Kapitel 4

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Mikko sah mich aus grossen Augen an und überlegte was er jetzt sagen sollte, er wollten sein Geheimnis wohl waren. Doch zu meiner Missgunst entschlossen er sich schliesslich doch zu Schweigen. Ein letztes Mal sah ich ihn wütend an, in der Hoffnung, dass sich dieser vorwurfsvolle Blick noch lange in seine Netzhaut brennen möge.
Ich drehte mich ruckartig um, stapfte die Treppe hinauf und lies den bedrückten Mikko im Flur stehen.

Während die imaginären Rauchschwaden aus meinen Ohren aufstiegen schmiss ich mich auf mein Bett. Mein Kopf stiess dabei schmerzhafterweise mit etwas Hartem zusammen. Erschrocken schreckte ich wieder auf und begann meinen Hinterkopf zu reiben. Auf meinem Schlafplatz lag noch einsam der Laptop von gestern Abend rum.

Ich wollte etwas Produktives machen, holte desshalb die wenigen Notizen der Bibliothek aus meiner Handtasche und öffnete PowerPoint.

Während ich, vollkommen in meiner Wut vertieft auf die Tasten hämmerte, hörte ich einige knarzende Schritte auf der Treppe.

Das Geräusch wurde nach und nach lauter, bis es auf einmal verstummte. Ich wusste was passiert war. Mikko stand mit hundertprozentiger Sicherheit vor meiner Zimmertür und traute sich nicht zu klopfen.

Weichei.

Süsses, blödes, schwaches Weichei.

Als ich nach weiteren 2 Minuten noch kein erneutes Knarzen vernehmen konnte sprang ich aus dem Bett und erreichte nach drei gedehnten Schritten die Zimmertür.

Ich riss sie auf und starrte so ausdruckslos wie nur möglich zu dem blauäugigen Feigling hoch, der mit ausgestreckter, zum Klopfen bereiter, Hand vor mir stand und mich überrascht ansah.

Wenige Sekunden später öffnete er den Mund um zu sprechen, doch alles was ich hörte war das Klingeln unserer Haustür, ein fröhliches 'Hallo', von meinem Bruder in die Leere geschmissen und kurz danach Kiwis' Krallen, die über den Parkett kratzten, als er Robin entgegen rannte.

Um ein Stockwerk tiefer nicht gehört zu werden flüsterte ich: „Was willst du Mikko?", so leise ich nur konnte.

„Es tut mir Leid, dass ich dich da einfach weggezerrt habe, aber mir war unwohl bei der Sache. Ich wünschte ich könnte dir die Situation erklären, aber ich kann und darf es nicht", entschuldigte sich Mikko. Er klang gequält und wieder versuchte er stets meinem Blick auszuweichen.

Doch so schnell wollte ich mich nicht zufrieden geben. „Warum geht das denn nicht?", fragte ich ihn neugierig und provozierend.

„Ich will dich nicht in Gefahr bringen!", antwortete er daraufhin. Fast wäre er zu laut geworden. Seine Hände krallten sich in meine Schultern. Wütend entzog ich sie seinem Griff.

„Sollte ich nicht selbst entscheiden dürfen, welcher Gefahr ich mich aussetze?", wollte ich empört wissen.

„Ja. Aber in diesem Fall nicht!". Mikko wurde ungeduldig und irgendwie wehleidig, wie ein kleines Kind, das eine Diskusion gewinnen möchte, ohne jegliche handfeste Beweise zu haben.

„Glaub ja nicht das ich das so auf mir sitzen lasse! Ich werde es schon irgendwie heraus finden!"
Ich starrte ihm herausfordern in seine Augen.

Mikko starrte zurück und alles was ich noch tat war schief zu grinsen und mich auf den Weg nach unten zu machen. Wenn ich mir einmal etwas vornehme, dann setze ich das auch verdammt nochmal um, ob es ihm gefallen mag oder nicht.

Als ich die Hälfte der Treppe geschaft hatte, machte sich auch endlich der Braunhaarige auf den Weg und folgte mir. Kaum hatte mein Fuss die letzte Stufe berührt, schon rannte Robin auf mich zu und rief ungeduldig, bis ich und Mikko uns bereit erklärten mit ihm zu spielen.

Auch wenn er nervt, manchmal kann man ihm nichts ausschlagen...

Als es draussen schon so dunkel war, dass der Wald am Horizont einer einheitlich schwarzen Fläche glich, die beiden Jungs und ich hatten zum Abendbrot fade Spaghetti hinuntergeschlungen, bekam ich eine brilliante Eingebung. Ich schnappte mir also Mikko's Handgelenkt und zog ihn in das, an die Küche angrenzende, Wohnzimmer. Den Streit von vorhin vergass ich kurzzeitig. Ein rosa strahlendes Gesicht zeichnete sich in meinem Augenwinkel ab. Robin trottete hinterher. Ich schmiss den verwirrten Teenager auf das Sofa und schappte mir aus dem Schrank daneben den erstbesten Actionfilm.

"Stirb langsam" sollte es sein.

Wie ich erwartet hatte war unser Besucher absolut fasziniert von dem flimmernden Etwas vor ihm. Mit riesigen Augen verfolgte er jede, auch noch so unbedeutende Bewegung. Robin und ich hatten den Film bereits um die 3 mal gesehen und so waren Mikko's Reaktionen auf die Explosionen und Schusswechsel um einiges aufregender als das eigentliche Medienwerk.

Nachdem "Stirb langsam" zu Ende war, ließ ich kurz von Mikko ab und brachte Roby, dem bereits ständig die Augen zu fielen, nach oben. Ich setzte mich noch kurzzeitig zu ihm an die Bettkante bevor er ins Land der Träume abdrifftete.

Als ich dann wenig später meinen Kopf ins Fernsehzimmer steckte, sah ich, dass mein Gast doch tatsächlich unsere DVD-Sammlung durchwühlte, bis er mit triupfierendem Grinsen und einem Horrorfilm in der Hand wieder auftauchte.

Ich könnte schwören, ich wurde schlagartig kreidebleich. Ich hasse diese Dinger...

„Sicher, dass ihr du dir sowas antuen willst?", fragte ich skeptisch.

„Klar doch, wieso auch nicht?", grinste Mikko zurück.

„Äh, ich weiss auch nicht... du kannst das gerne selber schauen, ich werd jetzt schlafen gehen, denke ich mal. Mach den Fernseher später mit dem roten Knopf an der Fernbedienung aus!", sprudelte es zu schnell aus mir heraus. Ich wollte nach oben bevor der Film begann.

„Kann es sein das du Angst hast?".
Mikko klang besorgt, aber nicht ohne den obligatorischen Funken an Belustigung in der Stimme.

„I-ich bin bloss kein Fan von Horrorfilmen..."

„Du brauchst doch keine Angst zu haben!", erklärte der Brünette mit einem Strahlen bis über beide Ohren im Gesicht. Er fand die Tatsache, dass man sich vor einer ausgedachten Geschichte fürchten konnte wohl ziemlich belustigend.

Schweigend und etwas beleidigt hetzte ich schnell in mein Zimmer. Erleichtert, der drohenden Gefahr entkommen zu sein, atmete ich einmal schwer aus, bevor ich mich schliesslich umzog.

Und da ich noch recht wach für diese Uhrzeit war, griff ich nach meinem Computer. Etwas verloren tippte ich ziellos auf der Tastatur herum bis ich, ohne es wirklich gewollt zu haben, auf einer Videoplatform landete und dort etwa eine Stunde meiner Lebenszeit verschwendete.

Als ich bemerkte, dass die Stimme aus meinem Laptop nurnoch gedämpft zu mir durchdrangen und meine Augen immer wieder zuflogen fuhr ich diesen schlussendlich runter, legte ihn zurück auf meinen Schreibtisch und kroch dann unter meine Bettdecke.
Nur einige Minuten danach schlief ich bereits und begann zu träumen.

In einem Traum kam meine Familie vor und ich konnte erkennen, dass meine Eltern sich stritten, während Robin verstört Kiwi streichelte. Die Personen konnte ich genau erkennen, nur die Umgebung war verschwommen und mir unbekannt.

Nahtlos ging dieser Traum in den nächsten über. Nun konnte ich Mikko und den Fremden aus der Bibliothek erkennen, wie sie sich gegenseitig anschrien. Im Gegensatz zu kurz davor war der Raum nun in Farben wie schwarz und einem dunklen grau gehalten, anstelle von hellem braun und gelb.

Leider verstand ich nie was sie schrien.

Als sich auch dieser Traum nach und nach auflöste und ich kurz davor war in einen leeren, schwarzen Schlaf zu fallen, gab es einen kurzen Moment in dem ich die Wärme und Nähe eines Hundes in meinem Bett spüren konnte. Sekunden darauf fühlte ich noch eine sanfte Hand auf meinem Oberarm, bevor ich wieder abdriftete.

Dans Un Pay, Loin D'ici...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt