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Vielen Dank an _BlackKat_ für das Titelbild und die Korrekturen :)

Kapitel 1

Es war genau eine Woche vor Weihnachten, als Sherlock und ich endlich den Fall der schachspielenden Mumie abschließen konnten.
Oder besser gesagt, dass Sherlock diesen Fall lösen konnte...

Zwei Monate hatte er analysiert, hatten wir gemeinsam recherchiert, und dann... Wie so oft, lag die Lösung des Rätsels für das brillante Gehirn des Consulting Detectives "offenkundig" vor aller Augen.

Was... mal wieder… bedeutete, dass er Lestrade und mich ziemlich dämlich aus der Wäsche gucken ließ.
Wer kam denn bitte schon darauf, dass die Pflegekraft die Schachfiguren mit einem langsam wirkenden Gift bestrich, welches über die Haut aufgenommen wurde, aber dort danach nicht mehr nachweisbar war?

Richtig...
Niemand außer Sherlock Holmes.

Wirklich froh, endlich dem nassen und eiskalten Londoner Winter entgehen zu können, ließ ich mich mit einer Kanne Tee und meiner Lieblingstasse vor dem Kamin in der Baker Street fallen.
Die Kälte grub sich wie Nadeln in meine verwundete Schulter, und sorgte dafür, dass ich immer wieder meinen steifen Nacken dehnen musste.
Normalerweise kommentierte Sherlock diese Bewegung nur mit einem Schnauben oder dem Hinweis, dass ich es dadurch nur schlimmer machen würde... Doch an diesem Abend war er ungewöhnlich still.

Nicht, dass Sherlock jemals ein gesprächiger Wohngenosse gewesen wäre...
Zumindest nicht, wenn es nicht um irgendwelche Fälle oder Deduktionen ging, welche er mir mitteilen wollte, auch wenn es nur darum ging, dass er sie laut aussprach.
Doch gerade die Tatsache, dass er eben nicht über den gerade gelösten Fall sinnierte.
Oder, was er niemals zugeben würde, aber ich wusste sehr wohl, dass es ihm schmeichelte, sich in meinem ehrlich gemeinten Lob sonnte.

Gerade letztere Tatsache machte mich sehr stutzig.

Mein Freund und Wohngenosse stand einfach nur dort am Fenster.
Für unwissende Augen verloren im Anblick des langsam fallenden Schnees und bewegte sich nicht.
Wie ein Geist, dessen langer Mantel Schatten ins Zimmer warf.

"Willst du auch..."
Als hätten meine Worte ihn daran erinnert, dass ich auch noch existierte, drehte er sich binnen eines Herzschlages um, sah mich aus diesen unglaublichen Augen an, in denen eine Galaxie zu leben schien und brummte etwas davon, dass er mir eine gute Nacht wünsche.
Damit war er auch schon aus dem Zimmer gerauscht und alles, was ich noch hörte, war die Tür zu seinem Schlafzimmer, welche leise geschlossen wurde.


Drei Tage später hatte ich mit Sherlock weder einen Satz gesprochen, noch ihn wirklich zu Gesicht bekommen.
Der Consulting Detectiv hatte sich in seinem Zimmer vergraben.
Nichts Neues...
Es gab Wochen, in denen Sherlock schmollend dort lag und seinen eigenen Gedanken nachging.
Er lebte dann in seinem "Gedankenpalast"... Eine Institution im Inneren seines brillanten Verstandes, dessen Funktion ich weder richtig erklären, noch beschreiben konnte.
Er selbst hatte es mir einmal so erklärt, dass dort jedes kleinste Detail, was er bisher erlebt, gelesen oder eruiert hatte, wie in einem Karteikasten gespeichert da lag und nur auf seinen Zugriff wartete.

Ich konnte mir nie einen Reim darauf machen, wie so etwas möglich sein konnte, doch wer war ich, dass ich ein brillantes Hirn wie Sherlock diesbezüglich in Frage stellte?
Der Erfolg gab ihm immer Recht.

Was mich in diesen… Ich nannte sie schlichtweg Schmolltage... jedoch immer besorgte, war die Tatsache, dass Sherlock dann zumeist lebenswichtige Dinge schlichtweg vergaß, oder sie für so profan erklärte, dass er sich nicht darum kümmerte.
Dinge wie: Essen, schlafen, trinken...
Mycroft hatte oft genug durchsickern lassen, dass diese Tage zu den "Gefährlichen" gehörten.
Tage, an denen ich aufpassen musste, dass Sherlock nicht rückfällig wurde oder zu leichtsinnig.

Die Tatsache, dass Ms Hudson, nach eigenen Worten, immer einen kleinen Vorrat Marihuana wegen ihres Hüftleidens im Haus hatte, machte die Sache nicht wirklich einfacher...

"Ach du liebe Güte... Ist er immer noch da oben?!" Ms Hudson stellte eine kleine Schale mit Keksen auf den Tisch, welche sie eben aus dem Ofen geholt hatte und schüttelte in mütterlicher Manier den Kopf.
"Hatten Sie beide Streit?"
Wie kam sie bloß immer darauf, dass wir zwei ein Paar seien?!
"Nein", gab ich bloß ruhig zurück, worauf sie mich tadelnd ansah und ich beinahe das Gefühl bekam von meiner Oma, Gott hab sie selig, gemaßregelt zu werden.
"Also ich muss mich schon wundern Dr. Watson... So kurz vor Weihnachten... Sie sollten sich mit ihm vertragen!"
Es war sinnlos der alten Dame immer wieder erklären zu wollen, dass es zwischen Sherlock und mir keine Liebesbeziehung gab, weshalb ich irgendwann schlichtweg beschlossen hatte, es sein zu lassen.
Tief und hörbar durchatmend sah ich sie nur an, zuckte mit den Schultern und sagte mit einem Lächeln: "Sie wissen ja, wie er ist..."
Es war ein Segen, dass diese Aussage immer half.
Sie lächelte bloß mitfühlend und ließ mich zurück in mein Zimmer gehen.
So langsam würde es Zeit zu packen, denn ich verbrachte nach dem Weihnachtstag zwei Tage bei meiner Schwester Harriet, in der Hoffnung, dass sie es dieses Mal tatsächlich geschafft hatte, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen.
Auch wenn Sherlock diese Hoffnung jedes Mal wenn ich es erwähne, mit einem rüden Kommentar zu schwächen versuchte.

In der Nacht vor Weihnachten wurde ich durch den schwermütigen Klang einer Violine geweckt.
Lange, tiefe Töne mischten sich immer wieder mit kurzen, beinahe erheiterten Passagen, jedoch der melancholische Unterton blieb erhalten.
Ich würde es niemals gegenüber jemandem zugeben, aber ich liebte es, Sherlock spielen zu hören.
Noch mehr genoss ich es jedoch, ihn komponieren zu sehen, oder zuzusehen, wenn er durch sein Spiel seine Gedanken sortierte.

Dies waren Momente, die nur mir gehörten...
Sie intim zu nennen, schämte ich mich beinahe sogar vor mir selbst, doch genau das waren sie.
Niemand außer mir war jemals in den Anblick eines gelösten Sherlock Holmes gekommen.
Eines Sherlocks, der so völlig in seine wundervolle Musik versunken war, dass er, wenn auch nur für Minuten oder Sekunden, seine stoische, völlig emotionslose Maske ablegte und sich der Musik hingab.

Oftmals spielte er genau in den Momenten, wo ich durch meine Albträume aufgeweckt wurde.
Als wüsste er, dass mir sein Spiel half, diese widerlichen Panikattacken zu bekämpfen und wieder ruhiger zu werden.
Es waren die Momente, in denen ich Sherlock unglaublich dankbar war.
Wir sprachen nie über die Dinge, welche unsere Vergangenheit geprägt hatten... Oder zumindest nie in der Form, dass der Andere wusste, was genau passiert war.
Wir akzeptierten einander, ohne die Marotten des Anderen ändern zu wollen.
Wir unterstützten uns gegenseitig darin, zurück in ein Leben zu finden, zu dem wir beide auf völlig unterschiedliche Weise den Kontakt verloren hatten.

Ohne wirklich zu wissen wie oder warum, schloss ich die Augen und gab mich der Musik hin.
Ich konnte mir den schlanken, großgewachsenen Mann detailgenau vor meinen Augen vorstellen, wie er dort mit der Violine vor seinem Fenster stand.
Wie sein Körper den Strichen seines Bogens folgte.
Sein Gesicht, welches vom Mondlicht beschienen wurde...
Es war absurd...
Niemals hatte ich mir über eine meiner zahlreichen Freundinnen auch nur halbwegs Gedanken gemacht, wie sie wohl im Mondlicht aussähen, oder wie sich ihr Körper beim Tanz mit sich selbst bewegte.
Geschweige denn, dass ich jemals einer Frau über Stunden hinweg zugehört hätte, ohne dabei auch nur eine Minute Langeweile zu verspüren.

Es erschreckte mich, dass zu leugnen wäre absurd, und doch...
Die Jahre beim Militär, der Dienst in Afghanistan...
Sie hatten dafür gesorgt, dass ich Dinge erlebt und gesehen hatte, die für mehr als ein Menschenleben gereicht hätten.
Mehr, als ein Mensch ertragen konnte...
Was war da schon die Erkenntnis, dass ich eventuell etwas für meinen Mitbewohner empfand, das über eine platonische Freundschaft hinausging?
Sherlock war, was dieses Thema betraf, nicht nur absolut klar, sondern auch ein Buch mit sieben Siegeln.
Klar in dem Punkt, dass er Liebe, Leidenschaft und alles Emotionale für menschliche Fehler hielt... Eine chemische Fehlberechnung im Universum, welche nur dazu führte, dass der klare Verstand ruiniert und objektives Denken unmöglich wurde.

Was seine eigenen Präferenzen betraf...
Ich hatte nicht den leisesten Schimmer, ob es so etwas wie eine sexuelle Orientierung bei Sherlock überhaupt gab!
Mir war deutlich bewusst, dass er damals etwas für Irene Adler empfunden haben musste, doch ob das wirklich sexuelles Interesse gewesen war?
Ich hatte den Verdacht, dass sie ihn viel mehr wegen ihres Intellektes gereizt hatte.
Was wiederum klar machte, dass jemand wie ich ihn niemals auch nur einen Hauch reizen würde.
Doch wer wusste schon, was in diesem Hirn tatsächlich vor sich ging?
Ich wusste ja nicht mal wirklich, was in mir selbst gerade wirklich passierte...

Merry ChristmasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt