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Das erste, was der Japaner sah, als er den relativ kleinen Raum betrat, war das zierliche, in sich zusammen gesunkene und auf dem Boden kauernde Häuflein Elend, welches nichts am Körper trug, außer ein weißes, viel zu großes Hemd.
Der Kleine zitterte unübersehbar und starrte ununterbrochen mit gesenktem Kopf auf den Boden. Wagte es nicht ein einziges Mal, seinen Blick zu heben und ihn in Richtung Tür zu richten.

Das Zweite, was er sah, war der Wärter, der wie schon zuvor auf der Bühne hinter seinem neuen Besitz stand. Und genau in diesem Moment Anstalten machte, grob an der Leine, welche er in Händen hielt und die an dem Halsband befestigt war, zu zerren. Höchstwahrscheinlich, um den Hybriden in eine angemessenere Position zu zwingen. Seinen Hybriden wohlgemerkt!

„Wenn Sie auch nur ein weiteres Mal an der Leine meines Pets reißen, werden Sie erfahren, wie es sich anfühlt, ein Halsband zu tragen und auf dem kalten Boden zu kauern!"
Der Japaner trat mit selbstsicheren langen Schritten weiter in den Raum und lief dicht gefolgt von Sasori Akera, seinem Sekretär und GEN2, ohne Umschweife auf den Wärter zu. Dieser starrte ihm mit geweiteten Augen in die seinen, welche sich, aufgrund seiner unterdrückten Wut, anfingen, rot zu färben, während die anderen Bodyguards in der Nähe der Tür warteten.

Nur wenige Zentimeter neben Cassiel blieb der GEN1 schließlich stehen. Legte eine Hand leicht auf den immer noch gesenkten Kopf des Jüngeren und hielt die andere dem Wärter auffordernd entgegen, ohne den Blickkontakt mit diesem zu unterbrechen. „Wenn Sie mir nun die Leine geben würden und aus dem Raum gehen. Ich würde mir meinen Neuerwerb gerne genauer ansehen, bevor wir dieses Etablissement verlassen!"
Aaran spürte deutlich, wie sich das Zittern des kleinen Engels verstärkte, doch bevor er ihn beruhigen konnte, musste dieser Kerl erst einmal verschwinden.

„Natürlich, Mister, ... wie Sie wünschen."

Damit übergab der Mitarbeiter des Clubs Cassiels Leine an den Yakuza. Trat einen Schritt zurück. Neigte leicht seinen Kopf und verließ anschließend den Raum, vor welchem daraufhin sofort Aarans Männer Stellung bezogen, damit ihn niemand unerwünscht betreten konnte.

Einige Augenblicke blieb es still.
Die Angst und Unsicherheit des Jüngeren war fast mit Händen zu greifen, was natürlich kein Wunder war, und den Oyabun dazu veranlasste, den Kopf seines Pets leicht gegen sein Bein zu drücken, um ihm das Gefühl von Sicherheit zu geben. Zumindest hoffte er, dass diese Geste dem Kleinen half, sich zu fangen, und ihn nicht noch mehr verschreckte.

Ein paar Minuten herrschte eine nicht unangenehme Stille zwischen ihnen, in denen sich der Jüngere tatsächlich etwas beruhigte. Zumindest ein wenig und sich sogar leicht an das Bein lehnte. Was Aaran dazu veranlasste, genau diese Stille mit seiner dunklen, melodischen Stimme zu unterbrechen.

„Schsch - beruhige dich! Solange du nichts Unüberlegtes tust, wird dir nichts passieren und ich werde dir auch keinen Schaden zufügen. Dein Name ist Cassiel, richtig?"

„Ja, Herr ..."

Wäre er ein Mensch und kein Vampir, hätte er die leise gehauchte Antwort mit Sicherheit überhört.
Doch so nickte er zufrieden und trat einen kleinen Schritt zurück, um den Jüngeren besser ansehen zu können. Was diesen jedoch nur erneut zusammenzucken ließ.

„Sieh mich an, Cassiel."

Seine Stimme war ruhig. Schon richtiggehend freundlich und weich. Was sogar Sasori schräg hinter ihm dazu veranlasste, eine Augenbraue überrascht nach oben zu ziehen, wie er im Augenwinkel gerade noch rechtzeitig sah, bevor sich der GEN2 wieder unter Kontrolle hatte.
Er selbst konnte über diese Reaktion seines Sekretärs in Gedanken nur den Kopf schütteln.
Ja, auch er war durchaus in der Lage, seiner Stimme einen warmen Klang zu verleihen!
Nur hatte er sonst keinen Grund dazu.

Doch jetzt ...

Als sein Pet langsam seinen Kopf hob und ihn ansah, konnte er nicht anders, als seine Mundwinkel zu einem, in seinem Fall seltenen, kleinen Lächeln zu verziehen.
Der Kleine war bildhübsch - und diese Augen erst.

„So ist es gut!", lobte Aaran den verschüchterten Jungen und betrachtete ihn zufrieden.
Es war erneut einige Momente lang still im Raum, bis der Yakuza ohne Vorwarnung zwei Finger unter das Kinn des Blonden legte und es ein paar Millimeter weiter anhob. „Kannst du aufstehen? Und haben sie dich Tabletten schlucken lassen oder dir etwas gespritzt?"

Der Junge zuckte vor Schreck zusammen, schluckte und nickte dann kaum merklich. „Ja, Herr, ... i-ich denke schon - und, nein. Zumindest habe ich nichts mitbekommen."

Der Vampir nahm seine Hand weg und richtete sich wieder zu seiner vollen imposanten Größe auf. „Gut. Dann steh jetzt langsam auf!"

Wie von ihm verlangt wurde, erhob sich Cassiel so elegant wie möglich und richtete seinen Blick augenblicklich wieder unterwürfig gen Boden. So wie man ihm es die letzten Monate eingebläut hatte und das nicht gerade freundlich.
Sklaven hatten ihren Master und andere höhergestellte Personen nicht anzusehen, außer es wurde ihnen befohlen! Eines der Dinge, die sich Pets besser merkten, wenn sie nicht bestraft werden wollten.

Am liebsten hätte er sich jetzt in die hinterste Ecke verzogen und sich dort zusammengekauert, denn die Hoffnung, dass das hier alles nur ein schrecklicher Traum war, hatte er längst aufgegeben.

Durch eine Hand, die diesmal sein Kinn umfasste, seinen Kopf erneut anhob und etwas nach links und rechts drehte, aus den trüben Gedanken gerissen, fing das Herz des jungen Hybriden an, wie wild zu rasen.
Als er dann auch noch das wütende Blitzen in den plötzlich kalten Augen des anderen sah, konnte er nur mit Mühe die Tränen unterdrücken, welche versuchten, sich mit aller Macht an die Oberfläche zu kämpfen.

Was hatte er denn falsch gemacht?! Am liebsten wäre er jetzt ein paar Schritte zurückgewichen, doch diese Reaktion würde mit Sicherheit eine Strafe nach sich ziehen. Aus diesem Grund zwang er sich selbst, zu bleiben, wo er war. Panik machte sich in ihm breit und ließ ihn erneut am ganzen Körper zittern.
Er war dem Mann schutzlos ausgeliefert.

Die Reaktion des Blonden reichte aus, um den Vampir wieder ins Hier und Jetzt zu holen.
Aaran atmete tief durch und ließ dann langsam das Kinn seines Pets los, jedoch nicht ohne vorher einmal sanft mit seinem Daumen über die Wange des Hybriden zu streichen.
Langsam verschwand dieser kalte Ausdruck aus den Augen des GEN1 und die ganze Mimik wurde wieder weicher. „Keine Angst -", seufzte der Ältere.
„Meine plötzliche Verärgerung hat nichts ausgelöst, was du getan hast. Mir gefällt nur nicht, dass das Halsband, welches du trägst, nicht nur viel zu eng ist, sondern deine Haut reizt und schon wund gerieben hat. In Anbetracht dessen, wie wertvoll du bist, hätten sie dich besser versorgen und behandeln müssen."

Mit diesen Worten lockerte er das Halsband mit schnellen, geschickten Handgriffen etwas und brummte leise. „Ich werde mir das später genauer ansehen!"

Einen Augenblick lang war es mal wieder still, dann sprach der Japaner mit dieser dunklen, angenehmen Stimme weiter, welche trotz aller Wärme deutlich zum Ausdruck brachte, dass ein Widerspruch nicht gewünscht war. „Wir werden jetzt in Begleitung der wartenden Männer zu den Wagen gehen und uns auf den Weg zu meinem Privatjet machen. Ich möchte, dass du brav neben mir herläufst, Cassiel. Hast du verstanden? Ich will nicht von dir dazu gezwungen werden, an der Leine zu ziehen!"

Der Goldäugige nickte folgsam und setzte sich in Bewegung, als der Vampir sich umdrehte und auf die Tür zuging, welche Sasori für sie aufhielt.

Unter keinen Umständen wollte er von seinem Master hinterhergezerrt werden. Der Blonde konnte ein leichtes Schaudern jedoch nicht verhindern, als sich die in schwarze Anzüge gekleideten Schränke sofort um sie herum aufstellten, sobald sie den Raum verlassen hatten. Und trat ein wenig näher an seinen neuen Besitzer heran.
Aaran schmunzelte kaum sichtbar, als er bemerkte, wie der Jüngere bei ihm Schutz suchte, lief jedoch unbeirrt weiter Richtung Ausgang.
Er wollte seinen kleinen Hybriden nicht länger als nötig den Blicken der anderen Anwesenden aussetzen. Ebenso wenig, wie er es riskieren wollte, dass sich dieses zierliche Wesen verkühlte. Schließlich trug er nicht mehr als dieses Hemd. Abgesehen von seinem Halsband.
Es wurde also höchste Zeit, dass sein Pet ins Warme kam.

Bei der bereitstehenden, schwarzen Limousine angekommen, wurde dem Oyabun sofort die hintere Wagentür von seinem Sekretär geöffnet.
Dieser ließ sich daraufhin, ohne lange zu warten, auf den Ledersitz sinken und überschlug seine Beine mit einer fließenden Bewegung.

Was sollte er denn jetzt machen?

Cassiel stand mit wild klopfendem Herzen und gespannter Leine vor der geöffneten hinteren Autotür und versuchte verzweifelt, eine Entscheidung zu treffen.
Boden oder Rücksitz?! Sich ohne eindeutige Erlaubnis auf den Platz neben seinen Master setzen. Oder lieber dorthin, wo Pets hingehörten, auf den Boden zu den Füßen ihres Besitzers?!
Hatte er sich gerade ernsthaft die Frage gestellt, wo er Platz nehmen sollte?!

Am liebsten hätte Cas jetzt die Augen über seine eigene Dummheit verdreht und geseufzt. Verkniff es sich allerdings und wollte gerade in das Auto klettern, um sich auf den schmalen Platz zwischen Vorder- und Rücksitz niederzulassen, als auch schon ein scharfes ‚nein' die Luft durchschnitt, welches den Jüngeren dazu veranlasste, zurückzuzucken.
Augenblicklich hielt Cassiel in seiner Bewegung inne, richtete seinen Blick fragend auf den Älteren und murmelte vorsichtig. „Herr?"

Der Vampir lächelte nur leicht und legte seine Hand demonstrativ auf die freie Fläche neben sich. „Nicht auf den Boden! Komm her!"

Der blonde Engel schluckte unsicher, ließ sich dann aber langsam auf den Platz neben Aaran gleiten, ohne dabei die Rückenlehne mit seinem Rücken zu berühren, geschweige denn, sich richtig anzulehnen.
Dem GEN1 sprang dieses Verhalten natürlich sofort ins Auge, kommentierte es jedoch nicht weiter, auch wenn er eine Vermutung hatte, warum der Kleine sich so verhielt.
Im Flugzeug hatte er genug Zeit, herauszufinden, ob sie sich als richtig erwies oder nicht.

„Wir können los, Boss!"

Sasori Akera, welcher in diesem Moment auf dem Fahrersitz Platz genommen hatte, wandte seinen Kopf nach hinten.
Sah seinen Boss fragend an und erhielt auch prompt die Bestätigung zum Losfahren in Form eines schlichten Nickens.

Der Mann drehte sich wieder nach vorne. Startete den Motor, welcher sofort losbrummte, fädelte sich geschickt in den fließenden Verkehr ein und machte sich mitsamt den Begleitfahrzeugen auf in Richtung Flugplatz.

Two Souls - Seelenbund-Trilogie Band 1 (BoyxMan) [Leseprobe] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt