zu sein nicht, wie ich darüber fühlen soll. Ich würde Kronprinzessin Darcy das erste mal treffen und ich weiß nicht, ob Micah mit ihr glücklich sein würde.«
Zoe nickt. »Das ist wirklich verständlich.«
»Was ist mit euch Assistenten?«
Zoe blickt auf. Ihre Augen treffen auf die Spiegelung von Hera. »Wie bitte?«
»Du und Joshua. Habt ihr eigentlich jemals einen Ball besucht?«

Zoe tretet zurück. »Wir waren einmal auf einem Ball. Bevor wir zu Euch kamen, haben wir, wie Sie sicher wissen, im Palast gedient. Aus Liebe zu Joshua, hat Kronprinzessin Darcy auch uns eingeladen.« Ihre Hände beginnen zu zittern. Hilfesuchend wandern ihre Augen umher, als würde irgendwo eine Ausrede stehen, die sie benutzen könnte, um so schnell wie möglich hier raus zu kommen. Doch als sie auf Heras eisernen Blick durch den Spiegel trifft, erstarrt sie.

»Aus Liebe zu Joshua?«
Zoe nickt. »Die beiden lernten sich zuerst nicht als Kronprinzessin und Bediensteter kennen. Sie wollte einst weglaufen, verlief sich in eine Kneipe, und dort war auch er. Sie gab sich zunächst als wer anderes aus, aus Angst, aufzufliegen, bis er realisierte, dass sie die Kronprinzessin ist und in ihrem Palast dient. Diesen falschen Namen benutzte Joshua seitdem, wenn er über die Frau sprach, die er liebte.«

Es ist, als würde sich Heras Magen komplett umdrehen. Diesen Part der Vergangenheit hat Joshua nie preisgegeben. »Er hat das Land verlassen, obwohl dort die Frau ist, die er liebte?«
»Sie hat ihn abermals betrogen. Er ist immer bei ihr geblieben.«

Schweigen herrscht zunächst. Hera starrt ihr Spiegelbild an, und dann Zoes. Obwohl sie beschließt, nichts mehr zu erfragen und ins Bett zu gehen, aus Angst vor einer dunklen Vorahnung, erwischt sie sich doch dabei, wie sie sich zu Zoe dreht.

»Wie war dieser falsche Name?«
»Heda.«
Hera atmet tief ein. »Und, wie sieht sie aus?«
Vorsichtig tretet Zoe auf Hera zu. Ihre Hände legen sich auf Heras zarte Schultern, drehen sie vorsichtig zum Spiegel, in dem Hera aus vier traurigen Augen bemitleidet wird.

Aus vier werden zwei, Heras eigenen, während Zoes Worte hundertfach in ihrem Kopf hallen.

So sieht sie aus.

𝐒𝐡𝐚𝐝𝐞𝐬 𝐨𝐟 𝐋𝐨𝐯𝐞Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt