Clarence zögerte. Mit klopfendem Herzen stand er vor der sperrangelweit offenen Tür zu Simons Wohnung. Durch die Türöffnung konnte er das Chaos sehen, das dahinter herrschte: leere Flaschen, Kleidungsstücke, eine Maske, vermutlich Simons.
Hoffentlich geht es ihm gut, dachte er, während er über die Schwelle trat und ihm ein muffiger Geruch nach Alkohol und kaltem Zigarettenrauch entgegen kam. Im Wohnzimmer blieb er stehen und sah sich um. Nirgendwo ein Zeichen von Simon, die ganze Wohnung war gespenstisch still.
"Simon?" Seine Stimme klang seltsam schwach, als würde sie von der Luft um ihn herum aufgesogen und verschluckt. Er erhielt keine Antwort.
Die Anzeige der Holo-Tapeten flackerte, während Clarence von Raum zu Raum ging und nach einem Lebenszeichen von Simon Ausschau hielt. Vermutlich gab es irgendwo im Kernland ein Gewitter, das brachte die Energiewerke immer wieder in Schwierigkeiten. Plötzlich fiel die Anzeige jedoch ganz aus und die Umgebung wurde nur noch von Clarence eigener Maske beleuchtet. Im kalten Schein des Bildschirms stand er schließlich vor einer Tür, die vermutlich ins Schlafzimmer führte. Von der oberen bis zur unteren Kante durchzogen mehrere Kratzer den Lack. Es sah fast so aus, als wären sie durch Tierkrallen entstanden, denn sie hatten fast den gleichen Abstand zueinander. Aber welches Tier soll das schon sein, das in den zwanzigsten Stock eines Wohnhauses kommt und Türen zerkratzt? Clarence war sich ziemlich sicher, dass es dafür eine rationale Erklärung geben musste. Er wusste nur noch nicht, ob er Simon danach fragen wollte.
Die Tür war nicht verschlossen, also trat er ein. Gleich darauf gingen auch die Holo-Tapeten wieder an und tauchten die Szenerie in ein warmes, orangenes Licht. Simon saß zusammengekauert in der hintersten Ecke des Raums. Er hatte die Knie bis an die Brust gezogen, sein Kopf lehnte an der Wand und der Mund stand offen.
Erleichtert seufzte Clarence auf. Schlafen wird ihm gut tun, dachte er sich, dennoch wandte er sich schnell vom Anblick seines Freundes ab. Auch wenn er jeden Tag mit toten Gesichtern zu tun hatte, fügten ihm lebende Münder noch immer Unbehagen zu. Er brauchte nur daran zu denken, wie der Speichel aus den Mundwinkeln rann und sich seinen Weg dem Erdboden entgegen suchte, und schon wurde ihm schlecht. Schnell schob er den Gedanken bei Seite.
Damit es wenigstens irgendeinen Sinn gehabt hatte, dass er mitten in der Nacht durch die Gegend gefahren war, begann er die Flaschen einzusammeln, den Müll wegzuwerfen und die Möbel wieder richtig hinzustellen. Es war noch nicht viel Zeit vergangen, da hörte er aus dem Schlafzimmer Geräusche. Jemand sprach, das hörte Clarence ganz genau, doch es konnte nicht Simon sein, dafür war die Stimme zu tief. Als die Stimme immer lauter wurde, beschloss Clarence nach dem Rechten zu sehen, doch gerade als er das Schlafzimmer betrat, brach die Stimme ab. Seltsamerweise hatte er kein Wort davon verstanden, was sie gesagt hatte, nur der Sprachrhythmus hallte noch in seinem Inneren nach.
Simon lag nun auf dem Boden, auf dem Rücken, alle vier Gliedmaßen von sich gestreckt. Unter den geschlossenen Lidern zuckten seine Augen hin und her und ab und zu verkrampften sich seine Gesichtsmuskeln wie unter Schmerzen.
"Simon, wach auf." Clarence kniete sich neben ihn und rüttelte ihn an der Schulter. Der ganze Körper schien steif und verkrampft. "Hey, komm, wach auf. Du bist nur betrunken, alles ist in Ordnung." Langsam entspannten sich Simons Muskeln, die Augen hörten auf zu zucken, dann schlug er die Lider auf.
"Scheiße", stöhnte er mit rauer Stimme, "hab ich eben schlecht geträumt." Mit langen Pausen dazwischen stützte sich Simon zuerst auf die Ellenbogen und dann auf die Hände.
"Wovon hast du geträumt?"
Simon blieb ihm eine Antwort schuldig, stattdessen stöhnte er wieder. "Und mir ist schlecht."
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Die Stadt der Masken
Fiksi IlmiahWie fühlst du dich in einer Welt, in der unsere Emotionen von Masken verdeckt und durch Bildschirme ersetzt wurden? In der das, was du fühlst, von deinen finanziellen Mitteln abhängt? Simon sucht seinen Platz im Leben und scheint ihn bei den "Wächte...