19. Kapitel

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Am Samstag Morgen hüpfte ich guter Dinge die Treppe runter und machte mich auf den Weg in die Küche. Jackson hatte oben schon an seinem Schreibtisch gesessen, doch ich wollte ihn nicht stören und erst recht wollte ich vermeiden, dass er wieder auf die Idee kam mich samstags arbeiten zu lassen also flüchtete ich so schnell es ging.

"Guten Morgen Kleine!", begrüßte mich Dan gut gelaunt, der gerade mit einer Tasse Kaffee an der Küchentheke saß und seine Zeitung laß. Ich begrüßte ihn fröhlich und brühte mir dann einen Tee auf. Wir hatten gestern im Kino einen echt schönen Abend und danach waren wir sogar noch auf einen Drink in einer Bar in der Nähe. Offenbar fand sich mein Bruder langsam aber sicher damit ab, dass ich volljährig war.

Gemeinsam bereiteten wir ein riesiges Frühstück zu und setzten uns raus in die Sonne. Zwischendurch war Jackson runtergekommen, um sich einen neuen Kaffee zu holen und hatte ein paar Minuten bei uns gesessen, bevor er sich wieder an die Arbeit setzte und ein etwas verkaterter Josh ließ sich letztendlich auch noch blicken.

Er sah hundeelend aus und ich ging rein, um ihm als Revanche für meinen letzten Kater ebenfalls eine Schmerztablette zu holen und sogar nochmal frischen Bacon für Josh zu braten, während meine drei Mitbewohner draußen Witze rissen und die Sonne genossen. Mit einem Blick nach draußen lächelte ich zufrieden. So könnte es immer sein.

Leider hielt meine Zufriedenheit wie so oft nicht besonders lange an. Gegen 17 Uhr, als ich es mir gerade draußen mit meinem Buch gemütlich gemacht hatte, klingelte es an der Tür. Stirnrunzelnd ließ ich das Buch liegen und machte mich auf den Weg zu Haustür. Die Jungs waren zu dritt ins Fitness-Studio gefahren und würden vermutlich erst in zwei Stunden zurückkehren, somit war es mir ein Rätsel, wer das sein könnte. Es war selten, dass wir unangemeldeten Besuch bekamen.

An meiner Haustür fand ich eine vollkommen aufgelöste Caroline vor, die mir unter Tränen erzählte, dass sie Alex verlassen hatte. Mit Wein und Schokolade bewaffnet drückte ich sie sanft auf meine Couch und rief Sarah per SMS als Verstärkung hinzu.

"Erzähl mal! Was ist denn passiert Care?", fragte ich und legte den Arm um meine Freundin.

"Wir haben uns schon dir ganze Woche wegen meines Studiums gestritten.", erzählte sie immer noch leicht schluchzend und ich nickte verstehend. Caroline war einfach dafür geboren später mal was mit Mode zu machen. Jeder der sie kannte wusste das, denn sie hatte nicht nur dieses absolut fantastische Stil-Empfinden, sondern sie brannte auch mit Leib und Seele dafür. Deshalb hatte sie sich für ein Studium an verschiedenen Mode-Hochschulen in allen großen Fashion-Destinationen beworben. New York, Paris, London, Berlin, Mailand, usw. Es war schon immer ihr Traum und schon seit ich sie kannte wartete sie nur darauf in eine dieser Städte zu ziehen und ihren großen Traum zu verfolgen.

Anders als Alex... Ihr Freund kam aus einer wohlhabenden Familie und hatte im vergangenen Jahr seinen Abschluss gemacht. Sein Wirtschafts-Studium hatte er nach dem ersten Semester wieder abgebrochen und wusste nun nicht, wie es weitergehen sollte. Allerdings war er sehr festgefahren darauf bei uns in der Heimat zu bleiben und später hier mal im Wirtschafts- oder Finanzwesen zu arbeiten, wie seine Eltern.

Er hielt nicht viel von Carolines Plänen und ich hatte ihn betrunken sogar mal sagen gehört, dass er Mode für ein Hobby hielt nicht für einen Beruf und dass Caroline endlich mal erwachsen werden sollte. Das war nur einer der Gründe, aus denen ich Alex nie so richtig leiden konnte. Er hielt seine Freundin trotz ihres Potentials klein, während er selbst überhaupt keine Pläne für seine Zukunft hatte.

Als meine Freundin weitersprach wendete ich mich wieder ihr zu. "Alex findet ich sollte hier studieren. Irgendwas mit "Zukunft". Wir haben ewig diskutiert und mir ist klar geworden, dass er sich einfach nicht traut diese Stadt und seine Eltern hinter sich zu lassen und mal was Neues zu wagen. Egal wo ich hingehen werde, er würde nicht mitkommen und wir wollen beide keine Fernbeziehung. Also hab ich es beendet."

Sie hatte aufgehört zu weinen und wirkte nun eher sachlich und ein wenig... distanziert. Ich wusste, dass da noch mehr war, aber ich wollte sie nicht drängen, deshalb legte ich nur den Arm um sie und streichelte ihr sanft den Rücken.

"Das tut mir leid Care, wirklich! Was kann ich für dich tun?"

Sie seufzte. "Können wir einfach fernsehen oder so? Ich will nicht drüber reden."

"Natürlich, such dir was aus." Während meine Freundin auf Netflix nach einem Film suchte schenkte ich uns Wein ein und drückte ihr ein Glas in die Hand. Sie startete den Film und ich musste grinsen. Stolz und Vorurteil. Warum zog es uns nur immer wenn wir Liebeskummer hatten zu romantischen Filmen und Büchern? Caroline teilte meine große Liebe zu allem was Jane Austen je geschrieben hat und auch sie hatte sich eine kleine Sammlung an Schmuckausgaben von ihren Werken angeschafft, auch wenn sie deutlich kleiner war als meine eigene. Auch diesen Film hatten wir schon gefühlte hundert Mal gesehen. Wir kannten die Handlung sowohl im Film als auch im Buch in und auswendig und diskutierten gerne über die Abweichungen und zu Sarahs großem Leidwesen konnten wir die Dialoge auswendig. Zwar hatten wir uns angewöhnt, diesen Film nur anzusehen wenn wir zu zweit waren, aber ganz konnten wir Sarah dann doch nicht verschonen.

Der Film lief noch nicht lange, als die Haustür aufging und Sarah hereinstolzierte. Sie hatte sich noch nie großartig mit Klingeln aufgehalten. Seit dem Tag an dem ich hier eingezogen war, lebte sie praktisch auch hier. Die Jungs hatten nie etwas dazu gesagt, denn nach dem Tod meiner Eltern war ich in ein tiefes Loch gestürzt. Ich brauchte meine Freundin und das wussten sie. Sie hatten Sarah einfach aufgenommen, als wäre sie eine Schwester und irgendwie war sie das ja auch. Zumindest für mich.

Ohne großartig was zu sagen setzte sie sich auf meine andere Seite und ließ den Film über sich ergehen. Sie hasste Schnulzen, aber Caroline zu Liebe ertrug sie es und ich legte dankbar meinen Kopf an ihrer Schulter ab. Ich konnte ihr innerliches Augenrollen förmlich spüren, doch sie nahm mir einfach meinen Wein ab und trank sich den Film erträglicher. Sarah war keine Freundin großer Worte oder tiefgründiger Gespräche und hatte definitiv keinen einzigen romantischen Gedanken in sich, doch sie war immer für uns da und ertrug wortlos alles womit wir sie in unserem Liebeskummer bombardierten. Sie war unsere starke Schulter zum ausheulen, die Caroline und ich als überzeugte Romantikerinnen häufiger brauchten als uns lieb war. Wenn man nach der großen Liebe sucht sind Kummer und gebrochene Herzen leider nicht wegzudenken.

Little OneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt