Sequel: Vergiss das nie

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Zwei Tage später waren sie immer noch in Hamburg. Capi versuchte mittlerweile gar nicht mehr zu verstecken, wie genervt er vom geturtel der beiden Spandauer war. Gerade saß er vor dem zweistöckigen Haus und rauchte Kette. Seit sie hier waren hatte sich die Bindung zwischen Vincent und Dag so sehr verstärkt wie noch nie vorher. Capi hingegen wurde komplett links liegen gelassen und musste seine Zeit entweder alleine oder mit Jule und Ferris verbringen. Ziemlich undankbar, wie er fand. Er hatte sich zwar mittlerweile fast schon mit der jungen Sexworkerin angefreundet, doch mit Vincent hätte er eindeutig lieber Zeit verbracht.

„...Capi?", ertönte es zögerlich hinter ihm. Da er die Stimme eindeutig Vincent zuordnen konnte, entschied er sich dazu, nicht darauf zu reagieren. Stattdessen nahm er sein Handy heraus um möglichst beschäftigt zu wirken.
„Hey, Capi?"
Vincent tippte ihn an, doch Capi starrte weiterhin sein Display an. Spätestens als Vincent sah, dass er nur seinen Home-Bildschirm betrachtete, wusste er, dass Capi ihn bewusst ignorierte.
„Was ist los Vladislav?"
„Nichts."
„Du hast doch irgendwas."
„Ist Dag gerade kacken, oder warum hast du plötzlich Zeit?"
„Hä?"
Vincent sah Capi verwirrt an. Dieser schaute ihn weiterhin nicht an und machte auch nicht den Anschein sein seltsames Verhalten erklären zu wollen.
„Wie meinst du?", fragte er also nochmal nach.
„Zum Beispiel, dass du dich nicht einmal bei mir bedankt hast! Oder dass du mich seid ihr wieder gut miteinander seid komplett links liegen lässt digga! Ich fühl mich wie deine zweite Wahl. 'Hey, Capi ist gut genug, solange Dag nicht da ist. Sobald ich ihn wieder hab kann der sich wieder verpissen.' Das fühlt sich scheiße an. Und du merkst das nicht mal. Oder du merkst es und es ist dir einfach egal!", platze es nun endlich aus dem Ukrainer heraus. Vincent sah ihn kurz überrascht an und schien länger nachzudenken, was er jetzt sagen sollte. Zögerlich setzte er sich neben ihn auf die Bordsteinkante.
„Ich... ähhh... okay. Also erstmal bin ich dir unendlich dankbar für das alles hier. Und... du bist... also... man Capi, du bist mir unfassbar wichtig, aber ich muss gerade die Verbindung zu Dag wieder stärken. Ich will einfach, dass es wieder wird wie früher. Das bedeutet aber nicht, dass du nur meine zweite Wahl bist."
„Es fühlt sich aber so an..."
„Tut mir wirklich leid, wenn das so rüberkam."
„Schon gut, ich versteh das ja auch irgendwie. Ich mein nur... Keine Ahnung, das tut halt Weh."
Vincent beugte sich zu ihm rüber, nahm ihn in den Arm und drückte ihn sanft an sich.
„Ich hab dich lieb, okay? Vergiss das nie."
Capi schwieg vielsagend. Unsicher biss er sich auf die Lippe, was Vincent ein bisschen das Herz brach.
„Wirklich Vladi."
„Ja, ist gut..."
Der jüngere lehnte seufzend den Kopf gegen die Brust seines Produzenten. Dieser strich ihm, wie im Krankenhaus auch schon, mit einer Hand sanft durch die Haare.
„...es ist nur-", er brach ab.
„Hm?"
„Egal."
„Sag bitte."
„Okay. Du darfst aber nicht lachen."
„Mach ich nicht. Versprochen."
„Ich... ich glaube... ich... ähhh...", der Rapper atmete tief durch, „Okay, raste jetzt bitte nicht aus und mach die Sache nicht größer als sie ist, Bra. Ich... steh auf dich. Schon länger."
Capi kniff die Augen zusammen. Er hatte merklich Angst vor Vincents Reaktion auf dieses unerwartete Geständnis. Vincent allerdings schwieg einfach nur, aus Angst, seinen Freund zu verletzen.
„Bitte sag was, Vincent."
„Warum hast du nie was gesagt?"
„Hab ich ja jetzt..."
Er traute sich immer noch nicht ihn anzusehen, also behielt er die Augen geschlossen und drückte das Gesicht in Vincents Halsbeuge. Dieser strich von seinem Kopf herunter zu seinem Rücken und streichelte eine Weile schweigend darüber.

„Tut mir leid, ich weiß nicht was ich sagen soll."
„Sorry, ich weiß auch nicht warum..."
„Ist doch nicht schlimm. "
Capi setzte sich plötzlich auf, wobei er Vincent fast umstieß.
„Doch Vincent. Das ist schlimm."
„Warum?"
„Ich will nicht auf nen Typen stehen. Das ist schlecht fürs Image digga!"
„Sicher, dass DAS das Problem ist?"
„...Nein."
„Sondern?"
„Ja was wohl digga?"
„Dass ich mit Dag zusammen bin?"
Capi nickte. Seufzend nahm er die letzte Kippe aus seiner Schachtel und zündete sie sich an.
„Warum hast du dann das zwischen mir und Dag geklärt?"
„Weil du mir wichtig bist. Ich will nur, dass du glücklich bist Vinne."
„Das ist wirklich lieb von dir."
„Wir bleiben Freunde oder?"
„Ich hoffe es doch..."
Capi wusste zwar nicht wirklich, was er damit meinte, traute sich aber auch nicht mehr nachzufragen. Stattdessen pustete er nur nachdenklich den Rauch in die Luft. Auch Vincent schwieg jetzt lieber.

„Vince? Ach hier bist du. Hab dich schon gesucht.", ertönte es nach einigen Minuten hinter ihnen. Dag setzte sich auf die freie Seite neben Vincent und zündete sich auch eine Zigarette an. Capi schnippte seinen Stummel weg und stand schnell auf. Nach einem letzten, vielsagenden Blick, den er Vincent zuwarf, verschwand er wieder nach drinnen.

„Hat Jule gerade Zeit?", fragte er die Frau hinterm Tresen, wie so oft in den letzten Tagen. Immer wenn gerade keine Kundschaft in Sicht war, durfte er zu ihr. Und sobald jemand kam, musste er sich schnell aus dem Staub machen.
„Klar. Du kannst durch."
„Danke."
Capi ging den Gang entlang und Klopfte an das Zimmer 7. Er wurde hereingebeten, also trat er ein und wischte dabei unauffällig die einzelne Träne weg, die sich unbemerkt in seinem Augenwinkel gebildet hatte. Doch sie schien es trotzdem sofort zu bemerken.

„Was ist passiert?"
„Ich habs ihm gesagt."
„Vincent?"
„Ja..."
Mit hängenden Schultern setzte er sich auf das du dunkle Ecksofa. Kurz darauf ließ sie sich neben ihn nieder und legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter.
„Was hat er gesagt?"
„Dass es nicht schlimm ist und er hofft, dass wir Freunde bleiben und so."
„Das ist... eindeutig. Tut mir leid..."
„Naja. Ich muss damit klarkommen."
„Aber es tut trotzdem weh."
„...Ja. Tut es."
„Wir hatten das. Hier drin musst du nicht auf hart machen. Lass es einfach mal zu. Alles was passiert bleibt hier im Raum."
„Ich weiß doch. Das ist nur... ungewohnt. Jule, ich-"
„Ilvy."
„Was?"
„Mein Name... ist Ilvy..."
„Schöner Name... Ilvy."
Capi schenkte ihr ein ehrliches Lächeln. Er wusste was für ein riesen Vertrauensbeweis das war.
„Tschuldigung, ich hab dich unterbrochen. Ich hab das nur irgendwie loswerden wollen."
„Danke man. Ich weiß das zu schätzen. Ich wollte sagen... das fühlt sich scheiße an. Warum er? Warum nicht... keine Ahnung, irgendwer der nicht vergeben ist. Oder... ein Typ."
„Kann man sich nicht aussuchen. Du weißt: wo die Liebe hinfällt, schlägt sie sich die Knie auf..."
„Liebe ist ein Hurensohn..."
„Ich weiß, Vladi. Und ich würde jetzt sagen 'es kommen bessere Tage' aber das ist Bullshit. Das willst du nicht hören wenn du verletzt wurdest. Und vielleicht muss es weh tun. Und vielleicht muss man auch ne Woche heulend auf der Couch liegen und Vanilleeis essen, wer weiß das schon? Aber was ich dir versprechen kann ist, dass es vorbei geht. Irgendwann."
„Klingt als würde es stimmen... hast du denn Eis?"
„Leider nicht hier, aber ich zieh meine Pause vor und geb dir eins aus. Die Straße runter ist ne gute Eisdiele."
Mit einem aufmunternden Lächeln stand sie auf, nahm seine Hand und zog ihn zu sich hoch.
„Lass dich drücken Vladi!", mit diesen Worten nahm Ilvy ihn in den Arm und drückte ihn kurz an sich. Zum ersten Mal musste er wieder schmunzeln.
„Danke Ilvy."
Sein Lächeln erwiedernd, zog sie ihn aus dem Zimmer. Vorne am Tresen meldete sie sich kurz ab, ehe sie ihn weiter zog.

„Alles okay Capi?", fragte Vincent, als sie gerade an ihnen vorbei laufen wollten. Capi nickte leicht. Von zwei Augenpaaren wurden sie kritisch gemustert, weshalb Capi schnell Ilvys Hand losließ. Sie schien das nicht zu stören. Sie beugte nur sich zu Vincent herunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dieser guckte kurz verwundert, aber nickte dann.
„...Na dann viel Spaß. Wir gehen nachher zurück nach Berlin."
„Ich bleib noch ein bisschen hier, Bra. Aber... wir sehen uns nächste Woche, ja?"
„Versprochen?"
„Klar Bruderherz!"
Vincent stand auf und nahm ihn fest in den Arm.
„Hab dich lieb.", flüsterte er in sein Ohr.
„Ich dich auch Vinne."

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