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Julia sieht in diesem Moment nicht hübsch aus, aber für mich ist sie trotzdem die schönste Frau der Welt. Die hellblonden Haare kleben ihr in der schweißnassen Stirn und ich kann es kaum abwarten, die Haarfarbe unserer Tochter zu erfahren.

Ich stehe mit angehaltenem Atem neben dem Bett und betrachte mit gerunzelter Miene und feuchten Handflächen den Monitor, der die winzigen, kleinen Herztöne aufzeichnet. »Wie lange dauert's denn noch?«, wage ich vorsichtig zu fragen, was sich als waghalsiger Fehler herausstellt.

»Halt die Klappe, Marc!«, brüllt Julia, als sie zwischen zwei schmerzerstickten Schreien gerade so die Kraft dazu findet. »Ich will überhaupt nicht wissen, wie lange dieser Mist hier noch dauert!«

Beschwichtigend hebe ich die Hände und murmle eine hastige Entschuldigung, während sich die Hebamme still ins Fäustchen lacht. In einem unbemerkten Augenblick, wo Julia ganz mit Atmen und hektischen Schreien beschäftigt ist, wendet sie sich mir dann aber doch zu. »Der Muttermund ist jetzt zehn Zentimeter geöffnet«, offenbart sie mir, als sie zwischen Julias Beinen wieder auftaucht. »Ihre Tochter könnte nun also jeden Moment das Licht der Welt erblicken«, flüstert Frau Butterweck mir zu. Ihre entspannten, freundlichen Gesichtszüge beruhigen mich ungemein. Sowieso ist sie mir von Anfang an sympathisch gewesen und gerade für Julia ist sie eine große Stütze gewesen.

Es ist seltsam, wie sich das Blatt während ihrer Schwangerschaft gewendet hat. Julia ist von Tag zu Tag nervöser geworden und hat jede noch so kleine körperliche Änderung mit großer Sorge wahrgenommen. Täglich hat sie sich mehrfach gewogen und ständig Angst gehabt, das Baby könnte nicht stark genug sein. Vor jedem Frauenarzttermin ist sie wie ein aufgescheuchtes Hühnchen durch die Wohnung geflitzt und hat sich lautstark alle möglichen Horrorszenarien ausgemalt.

Ich hingegen bin überraschenderweise durchweg optimistisch und ruhig geblieben.

Nur heute Morgen, als Julia unter der Dusche völlig überrumpelt nach mir schrie und immer wieder »Die Fruchtblase ist geplatzt. Scheiße, Marc, ich glaube, die Fruchtblase ist geplatzt!« krähte, war auch meine Nervosität wieder voll präsent.

Aber ich habe schon immer gewusst, dass Julia eine starke Frau ist. Jetzt sogar meine Frau, denke ich und vor meinen Augen blitzen die Millionen kleinen Reiskörner auf, mit denen unsere Freunde uns vor dem Standesamt beschmissen haben. Ich sehe Julias hübschen, beigen Blazer vor mir und das Strahlen in ihrem Gesicht wärmt mich immer noch.

Reiß dich zusammen, befehle ich mir und reibe mir schnell durchs Gesicht.

Frau Butterweck tastet erneut Julias Bauch ab.

»Glauben Sie, Sie können sich auf die rechte oder linke Seite drehen?«, schlägt sie seelenruhig vor und Julia nickt erschöpft. Unter großem Stöhnen versucht sie sich, am Bettrand hochzuziehen. Sofort bin ich bei ihr und helfe ihr auf die linke Seite. Dankbar blinzelt sie zu mir hoch und ein sanftes Lächeln flackert zwischen den Abdrücken der großen Anstrengung durch.

»Du bist der Wahnsinn«, wispere ich ihr zu und fasse nach ihrer Hand. Meine bricht sie daraufhin regelrecht.

»Aua«, mache ich und Julias nächster Schrei endet in einem kurzen Lachen, was auch mich zum Schmunzeln bringt. Abgesehen von den Schmerzen scheint es ihr gut zu gehen. Mit dem Baby ist alles in Ordnung.

Frau Butterweck ist so nett und schiebt mir hastig einen Stuhl ans Bett, denn es ist offensichtlich, dass Julia mich nun nicht mehr loslassen wird. Meine Knie sind ganz weich und ich bin dankbar, dass ich mich setzen kann.

»Die Presswehen werden gleich einsetzen, Frau Winter«, bemerkt die Hebamme und mein Herz macht einen Hüpfer, als ich diesen Namen aus einem anderen Mund höre. Wir sind nicht mehr Freund und Freundin. Wir sind jetzt Mann und Frau und erwarten eine wunderschöne Tochter.

GlimmernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt