Der Kaffee ist brühend heiß und zu bitter. Die Himbeertorte schmeckt wie matschige Pappe und es ist an der Zeit, dass ich mit Kasia spreche. Ihre langen, rötlich schimmernden Haare sind noch aufgeweicht und gewellt vom Nieselregen. In dem engen, schwarzen Kleid müsste sie umwerfend aussehen, aber ich kann in diesem Augenblick nur die Müdigkeit in ihrem Blick erkennen.
Zitternd hält sie eine halbvolle Kaffeetasse in der Hand. Dunkle, getrocknete Tropfen kleben am äußeren Rand. Sie steht mitten im Raum, der viel zu riesig und doch zu klein für all die Menschen wirkt, die wegen Daniel hergekommen sind. Mit aufgekauten Lippen und wässrigen, geröteten Augen nimmt sie Worte entgegen, für die sie nie bereit sein wird.
Ellen sitzt auf einem Stuhl hinten in der Ecke. Dort, wo das Buffett aufgebaut ist. Benommen nippt sie an ihrem Kaffee und starrt ausdrucklos in die trübe Flüssigkeit.
Daniels Eltern fauchen sich an, wie sie es schon immer getan haben. Seine Mutter gestikuliert hysterisch mit den Händen. Noch schenkt ihnen niemand Aufmerksamkeit, weil ihr Streiten die einzige Normalität in dieser Situation ist.
Julia sitzt an einem Tisch mit unseren anderen Freunden, von denen ich niemals irgendwen so gut kennen werde wie Daniel.
»Marc«, schnieft Kasia, als ich vor ihr stehe, und mehr bringt sie nicht zustande. Ruckartig zieht sie mich in eine heftige Umarmung und ich fühle mich völlig taub. Das erste Mal seit vier Tagen und elf Stunden weine ich nicht. Kasias dünnen Arme schlingen sich um meinen Nacken und ich fühle mich wie ein Fels, der keiner sein will.
»Kasia...«, erwidere ich und komme mir so schrecklich nutzlos vor.
Sie hält ihre Tasse noch immer in der Hand und ich spüre, wie ihr heißer Kaffee auf mein helles Hemd tropft. Es spielt keine Rolle, ich werde dieses Hemd ohnehin nie wieder tragen.
Ich habe Angst davor, dass sie in Tränen ausbricht. Denn ich werde nicht für sie da sein können. Ich kann ihre Tränen nicht stoppen, weil meine eigenen immer noch an meinen Wangen kleben und jämmerlich darauf hoffen, vor der nächsten Welle trocknen zu können.
Zitternd lässt sie nach einer Weile von mir ab. »Tut mir leid... der Kaffee- ich...«, stammelt sie und noch nie habe ich ihre Augen so farblos gesehen. Schnell blicke ich zu Julia. Sie nickt mir aufmunternd zu, obwohl sie schon wieder selbst mit den Tränen kämpft.
»Ist schon okay«, sage ich und gebe mir erst gar keine Mühe, meine Stimme kontrolliert klingen zu lassen. Es spielt heute keine Rolle, wer vermeintlich schwach oder stark ist.
Einen Moment stehen wir einfach nur voreinander und wissen nicht wohin mit uns. Da ist so viel, was ich ihr gerne gesagt hätte. Aber mir fällt nichts ein, was ihren, meinen, unseren Schmerz lindern könnte. Kasia steht in Flammen und erstickt still und die Qualen erduldend am Rauch.
Dann kramt sie plötzlich in ihrer Handtasche, nachdem sie die Kaffeetasse überstürzt auf dem Parkett zwischen uns abgestellt hat. Ihre Stimme ist brüchig, als sie mir ein kleines, gefaltetes Foto überreicht. Ich weiß sofort, was ich nun in den Händen halte. »Das Polizeifoto vom Wagen. Du hast ja drum gebeten und... Naja, hier hast du es«, erklärt sie trotzdem und zuckt erschöpft mit den Schultern.
»Danke.« Schon wieder brennen meine Augen und ich lasse das zusammengefaltete Bild schnell in meiner Hosentasche verschwinden, ohne es mir anzusehen. Ich weiß selbst nicht mehr, warum ich es überhaupt haben wollte. Schnell wische ich mir mit der flachen Hand übers Gesicht. Vielleicht bin ich irgendwann bereit dafür.
Eine Nachbarin von Daniels Familie gesellt sich zu uns. Sagt ein paar kleine Worte zu Kasia. Drückt meine Schulter. Holt sich noch ein Stück Kuchen.
»Ich muss dir was sagen«, beginne ich und lege mir meine Worte sogfältig im Kopf zusammen, nur um sie dann wieder zu verwerfen. Vielleicht weiß sie es sowieso schon. Vielleicht weiß sie es nicht und ich mache alles schlimmer, wenn ich es ihr erzähle.
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Glimmern
General FictionDaniel ist ein fester Bestandteil in Mavies Leben - obwohl die Achtzehnjährige den besten Freund ihres Vaters niemals kennenlernen durfte. Noch immer sieht sie ihren Eltern den frühen, schmerzhaften Verlust an und kann gar nicht anders als darüber n...