(7) Versunken

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SHB1240 - 04.04.1265 - 14:48


Kaltes Wasser klatschte in Simons Gesicht und vertrieb mit einem Schlag alle Müdigkeit. Sein Ziel war auch eher sich aufzuwecken als gründlich zu waschen, schließlich hatte er erst gestern geduscht - mit Pam, die noch schlafend in seinem Bett lag. Mit einem Handtuch beseitigte er die restliche Nässe, nahm dann seine Maske und setzte sie sich auf. Auch wenn Pam in der letzten Nacht viel seines Gesichtes und Körpers erkundet hatte, so war es ihm doch immer noch unangenehm ohne Maske vor ihr durch die Wohnung oder das Schlafzimmer zu laufen.

Mit einem sanften Zischen fuhren die Sensoren an seine Schläfen und übten dort sowie auf der Stirn einen leichten Druck aus. Auch auf der Nase und um das Kinn legten sich halbelastische Halterungen, um den Bereich der gereinigten Atemluft hermetisch zu versiegeln.

Er wollte gerade die Tür zum Flur öffnen, als ihm seine Maske eine eingehende Nachricht ankündigte. Sein Herzschlag beschleunigte sich, als er sah, von wem die Nachricht stammte. Sicherheitshalber setzte er sich auf den geschlossenen Toilettendeckel und rief dann die Nachricht der Wächter ab. Er wollte kein wichtiges Detail vergessen.

Eine halbe Stunde später stand Simon einmal mehr auf dem Dach eines hohen Wohnhauses und ließ die Sonne auf seine ausgestreckten Arme brennen. Ihm war, als konnte er jeden einzelnen Strahl und seine intensive Wärme auf seiner Haut spüren. Im inneren Bildschirm seiner Maske tickte ein Timer rückwärts gegen Null.

Bei Sekunde 30 machte sich Simon langsam auf den Weg zur Tür nach unten.

Bei Sekunde 10 öffnete er sie und zog sie hinter sich zu.

Auf der 15. Stufe der Treppe nach unten hörte er den gedämpften Knall.

Wenigstens das hat mal geklappt, dachte er erleichtert und eine in der Luft gleitende Möwe zierte seine Maske.

"Das war gute Arbeit, Mann", meinte Rick dann zu ihm, einer der Männer, die gekommen waren um die Reste der Explosion wegzuräumen. "Wir hatten fast nichts mehr zu tun."

Ein Kribbeln fuhr in Simons Arme und Beine und er konnte es gar nicht erwarten, die letzten Treppen hinunter und aus dem Wohnhaus zu kommen.

"Hey, kommst du noch mit uns mit? Wir wollten uns nach Feierabend mit den Ladies vom 9...."

"Nein, keine Zeit", rief Simon schon im Weggehen. "Muss noch den Bericht schreiben." Er sah noch, wie Rick verständnislos den Kopf schüttelte und sich dann seinem Kollegen zuwandte. Simon konnte sich selbst nicht wirklich verstehen, aber er war voller Energie, voller Tatendrang. Er fühlte sich gut wie die letzten Jahre nicht. Am liebsten hätte er wohl gleich alle illegalen Störsender der ganzen Stadt auf einmal vernichtet.

Vor ihm breitete sich eine Wiese aus, sie erstreckte sich bis zum Horizont, schien grenzenlos, endlos, definiert nur durch seine Perspektive. Wenn ich fliegen könnte, dachte sich Simon, könnte ich sehen, wo die Wiese endet. Oder solange fliegen, bis ich das Ende sehe...

Doch seine Füße standen fest auf dem taufeuchten Untergrund, während die Sonne begann den Grund zwischen den Grashalmen zu erwärmen. Simon atmete tief ein, roch den samtigen Duft der Erde, die kitzelnde Süße der Blumen, und beschloss ein Stückchen zu gehen. Bei jedem Schritt streiften Grashalme seine nackten Fußsohlen. Die Sonne stand schon hoch, doch je weiter er ging, desto mehr Wolken tauchten auf, nahmen die Wärme von Simons Haut und aus der Erde unter ihm. Gerade als er beschloss umzukehren, begann es zu regnen. Zuerst waren es nur kleine, sanfte Regentropfen, die vom Himmel fielen und die Erde tränkten, doch irgendwann wurden die Tropfen größer. Schon bald war die Erde nass vom Regen und eine Pfütze sammelte sich um Simons Füße. Er wollte umdrehen, kehrt machen, wieder nach Hause laufen, doch seine Füße steckten fest. Schmatzend legte sich der Schlamm erst um seine Knöchel, dann um seine Waden, wanderte seine Beine hinauf und seinen Oberkörper. Simon begann zu schreien, doch je lauter er um Hilfe rief, desto schneller versank er in den braunen, schlammigen Fluten. Schließlich hatten sie auch seinen Kopf erreicht, unaufhaltsam flossen sie über seine zusammengepressten Lippen. Dann holte Simon noch einmal tief Luft, bevor auch seine Nase vom Schlamm verschlossen wurde.

Es war dunkel, dunkel und kalt, und Simon spürte, wie ihm der Sauerstoff ausging.

Er schreckte auf, mit klopfendem Herzen und rauer Kehle, als hätte er eben wirklich geschrien. Draußen war es Nacht. Langsam erhob er sich vom Schreibtisch, an den er sich vor Stunden gesetzt hatte, um den Bericht zu schreiben, und schlich in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen. Erst dann bemerkte er, dass das Mitteilungssymbol in seiner Maske aufblinkte.

Er hatte einen neuen Auftrag.

Die Stadt der MaskenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt