43. Der Preis des Hasses

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An diesem Morgen weckte sie Sigurdur früher als sonst. Unbarmherzig rüttelte er sie an der Schulter wach und wartete vor der Tür, bis sie fertig und ansehnlich war.

„Dein Tag beginnt von nun an damit, das Frühstück für Thorvald zu richten. Du holst es in der Küche und bringst es ihm." Sie nickte und folgte ihm den bekannten Weg vom Raum der Dienerinnen bis in die Küche.

Es roch köstlich und mit Ida war auch die schlechte Stimmung aus der Küche verschwunden. Als Sigurdur mit Rûna den großen, düsteren Raum betrat, plapperte Hedda gut gelaunt mit Ingrid, der neuen Magd, die mit Rûna im Gesinderaum eingezogen war. Es dauerte einen Augenblick, bis sie die beiden sie bemerkten, dann fuhren die zwei Frauen herum und kicherten nervös. Es war erstaunlich für Rûna zu betrachten, wie sich der sonst so förmliche Sigurdur verlegen räusperte.

„Das Frühstück für den Herrn, bitte", sagte er. Und während Ingrid mit der Arbeit begann, stand Hedda ganz langsam von ihrem Schemel auf und lief auf Rûna zu. Sie blieb einen Schritt vor ihr stehen, griff erst nach ihren Händen und nahm sie schließlich in den Arm.

„Ich hatte solche Angst um dich, Rûna", sagte sie, Tränen in ihrer Stimme. Auch Rûna spürte, wie ihre Wangen feucht wurden. Wie lange hatte sie kein Wort mit Hedda gewechselt? Es waren zu viele Tage, wenn nicht sogar Wochen gewesen. An den letzten, unbeschwerten Plausch konnte sie sich gar nicht mehr erinnern.

„Und ich um dich. Um uns alle. Aber sieh an, die Welt ist nicht untergegangen." Das brachte Hedda zum Lächeln. Sie ließ sie los und wischte sich die Tränen von den Wangen.

„Und sieh an, wir dürfen sogar miteinander sprechen." Natürlich war es eine Anspielung auf ihre missmutige Begleitung unter dem alten Fürsten, aber Sigurdur konnte sie nicht verstehen.

„Solange ihr euch mit dem Frühstück für den Herrn beeilt. Er ist morgens nicht sonderlich gut gelaunt." Die beiden Frauen kicherten und Ingrid rührte den Brei im Topf um. Dann begann das Holzgeschirr dumpf zu klappern und Rûna wusste, dass ihre Zeit zusammen bald um war.

„Sag, wie geht es dir? Wo seid ihr untergekommen? Wohnt ihr noch in eurem Haus?" Für den Bruchteil eines Moments weiteten sich Heddas Augen, ganz so, als hätte sie vergessen, dass es noch Menschen gab, die ihr Schicksal nicht kannten.

„Nein", sagte sie, kratzte sich am Kopf. „Mein Mann, er ist gefallen. Ich bin allein."

„Oh Hedda", Rûna füllte den Raum zwischen ihnen wieder und nahm Hedda in den Arm. Aber es kamen keine Tränen mehr. Weder der Trauer, noch der Freude. So ließ sie sie wieder los, Verständnis in den Augen.

„Das Frühstück ist fertig", murmelte Ingrid.

„Na das wird aber auch Zeit!", nuschelte Sigurdur. Ingrid trat auf Rûna zu und drückte ihr die warme Schüssel in die Hand. Sie sah köstlich aus, der Brei fein und duftend, darüber waren unzählige bunte Beeren gestreut. Nur zu gerne hätte sie selbst davon gekostet.

„Nicht trödeln. Er soll ihn warm bekommen", riss sie Sigurdur aus ihren Essensfantasien.

„Na gut", seufzte sie. Lächelte Hedda zu. „Wir sehen uns bald." Diese nickte, das Glänzen war in ihre Augen zurückgekehrt.

Als Rûna schließlich die Küche verließ und sich zu Sigurdur umdrehte, da überraschte er sie. Sah sie doch, wie er einen forschenden Blick in Heddas Richtung warf, der ihr noch nie vorher aufgefallen war. Und vermutlich war es nicht der erste Blick dieser Art, denn Hedda errötete vom Saum ihres Kragens bis zum Scheitel ihrer Haare. Das ließ Rûna lächeln, sie würde sich um Hedda keine Gedanken mehr machen müssen.

Sigurdur schien von diesem Blickaustausch neue Energie geschöpft zu haben, denn er lief schnellen Schrittes voran zu Thorvalds Hütte. Mit der bis obenhin gefüllten Schüssel in der Hand kam sie kaum hinterher. Sie hatte Angst, in der Eile zu stolpern und den ganzen Inhalt zu verschütten. Dazu begannen ihre Hände leicht zu schwitzen, was nicht an der Wärme der Schüssel lag. Sondern daran, dass sie ihren namenlosen Krieger wiedersehen würde. Thorvald. Der Name klang noch immer fremd in ihren Ohren. Aber sie musste sich daran gewöhnen, schließlich war er nicht mehr namenlos. Ganz im Gegenteil, er hatte viele Namen hier.

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