(6) Falsches Gesicht

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JCK1236 - 03.04.1265 - 16:35


Der Wagen stoppte vor dem eisernen Tor und Jane stieg aus.  

"Mike! Emmy!" Ihr Stimme hallte von den Wänden des Innenhofs wider. An den weiß gekalkten Beton hatten kleine Kinderhände bunte Bilder gemalt, von Bäumen und Blumen, die sie nur aus Bilderbüchern kannten. Wie verträumt fuhr Jane die krakeligen Linien mit dem Finger nach. Farbpartikel blieben auf ihrer Haut zurück, doch sie wischte sie schnell ab.  

Diese Stadt ist es eigentlich nicht wert, dass wir in ihr leben, überlegte sie und starrte auf den weißen Beton. Nirgendwo gibt es Schönheit, nirgendwo etwas Ungeplantes, nur hier, durch Kinderhand. Doch dann dachte sie an den letzten Abend, daran was Eric ihr erzählt und sie dann, ungläubig staunend in den Nachrichten gehört hatte: Ein Mensch war getötet worden, von wem wusste man noch nicht. Es geschah in der Nachbarschaft, in unmittelbarer Reichweite ihrer Kinder. Es hatte einen Großvater getroffen, der Tochter und Enkel besuchen wollte. Was, wenn dieser Mörder als nächstes auf meine Kinder trifft? Sie löste den Blick vom Beton und richtete ihn einmal mehr auf die gläserne Eingangstür der Schule. Nichts rührte sich. Sie spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Was, wenn er sie schon getroffen hat? 

"Mama!", quiekte eine hohe Kinderstimme und zwei Ärmchen umschlangen ihr Bein.  

"Emmy, da bist du ja", meinte Jane, während sie die Arme ihrer Tochter von ihr löste und sie dann an die Hand nahm. "Wo ist dein Bruder?" 

"Kommt gleich", meinte die Kleine und zeigte auf die Tür. Dort stand Mike, ihr Ältester, und zog in aller Ruhe Jacke und Schuhe an.  

"Mike, beeil dich bitte!", rief Jane, doch Mike ließ sich davon nicht stören. Mit schlurfenden Schritten kam er ihr schließlich entgegen.  

"Kein guter Tag heute?" Besorgt blickte sie auf ihren Sohn hinab, während die zum Wagen liefen. Mike zuckte nur mit den Schultern. Seine Maske zeigte nur ein schlichtes, schwarzes Dreieck.  

Jungs, dachte sich Jane, wer kann die denn schon verstehen.  

Der Wagen brachte sie auf direktem Weg in die Innenstadt, setzte sie dort ab und fuhr dann weiter, um einen Parkplatz zu suchen. Eigentlich wollte Jane mit ihren Kindern einkaufen gehen, aber Mike war sichtbar schlecht gelaunt und draußen lockte die Sonne mit ihren ersten warmen Strahlen. Deshalb beschloss sie, sich an einen der Tische zu setzen, die die Regierung in der Stadt verteilt aufgestellt hatte. Dort konnte Emmy auf dem Spielplatz spielen und Jane konnte ihrem Sohn bei den Hausaufgaben über die Schulter schauen.  

Als sie einen Tisch gefunden hatten, saß der allerdings nur da und regte sich nicht, wahrscheinlich sah er irgendwas über den inneren Bildschirm seiner Maske.  

"Hast du nichts für die Schule zu tun?", fragte sie. Mikes Kopf drehte sich ein Stück zu ihr.  

"Ich muss was recherchieren", sagte er und sah dann wieder weg. Jane atmete tief durch. Sie fürchtete sich davor, die Verbindung zu ihrem Sohn zu verlieren. Und Emmy, die ihm in allem nacheiferte, würde den gleichen Weg gehen.  

Ein Windstoß fegte durch die Straßen der Stadt. Jane versuchte ihre langen Haare zu bändigen, die dadurch aufgewirbelt worden waren. Laut lachend rannte ihre Tochter vorbei, die mit den anderen Kindern Fangen spielte. Manchmal versteckten sie sich hinter den großen Gummi-Tieren, die auf dem Spielplatz angeordnet waren, oder sie kletterten darauf, damit der Fänger sie nicht erreichen konnte. Die anderen Tische um den Platz waren nicht alle besetzt, viele hatten wohl wegen der Seuche Angst, lange draußen zu bleiben. Jane jedoch vertraute auf ihre Masken. Sie würden sie schützen, wenn es darauf ankam.  

Emmy kam angerannt und hüpfte auf die Bank, dabei rief sie: "Nein, hier darfst du nicht, ich bin im Haus!", und das Bild ihrer Maske wechselte zu einem Häuschen im Grünen. Der Junge, mit dem sie gespielt hatte, zog mit hängenden Schultern von dannen. Mike hatte den Kopf auf den Armen abgelegt und sah aus, als würde er schlafen.  

Plötzlich ertönte ein markerschütternder Schrei und Hektik brach rund um den Spielplatz aus. Mütter riefen ihre Kinder, rafften alles zusammen, verließen schnellstmöglich den Ort. Die Frau, die als erstes geschrien hatte, stand allerdings noch wie versteinert an ihrer Bank und starrte auf eine bestimmte Stelle zwischen den Häusern.  

Ein Mann ohne Maske. Jetzt konnte auch Jane ihn sehen, er rannte aus einer Straße auf den Platz, seine Maske konnte sie nirgendwo erkennen. Immer wieder blickte er nach hinten, als würde er vor etwas fliehen, das ihn verfolgte. Eine tief sitzende Angst erfasste Jane, ihr Magen verkrampfte sich und Übelkeit stieg in ihr auf.  

Dieser Mann wird sterben. Zuerst wird er die Seuche durch die Luft einatmen, dann wird sein Sehnerv angegriffen und nach und nach wird es ihn von innen auffressen... 

"Emmy, komm her." Sie nahm ihre Tochter auf den Arm, während sie aufstand und Mike antippte. Sie wollte nicht, dass ihre Kinder das sahen, was folgte, und Angst bekamen.  

"Wie war es bei dir in der Vorschule?", fragte sie Emmy so ruhig wie möglich, während sie weg vom Platz hin zur Straße eilte. Der Mann war näher gekommen, Jane konnte ihn genauer erkennen. Seine Augen blickten hektisch umher, sein Mund stand weit offen. Ekel überkam sie und sie musste den Blick abwenden.  

"Eliah hat meine Stifte geklaut", plapperte Emmy fröhlich vor sich hin, "und dann hab ich mit Toby gespielt, aber der ist ja doof." 

"Wieso denn?" Der Mann hatte den Platz überquert und bog in eine weitere Straße ein, dann war er nicht mehr zu sehen.  

"Weil  der der beste Freund von Eliah ist!", rief Emmy aus, als wäre es das Normalste der Welt.  

"Aber du findest Toby doch nett, oder?", versuchte Jane das Gespräch am Laufen zu halten, während sie auf den Wagen warteten. Plötzlich fühlte auch sie sich unter dem freien Himmel schutzlos, trotz ihrer Maske. Der Wind schien sie mit schmutzigen Fingern zu betasten, ein Zittern durchlief ihren Körper. Es war Zeit, dass sich in dieser Stadt etwas veränderte.  


Entschuldigt, dass ich so lange gebraucht habe... Ich bin mir irgendwie total unsicher mit dieser Szene, vielleicht könnt ihr mir ja ein paar Ratschläge geben, woran das liegen könnte :D (by the way: das nächste Kapitel steht schon ^.^)

Die Stadt der MaskenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt