Der Bass drückt mir alle negativen Gedanken aus dem Kopf. Da ist keine verhauene Vorabiprüfung in Mathe. Da ist kein Druck, was ich bloß mit meinem Leben anstellen soll. Da ist nur Selin, die vor mir auf der Kücheninsel tanzt und Niklas damit zur Weißglut bringt.
»Scheiße, bist du wunderschön!«, brülle ich ihr über die Musik hinweg zu und nippe noch einmal an meinem Becher, nur um festzustellen, dass er schon wieder leer ist.
»Du siehst aus, als bräuchtest du mehr davon«, grinst der Kerl ohne Namen neben mir, der mir schon seit gut zwanzig Minuten tierisch auf die Nerven geht.
Selin zwinkert mir zu und lacht sich kaputt. Ich strecke ihr die Zunge raus und drehe mich dann von ihr weg. Ziehe meinen tiefen Ausschnitt noch tiefer. Zähle in Gedanken die Sekunden, die sie braucht, um von der Kücheninsel zu klettern, um mich von hier wegzuholen.
»Ja, bitte noch einmal Piña Colada «, säusele ich mit einem süßen Lächeln auf den knallrot geschminkten Lippen, aber doch mit bestimmendem Ton in der Stimme.
»Kommt sofort«, antwortet er und deutet eine leichte Verbeugung an, für die ich ihm gerne eine klatschen würde.
Als er wieder mit vollem Becher auftaucht, hängt Selin mir bereits um den Schultern und drückt mir einen dicken Kuss auf die Wange. »Sorry Loverboy, aber die Süße hier steht nicht auf Schwänze«, versucht sie ihm zu verklickern und bricht dann in schallendes Gelächter aus. Ich unterdrücke ein Schmunzeln, weil ich mir mein Getränk noch angeln muss.
Perplex blinzelt er uns an und ich liebe es, wie Selin jeden Typen kurzzeitig aus dem Konzept bringt.
»Was?«, macht er verwirrt und ich nutze den Moment, um ihm den Becher aus der Hand zu greifen, um mich anschließend direkt nochmal an die Südsee zu katapultieren.
»Du sollst dich verpissen«, verbessert Selin ihre vorherige Wortwahl und zieht mich dann am Handgelenk weg von ihm zurück in Richtung Küche. Lachend hält sie vor dem Herd an, küsst mich endlich seit gefühlten Stunden so wirklich richtig und mein Herz schlägt eine Millionen Mal pro Minute. Es fühlt sich an, als würde mir der Brustkorb platzen.
»Mavie!«
Ich fahre herum und blicke einem düster dreinblickenden Niklas entgegen. Sein weißes Hemd passt nicht zu dieser Party. Jemand kotzt aufs Gästeklo, die Palme im Wohnzimmer wurde umgeworfen und draußen im Garten hört es sich an, als würde mindestens ein Dutzend Leute im Pool ertrinken. Niklas hat nicht einmal einen einzigen Fleck auf dem Hemd. Selin spielt mit meinen Haaren und schmollt, weil sie weiß, was jetzt kommt.
»Sag deiner kleinen Freundin hier, sie darf nicht einfach auf die Kücheninsel steigen«, fordert er und verschränkt die Arme vor der Brust.
Ich tue es ihm gleich. »Sag du es ihr doch«, provoziere ich ihn noch mehr, weil ich sein Bonzen-Gehabe einfach zu amüsant finde.
Aufgebracht fährt er sich durch die Haare. Klappt den Mund auf, will noch was sagen. Klappt den Mund wieder zu und winkt ab. Verschwindet im Wohnzimmer bei den anderen Bonzen und lässt den Pöbel zurück.
Der Typ von eben lehnt beleidigt neben dem Kühlschrank und Selin lacht sich schlapp.
»Ich liebe dich, Vie«, haucht sie mir gegen die Lippen, als ich mich wieder zu ihr umdrehe. Sie hat die Arme um meinen Hals gelegt und bewegt sich zu der viel zu schnellen Musik viel zu langsam gegen meinen Körper.
Mir ist heiß und kalt gleichzeitig, Alles vibriert. Das Haus, die Luft, der Becher in meiner Hand – Selins Stimme, wenn sie die magischen drei Worte zu mir sagt.
»Ich liebe dich«, gebe ich zurück und jetzt muss ich doch grinsen. Dann küsse ich sie noch einmal, weil man von Selin nur schwer genug bekommt.
»Auf deine verkackte Matheklausur«, flötet sie und reicht mir einen Shot.
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Glimmern
General FictionDaniel ist ein fester Bestandteil in Mavies Leben - obwohl die Achtzehnjährige den besten Freund ihres Vaters niemals kennenlernen durfte. Noch immer sieht sie ihren Eltern den frühen, schmerzhaften Verlust an und kann gar nicht anders als darüber n...